Ralf Höpfner: Storytelling - A Lost Art?

von Gastbeitrag

Copytexte in Werbekampagnen werden immer kürzer und kryptischer. Es scheint, als seien die Werber nicht mehr in der Lage oder sie bekommen zu wenig Zeit, um Konsumenten mit starken Texten zu faszinieren und dadurch an die Marke heranzuführen oder sie zu binden. Dabei wird die Bildung einer Marke gespeist durch das Erzählen guter Geschichten. Denn die Identität einer Marke entsteht in der Zuneigung der Menschen zur Summe aller Geschichten, die eine Marke über sich erzählt. Und die über eine Marke weitererzählt werden wollen.

Was können also gute Texte bzw. Geschichten bewirken und wie entsteht eine wirklich gute Geschichte? Der Berater für erfolgreiche Markenkommunikation, Ralf Höpfner, stellt seine Fundstücke und Gedanken zu den Entstehungsbedingungen bzw. Wirkungen guter Geschichten vor.

1. Zukunft und Haltung

"Der Weltraum - unendliche Weiten. Wir schreiben das Jahr 2200. Dies sind die Abenteuer des Raumschiffs Enterprise, das mit seiner 400 Mann starken Besatzung fünf Jahre lang unterwegs ist, um neue Welten zu erforschen, neues Leben und neue Zivilisationen. Viele Lichtjahre von der Erde entfernt, dringt die Enterprise in Galaxien vor, die nie ein Mensch zuvor gesehen hat." Herrlich. Die Königsdisziplin des Geschichtenerzählers: Zukunft als in der Gegenwart tröstende, mindestens jedoch unterhaltende Geschichte erzählen. Am meisten fesselt man, wenn man über Zukünftiges erzählt. Wer von uns will nicht wissen, was sein wird, bevor es ist? Mittels höchstattraktiven technischen Unbekannten wie Warp, Beamen, Communicator und weiterer hochkomplexer Innovationen gelang es dem Autor, gleich mehrere Generationen immer wieder vor dem Bildschirm zu fesseln. Dies gelang aber auch, weil der Autor ein Anliegen hatte. Denn der Star-Trek-Schöpfer Gene Roddenberry war ein leidenschaftlicher Fürsprecher egalitärer Politik und benutzte die Serien häufig, um seine Vision einer auf diesen Prinzipien basierenden zukünftigen Gesellschaft zu vermitteln. Er handelte gewissermaßen frei nach Antoine de Saint-Exupéry: "Wenn du ein Schiff bauen willst, musst du die Leute nicht zum Baumfällen antreiben, sondern ihre Sehnsucht nach dem Meer wecken ..."

2. Sehnsucht und Mitgefühl

Natürlich: Wenn wir begreifen wollen, wie emotional wirksame Texte entstehen, vielleicht sogar selbst welche schreiben wollen - dann müssen wir uns öffnen für romantische Gefühle, Sehnsüchte. Denn die Grundthemen der Romantik sind Gefühl, Leidenschaft, Individualität und individuelles Erleben sowie Seele, vor allem: die gequälte Seele.

Dabei müssen wir den Unterschied verstehen, der zwischen Botschaften und einer Geschichte besteht. Botschaften sind rationaler Natur. Sie involvieren den Leser nicht. Eine Geschichte indes macht eine Botschaft spürbar. Im Idealfall inszeniert eine Geschichte die Botschaft derart, dass sie beim Leser ein besonderes Gefühl erweckt: Empathie - das Mitgefühl.

Der Creative Consultant und Storyteller Christian Riedel schreibt dazu: "... Mitgefühl (ist) in der deutschen Sprache ein schwieriges Wort. Im Alltag wird es oft gleichbedeutend mit Mitleid verwendet. Doch Mitgefühl ist allgemeiner als Mitleid oder auch Sympathie. Innerhalb einer Geschichte können wir mit einem Erfolglosen ebenso mitfühlen wie mit einem Erfolgreichen oder sogar einem Bösewicht. Mitleid und Sympathie sind dafür nicht nötig. Erst aus der emotionalen Involvierung entsteht Spannung. Deshalb ist es für gutes Geschichtenerzählen entscheidend, dass nicht nur die Informationen rational verstanden werden, sondern das Publikum in die Lage gebracht wird, sich in die Situation der Handelnden einzufühlen und deren Gefühle mitzuerleben."

3. Trance und Vertrauen

Der amerikanische Professor Brian Sturm bescheinigt einer guten Geschichte mehr als die Fähigkeit, Informationen in eine emotionale Erfahrung zu verpacken. Mit einer guten Geschichte führe der Erzähler (Storyteller) den Zuhörer in eine regelrechte Mini-Trance. In dieser Trance entsteht eine alternative Realität, in der die Gesetze des Alltags ausgeblendet werden und nur noch die Gesetze der Fiktion gelten.

Der Eintritt in die Trance erfolgt aber immer freiwillig. Es ist eine "willing suspension of disbelief", die nicht automatisch durch Schlüsselreize oder ästhetische Tricks ausgelöst werden kann. Gleichwohl gibt es einige rhetorische Kniffe, die es einem Publikum leichter machen, für eine Geschichte aktiv Interesse aufzubringen. Sie erleichtern es dem Zuhörer sich in die fiktive Welt zu begeben. Für Brian Sturm ist die Erinnerung an eigene Erlebnisse der stärks­te Grund, in eine Geschichte einzutauchen.

Die wichtigste Voraussetzung, um einer Geschichte ernsthaft zu folgen, ist Vertrauen, so Sturm. Nur wenn der Zuhörer, den Erzähler für vertrauenswürdig hält, wird er sich auf die Storytrance einlassen. Sturm erklärt das Bedürfnis nach Vertrauen damit, dass Zuhörer spüren, dass sie beim Eintauchen in die Geschichte Kontrolle über ihre Urteilskraft abgeben. Deshalb möchten sie nur ungern hinters Licht geführt werden. Jeder, der schon mal enttäuscht in einem Kinosaal gesessen hat, weiß, wie wichtig dieses Vertrauen ist.

4. Loslassen und Veränderungsbereitschaft

Neben Vertrauen ist Loslassen ein integraler Bestandteil für gutes Storytelling. Eine Geschichte, so Sturm, führt Erzähler und Zuhörer im übertragenen Sinne auf eine Reise, die beide verändert. Am Ende der Geschichte, wenn ihre Reise am Ziel angelangt ist, haben sich Erzähler und Zuhörer verändert. Sie haben Wissen gewonnen, Emotionen gezeigt und etwas dazugelernt. Auch wenn Sturm hier etwas esoterisch wird, bleibt es eine gute Kernaussage: Ein Erzähler, der nicht auf seine Zuhörer eingehen will, wird nicht gehört werden. Und ein Zuhörer, der nichts erfahren will, wird nicht zuhören.

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