Tobias Kirchhofer: Abschied von der alten We(R)b(e)welt

von Gastbeitrag

Die Diskussion über geeignete Messverfahren und Messgrößen in der Werbewirtschaft ist beinahe so alt wie die Werbewirtschaft selbst. Voller Wehmut dürften heute viele Werber auf fünf Jahrzehnte Werbung zurückblicken, in ­denen die Welt geordnet schien.

In Zeiten, in denen Werbedruck vor allem über die klassischen Kanäle Print, TV und Radio aufgebaut wurde, war die AIDA-Formel so etwas wie das gemeinsame Mantra der Werbewirtschaft. AIDA war dabei weit mehr als ein Akronym für das Prinzip der Werbewirkung, es entsprach letztlich einer allgemeinen Handlungsempfehlung, derzufolge nur die Aufmerksamkeit erhöht werden musste, um den Kaufimpuls anzuregen.

Fehlte dieser Kaufimpuls, war entweder der Werbedruck zu gering oder den Kreativen war es nicht gelungen, das Bedürfnis des Konsumenten zu wecken. In dieser Welt ließ es sich gut leben für Mediaplaner und Werbetreibende und so hatten sie sich entsprechend eingerichtet. Sämtliche Werbekanäle erhielten allgemein anerkannte Standards, Gleiches galt für die Messung des Werbeerfolgs. Bei aller Kritik, die immer wieder laut wurde, die AIDA-Formel hat fast ein gesamtes Jahrhundert das Denken in der Werbewelt geprägt. Dementsprechend galt es nicht, Werbung zu erklären, sondern vor allem, den Experten zu vertrauen. Werbung und Dialog wussten noch nichts voneinander. Folglich unterlagen Dialogsituationen auch noch nicht der Aufgabe, Mess- und Werbe­instrument gleichzeitig zu sein. Erst wurde geworben und anschließend gefragt - manchmal auch andersherum, mit dem Ziel, Werbung auf den Konsumenten abzustimmen.

Mit dem Aufkommen und der wachsenden Popularität der Online-Medien ist Unruhe in diese scheinbare Ordnung gekommen. Ein gutes Jahrzehnt hat die Wirtschaft gebraucht, um das Mysterium Internet so weit zu entschlüsseln, dass von ökonomischer Relevanz die Rede sein konnte. Um die Sache Internet nicht noch weiter zu verkomplizieren, wurde es einfach als ein weiterer Werbekanal bewertet. Dementsprechend wandten nicht zuletzt Mediaagenturen die bereits vorhandenen Offline-Messgrößen an, um Online-Werbung strategisch zu positionieren. Schließlich tat sich ein neuer Werbekuchen auf und der wollte fachgerecht abgeschöpft werden. Und so geschah es. Alle lebten glücklich und zufrieden. Doch dann trat etwas gänzlich Unerwartetes ein: Der einstige Rezipient (alias Werbebotschaftenempfänger) begann selbst das Web zu nutzen - und brachte das AIDA-Mantra damit gewaltig ins Wanken.

Das Internet wurde mobil und das Social Web zu einer nicht mehr wegzudenkenden Größe. Durch die immer benutzerfreundlichere Handhabung von Hard- und Software ent­wickelten sich neue konsumimmanente Ver­haltensweisen autonom von etablierten Wirkungs- und Messschablonen. Schemata, die dank dem jahrelangen Konsens zwischen Werbe­treibenden und Agenturen in der Offline-Welt auf Basis des anerkannten Modus Vivendi nach wie vor funktionieren - aber eben auch nur dort. Und so stehen wir heute vor einer geradezu absurden Situation: Das einzige Medium, das eine sehr detaillierte Analyse von Nutzeraktivitäten ermöglicht, muss sich bis heute auf die zum Teil abenteuerlich konstruierten Messgrößen der Offline-Medien einlassen, um seinen Teil vom Werbekuchen abzubekommen. Fragwürdig, aber fraglos gewollt.

Mangelndes Verständnis von Mediaplanern und Werbetreibenden für die Funktionsweise des Internetmediums ist eine naheliegende Ursache für den Punkt, an dem wir heute stehen. Eine Ursache, an der alle Branchen mitgearbeitet haben - unabhängig davon, ob der eine oder andere das Medium Internet nicht schneller oder besser verstehen konnte oder wollte. Doch mangelndes Verständnis hat als Entschuldigung für ein beharrliches Festhalten an verkleideten Offline-Messgrößen und -Methoden ausgedient - und hat damit auch anderen Indikatoren wie Bequemlichkeit oder Eitelkeit jede Legitimation entzogen.

Eine aktuelle Studie (1) der Software-Initiative Deutschland e.V. (SID) und des Fraunhofer-Instituts für Angewandte Informa­tionstechnik (FIT) belegt zweifelsfrei, dass die deutsche Unternehmenslandschaft der Meinungsbildung in sozialen Netzwerken wie Facebook, Twitter oder Xing eine wesentliche Bedeutung für ihr eigenes Geschäft einräumt. Drei Viertel der Unternehmen sind davon überzeugt. 80 Prozent gehen sogar von einer steigenden Bedeutung aus - ein Wert, der sogar über sämtlichen Vorbehalten und Ängsten ­(Datensicherheit, Verrat etc.) liegt.

Dass sich überhaupt noch althergebrachte Messgrößen auf dem Markt verkaufen lassen, könnte unter anderem daran liegen, dass Unternehmen dahingehend einfach noch nicht ausreichend genug sensibilisiert sind. Dafür spricht die Tatsache, dass Social Media immer noch weit davon entfernt ist, Chefsache zu sein. Denn nach der Studie obliegt die Zuständigkeit für Twitter, Facebook & Co. zu 45 Prozent der Presse- und PR-Abteilung, zu 33 Prozent dem Marketing und zu 11 Prozent der IT.

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