Christian Rätsch: Das Fußballphänomen

von Gastbeitrag

Waren Sie schon einmal bei einem Cricket-Länderspiel? Nun ja, dazu braucht man auch Zeit. Ein Spiel kann sich über eine Woche hinziehen. Weiß gekleidete junge Männer bewegen sich über gepflegten grünen Rasen, jeder ist mal dran mit Werfen oder Schlagen und zwischendurch wird Tee getrunken. Wer sich das anschaut, ohne damit aufgewachsen zu sein oder mindestens ein Regelbuch gelesen zu haben, versteht nicht einmal ansatzweise, worum es geht und warum die Zuschauer plötzlich klatschen.

Ganz anders beim Fußball: zwei Mannschaften, zwei Tore, ein Ball. Das Runde muss ins Eckige. Das war´s schon, mehr muss man nicht wissen, um den Kern des Spiels zu verstehen und an der richtigen Stelle zu jubeln. Warum wohl hat also Fußball und nicht Cricket von England aus einen Siegeszug um die Welt angetreten? Die Antwort liegt auf der Hand: Einfachheit. Der Grundgedanke von Fußball ist für jeden sofort zu verstehen. Auch wenn es die Sache selbst nicht unbedingt ist, was jeder weiß, der schon einmal den Expertenrunden im Fernsehen zugehört hat. Fußball zeigt auch: Einfach ist nicht langweilig, im Gegenteil. ­Cricket hingegen ... Sagen wir so, die Spannung des Spiels erschließt sich nicht auf den ersten Blick und eindeutig einer weniger großen Fangemeinde.

Einfachheit begeistert und inspiriert. Und Einfachheit eröffnet den Blick auf das Wesentliche. Ein einfacher Satz kann eine ganze Nation bewegen: Man denke nur an Martin Luther Kings "I have a dream", Kennedys "Ich bin ein Berliner" oder Obamas "Yes, we can". Oder an eine einfach Geste wie den Kniefall in Warschau von Willy Brandt. Das Prinzip begegnet uns auch in der Kunst eines Matisse oder Picasso, die mit einem Strich eine schöne Frau oder ein ausdrucksvolles Gesicht zeichnen. Einfachheit in diesem Sinne ist schwer zu erreichen - und einfach großartig.

Genau darum muss Einfachheit auch in unserer Branche stets Benchmark, Vision und Erfolgskriterium sein. Das gilt ganz besonders in der B-to-B-Welt mit ihren häufig so komplexen Produkten, Lösungen und Dienstleistungen. Schluss mit all dem "Besser, weiter, effizienter, mehr" - auch wenn´s weh tut!

Acht Thesen zeigen, was hinter dem Prinzip Einfachheit steckt und wie wir es fürs Markenmanagement nutzen können.

Anders gesagt: Weniger ist mehr. Nach diesem Prinzip funktionieren zum Beispiel Handys wie John´s Phone. Sie reduzieren ihre Funktion auf das Wesentliche: Telefonieren von unterwegs. Eindrucksvoll ist auch die Geschichte von Vijay, dem indischen Fischhändler, der nach einem Prozess der Reduktion nur noch sein Produkt selbst oder besser dessen Geruch für sich werben lässt.

"Vollkommenheit ist, wenn man nichts mehr weglassen kann."

Als Vijay sein Geschäft eröffnete, hängte er ein Schild auf mit der Aufschrift "Wir verkaufen hier frischen Fisch". Sein Vater kam vorbei und merkte an, dass das "wir" zu stark den Verkäufer und nicht den Käufer betone. Also hieß das Schild fortan: "Hier frischer Fisch zu verkaufen."

Sein Bruder schlug vor, das Wort "hier" wegzulassen, da es überflüssig sei. Also änderte Vijay das Schild abermals: "Frischer Fisch zu verkaufen."

Als nächstes kam seine Schwester vorbei und hatte die Idee, nur noch "Frischer Fisch" zu sagen. Es sei schließlich klar, dass der verkauft werde, was sonst?

Später kam der Nachbar und bemerkte, dass der Fisch wirklich frisch sei. Das Wort "frisch" zu benutzen, sei freilich sehr defensiv - als ob es Zweifel daran geben könnte, dass der Fisch frisch ist. Jetzt stand auf dem Schild nur noch "Fisch".

Als Vijay nach einer kleinen Pause zu seinem Geschäft zurückkehrte, fiel ihm auf, dass man den Fisch schon von Weitem riechen konnte, noch lange bevor es möglich war, das Schild zu lesen. Da wusste er, dass auch das Wort "Fisch" überflüssig war.
Aus: Garr Reynolds, presentation zen. Simple Ideas on Presentation Design and Delivery. 2008
Was heißt das für die Markenführung? Wir müssen Komplexität und Details opfern. Opferbereitschaft bereichert die Marke. Barack Obama hat auch hier alles richtig gemacht: "Change" - das war seine reduzierte Botschaft, zu deren Gunsten alles andere zurückstand. Ein ganz anderes Beispiel: Kennen Sie die Szene, in der Jimi Hendrix beim Monterey-Festival 1967 seine Gitarre verbrennt? Später sagte er dazu, dass man opfern müsse, was man liebe. Am Ende stand er ohne Gitarre auf der Bühne - der Marke Jimi Hendrix war´s jedenfalls zuträglich. Nun, im B-to-B-Bereich lieben wir auch unsere Produkte und Lösungen - und vor allem ihre so vielfältigen Features, technischen Einzelheiten und Nutzenargumente. Und noch dazu die Klassiker: Qualität, Effizienz, Kosten­ersparnis. Welches B-to-B-Produkt argumentiert nicht damit? Aber genau das ist es ja - Komplexität und Allgemeingültigkeit machen jedes Angebot austauschbar. Wer sich von all dem frei macht und am radikalsten fokussiert, wird belohnt. Zum Beispiel Google Chrome: Der Browser hat viele Features, aber Google hat sich ganz spitz auf die Aussage "schnelleres Internet" konzentriert. Und mal ehrlich, worauf kommt es im Internet an? Ganz ähnlich Stihl. Was muss eine Säge können? Sägen, und das richtig gut. So reduziert kommt auch die Werbung daher - ein Auto wird von einem sauber gesägten Baumstumpf gehalten, die Buchstaben einer Zeitungsseite purzeln "zersägt" auf den unteren Teil der Seite. Quod erat demonstrandum, mehr braucht´s nicht.

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