von Gastbeitrag
Immerhin, nach zahllosen Telefonaten und noch mehr Mails hat's dann doch geklappt. Lydia hat schon mal ihren Koffer ins Café mitgebracht, "weil", wie sie uns erzählt, während sie im Milchschaum ihrer Latte Macchiato rührt, "ich praktisch schon wieder auf dem Sprung bin".
Uns - heute sind das mein alter Freund Herrmann, der Personal-Recruiter Jens und meine Wenigkeit. Zusammen mit Lydia und anderen hatten wir vor einem Jahr einen "Interim-Manager-Stammtisch" aus der Taufe gehoben. Unser Problem ist bloß: Das Ganze ist meist ziemlich übersichtlich. Wer ein Mandat hat, ist entschuldigt. Heute, im Januar 2011, sind wir also zu viert. Zumindest anfangs. Lydia ist schon so gut wie wieder weg. "Langjährige Erfahrung in verantwortlichen Positionen, verschiedene Branchen, ergänzende Länderkenntnisse sowie interkulturelle Erfahrung", sollten freiberufliche Führungskräfte nach Darstellung der Dachgesellschaft Deutsches Interim Management e.V. (DDIM) mitbringen. Im proto-digitalen Zeitalter hätte man das wohl eine "Eier legende Wollmilch-Sau" genannt.
Jens scheint heute ein wenig abwesend zu sein. Vor ein paar Tagen hat er seine neue Website frei geschaltet. Da heißt es, man könne ihn sowohl "auf Dauer buchen", als auch vorübergehend. Das riecht nach neuen Prioritäten. Da sehnt sich jemand zurück in die ortsgebundene, tarifvertraglich geregelte Arbeitswelt mit planbaren Wochenenden. Ich fürchte, unser kleiner Stammtisch wird vorübergehend weiter schrumpfen. Um die 10 000 Managerinnen und Manager haben in Deutschland den Begriff "Interim" vor ihre Berufsbezeichnung gesetzt. Tendenz steigend. Genaue Zahlen fehlen, weil viele von ihnen nur vorübergehend im Geschäft sind - siehe Jens - und weil es an allgemeingültigen Standards fehlt. Legt man die Messlate des DDIM an - mindestens 15 Jahre Berufserfahrung und davon mindestens zehn Jahre Führungs- und Managementerfahrung - schrumpft die Zahl der Interim Manager rapide um einige Tausend. "Aufräumer in der Chefetage" oder auch "Ungeliebte Feuerwehrmänner der Wirtschaft" werden Interim-Manager in der Presse gelegentlich genannt, weil sich alt eingesessene Führungskräfte manchmal hinter den Externen verschanzen, wenn beispielsweise harte Einschnitte beim Personal anstehen. Den Sündenbock hat man ja schon, und der zieht weiter. Mit den jungen digitalen Wanderarbeitern nach dem Modell der Berliner Caféhaus-Boheme haben Interim-Manager dennoch wenig gemein. Kaum einer ist jünger als 45, nur jeder zehnte ist weiblich. Nicht nur in dieser Beziehung ist Lydia eine echte Rarität in unserer Branche.
"Schaff Dir ein Notebook mit möglichst großem Bildschirm an", hatte sie mir als Start-Tipp mit auf den Weg gegeben. "Oft genug sitzt Du am Abend allein in einem Hotelzimmer, dann ist dieser Bildschirm sowohl Deine Büroerstausstattung als auch Deine einzige Verbindung nach Hause". Ich habe ihren Rat beherzigt. Und ich konnte sogar meine Eltern, beide Mitte 60, davon überzeugen, Skype auf ihren Laptop zu laden. Lydia ist das, was hierzulande gerne als "Powerfrau" bezeichnet wird. Fünf Sprachen, Erfahrung in einem halben Dutzend international aufgestellter Unternehmen, gewinnend und ungebunden. "Damit hatten die Jungs in Dubai nicht gerechnet, dass ich ihnen gleich zu Anfang auf arabisch sagen würde, wo's lang geht." Fröhlich rührt sie weiter ihre Latte Macchiato. "Von da an hat keiner mehr Witze über mich gemacht". Heute ist sie auf dem Sprung nach Frankfurt, ihrer nächsten Station. "Wenn's läuft - ein halbes Jahr oder ein ganzes - miete ich mir auf dem Land ein Haus. Ich werd´ schließlich nicht jünger und brauche Rückzugsräume".
