von Gastbeitrag
Früher war alles gut: Die großen, international tätigen Werbetreibenden holten sich die großen Netzwerkagenturen für ihren Kommunikationsbedarf, der Mittelstand lud die nationalen Rankinganführer ein, und für den Bedarf rund um den Schornstein tat´s der Grafiker im Hinterhof der Metzgerei. Alles klar?
Manche glauben, das ist immer noch so. Die haben wahrscheinlich die letzten zehn Jahre im Sabbatical verbracht. Es gibt wirklich noch Agenturchefs, die ihre Größe als Killer-Vorteil dafür ins Feld führen, dass nur sie wahrhaft integrierte Kommunikation können. Das sind dann die ersten 6 Charts der Powerpoint-Präsentation, mit der ein neuer Kunde begeistert werden soll: die Weltkarte, überall Fähnchen, der obere Ranglistenplatz der Holding, zu der man gehört, die Entwicklung der Mitarbeiter, die Entwicklung der Umsätze und die Logos der Kunden, die weltweit betreut werden. Und dann noch ein Moodfilm, damit der Kunde nicht einnickt, bevor es losgeht.
Tatsächlich ist heute alles besser, denn Größe ist nicht mehr entscheidend. Zumindest nicht, wenn es um integrierte Kommunikation geht, also um die Verknüpfung, das synergetische Verweben aller Kommunikationsformen hin zu einer optimal gesamthaften, verkaufenden Außenwirkung. Manche nennen das auch crossmedial oder medienneutral. Letztlich wird es nicht besser oder neuer davon, dass man immer neue Namen dafür findet. Wie auch immer Sie "es" nennen wollen: Integrierte Kommunikation ist keine Frage der Größe, sondern allein eine Haltungsfrage. Größe kann vielmehr sogar ein Handicap sein! Denn Größe macht behäbig, Prozesse komplexer, Entscheidungswege länger und befördert die Besitzstandswahrung.
Wer kann integrierte Kommunikation leisten?
Integrierte Kommunikation können Teams leisten, die kommunizieren können. Und zwar grundsätzlich und über die Medien, mit denen unsere Zielgruppen heute groß werden. Hier Schritt zu halten ist auch eine Haltungsfrage, eine Frage der natürlichen Affinität, welche die Leute mitbringen, die in der Werbung erfolgreich sein wollen. Die logische Schlussfolgerung könnte ja nun sein: Nur eine junge Agentur kann integrierte Kommunikation leisten! Und das sind die Powerpoint-Charts, mit denen diese Agentur ihren Kunden gewinnen will: Durchschnittsalter in der beratenden Kreation, Anzahl der Weblogs, die von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern geführt werden, durchschnittliche Anzahl der Freunde auf Facebook und der Follower bei Twitter, durchschnittlicher täglicher Stundeneinsatz in Social Media, Anzahl der iPhones und iPads in der Agentur. Und dann noch ein Moodfilm, damit der Kunde nicht einnickt, bevor die Multimedia-Awards Liste gezeigt wird.
Was will Ihnen der Dichter nun damit sagen? Ich will Ihnen, liebe Leserinnen und liebe Leser, sagen, dass ich es ganz erstaunlich finde, mit welcher Arroganz Werbedickschiffe auf kleine und mittlere Agenturen herunter-schauen. Worauf gründet diese Arroganz? Auf Erfahrung? Das kann nicht sein. Denn es gibt in Fachmedien und Cases-Präsentationen viele Beispiele für erfolgreiche integrierte Kommunikationsarbeit, die von kleinen Agenturen oder sogar von freien Teams geleistet wird. Vielfach Pitch-entscheidend; für große Marken, die längst nicht mehr zwanghaft die großen Netzwerkagenturen beauftragen müssen, sondern nach dem Preis-Leistungs-Verhältnis fragen. Worauf gründet die Arroganz dann? Ich sage Ihnen: Sie gründet auf Angst. Angst vor Konkurrenz, bei der Größe genauso wenig allein selig macht wie Jugend.