Jeder von uns hat seine eigene Geschichte: Ich werde immer wieder gefragt, warum ich nicht mehr im Agenturgeschäft bin. Nun, die Antwort ist einfach. Nach zwölf Jahren Agentur-Management, nach etlichen hundert Kommunikations-Projekten, nach von mir betreuten Agentur-Start-Ups und Agenturfusionen war Zeit für was Neues. Irgendwann muss man im Spannungsfeld zwischen Nachhaltigkeit, persönlichen Zielen und routinierten Kompromissen entscheiden, wo die Reise künftig hingehen soll. Ein Abschied vom Marketing stand für mich nie zur Debatte, zumal mich die Faszination für die enormen Möglichkeiten gepackt hatte, die mit den neuen Verbreitungswegen verbunden sind. Erst das Internet hat die Werbung wirklich dialogisch werden lassen. Ich finde es unglaublich spannend zu sehen, wie selbst eine beliebige No-Name-Firma dank Facebook, Twitter und Co. zum machtvollen Akteur werden kann. Und gleichzeitig mächtige Platzhirsche ins Grübeln kommen, weil ihre jahrzehntelang erfolgreichen Geschäftsmodelle plötzlich nicht mehr so funktionieren wie früher. Als Marketing 3.0 hat Branchen-Guru Philip Kotler diese rasanten Veränderungen beschrieben. Wer als Unternehmen künftig eine starke Online-Reputation vorweisen kann, hat im entscheidenden Moment die Nase vorn. Und wie erwirbt man sich den guten Ruf im Internet? Indem man empfiehlt und zugleich weiter empfohlen wird. Über den Netzwerk-Gedanken der Social Media schließt sich der Bogen zum Interim-Management: Beziehungsgeflechte sind alles, ohne einen guten Provider läuft wenig. In Deutschland bieten etwa 30 Unternehmen diese Dienstleistung an. Ein Rahmenvertrag zwischen Interim-Manager und Provider stellt sicher, dass keiner der Beteiligten über den Tisch gezogen wird. Im Gegenzug erhält der Provider einen zweistelligen prozentualen Anteil vom Tagessatz des Interim-Managers.
Herrmanns Geschichte geht so: Vor 20 Jahren war er bei einem deutschen Großunternehmen beschäftigt, dem mangels Flexibilität der zweifelhafte Ruf vorauseilte, eine Art "Elektroministerium" zu sein. Da beschloss Herrmann, sich als Interim-Manager mit Schwerpunkt Controlling selbstständig zu machen, war er doch das ständige Anblaffen durch seinen vorgesetzten Vertreter aus der Fraktion "Das-haben-wir-schon-immer-so-gemacht" gründlich leid. Dumm bloß, dass ausgerechnet dieser vierschrötige Bereichsleiter kurze Zeit später sein Sparringspartner während des ersten Interim- Mandats wurde. Doch siehe da: Plötzlich herrschte eitel Harmonie. Beide zogen an einem Strang, mussten sie doch gemeinsam in einem schwierig gewordenen Umfeld eine Abteilung auf eine völlig neue finanzielle Grundlage stellen. Heute hat Herrmann als selbstständiger Provider Verträge mit ein paar hundert Interim-Managern und vermittelt selbst Mandate zwischen Auftraggebern und Interim- Managern. Übrigens: Das angestaubte "Elektroministerium" steht im internationalen Vergleich längst wieder glänzend da. Ich vermute, Herrmann hat einen winzigen Teil dazu beigetragen.
Veröffentlichen auch Sie ihre Gastbeiträge auf ONEtoONE. Einfach PremiumPlus-Mitglied werden und loslegen!
Gastbeiträge veröffentlichenMischenrieder Weg 18
82234 Weßling
Tel.: +49 (0) 89-57 83 87-0
Fax: +49 (0) 89-57 83 87-99
E-Mail: info@onetoone.de
Web: www.hightext.de