Größe ist Achtziger
Große Agenturen sind in Zeiten groß geworden, in denen die Regeln noch andere waren. Heute wächst der, der kommunizieren kann. Wenn man die Personalien-Seiten der Fachpresse aufmerksam beobachtet, dann stellt man fest, dass gerade große Netzwerkagenturen, die von Aktionären und Holdingchefs dazu verdammt sind, Profite zu generieren, die man nur noch mit viel Geschiebe und Kosmetik ausweisen kann, gerne von Controllern geführt werden. Das ist die Sorte Chefs, die man als Agenturmitarbeiter nur noch zur Weihnachtsfeier trifft. Denn die übrige Zeit des Jahres haben die keine Zeit, sich in der Agentur blicken zu lassen. Erstens verstehen sie sowieso nichts vom Geschäft. Zweitens sind sie nicht populär, weil sie nicht kommunizieren können. Auf diese Weise wird sich manche Großagentur über kurz oder lang selbst erledigen oder besser in kleine Teile zerlegen lassen, die dann wieder handlungsfähig, weil hungrig sind.
Ob man als Kommunikationsprofi heute überhaupt noch zum Dickschiff anschwellen will, ist eine andere Frage. Denn Größe ist ja auch gar nicht mehr erstrebenswert. Flexibilität, Lernbereitschaft, Neugier, Begeisterungsfähigkeit - immer schön geschmeidig bleiben, dann klappt´s auch mit dem Neugeschäft! Eine erfolgreiche Kommunikationsbude heute ist wie ein Fischschwarm, der auf Strömungen flexibel reagiert, größer und kleiner wird, je nach Nahrungsvorkommen, Stabilität durch Anpassung erreicht und eine intrinsische Motivation für die Sache mitbringt. Für die Sache des Kunden. Nicht für die der Shareholder.
Das ist doch logisch, nicht wahr? Trotzdem hält sich weiter-hin das Gerücht, dass Potenz etwas mit Größe zu tun hat. Ganz ehrlich und noch einmal mit Nachdruck von einem, der alle Größen anprobiert hat: So ist es nicht. Vielmehr ist das Gegenteil der Fall. Größe kann nämlich schnell bräsig machen, wie wir Schwaben sagen. Nicht verstanden? Dann ersetzen Sie bräsig durch bequem, wobei die Phonetik eigentlich schon selbsterklärend sein sollte. Mit langem ä.
Wo der Agentur-Mittelstand auftrumpft
Stichwort: Change. Wer sagt, er habe den "Change" im Blut, der hofft auf die self-fulfilling prophecy, die sich selbst er-füllende Prophezeiung. Denn der Mensch ist per se eher ein Besitzstandswahrer. Es sei denn, er hat Hunger, dann kriegt er sein Gesäß auch mal hoch. Will heißen: Auf "Change" hat man so lange Lust, wie man entweder noch am Anfang steht - jedem Anfang wohnt bekanntlich ein Zauber inne -, oder man ist gezwungen sich zu bewegen. Oder man bringt dafür genau diese intrinsische Motivation mit, die man heute bei einem von hundert Bewerbern durchblitzen sehen kann. Warum soll man sich auch mit "Change" quälen, wenn man sich mit "never change a winning team" beruhigen kann und alles beim Alten belassen?
Stichwort "alles aus einer Hand" - von wegen! Jedes Unter-nehmen, das schon ein paar Jahre auf dem Buckel hat, weist eine gewachsene Struktur auf. Denn die Reißbrettplanung der ersten Gründernächte liegt in der Archiv-Kiste. Man wächst mit seinen Aufgaben, die auch die Positionierung bestimmen. Ein großes Unternehmen hat Hierarchien eingezogen, langjährige Mitarbeiter haben Fürstentümer gegründet. Vergütungssysteme, die die einzelnen Disziplinen im Kampf um Etats gegeneinander ausspielen, sind auch nicht gerade förderlich. Zielvereinbarungen, die nur den Wasserstand in der eigenen Schublade betreffen, sind Gift für integrierte Kommunikation. Und die Sinnhaftigkeit der Diskussion, welche Disziplin "die Lead" hat, will ich gar nicht weiter ausführen. Es dauert lange und ist schmerzliche Schwerstarbeit, um aus einer ehemaligen Sparten-Organisationsstruktur, die einstmals ihre Berechtigung hatte, einen Laden zu machen, in dem alle vorbehaltlos und hochflexibel jede Aufgabenstellung mit frischem, Disziplin-neutralem Blick angehen. Da haben es Neugründungen und Fischschwärme viel, viel einfacher. Das ist kein Verdienst, sondern die Gnade der späten Geburt.
Stichwort personelle Ausstattung: Für einen großen Etat wird ein großes Team gebraucht? Das heißt ja erstens nicht automatisch, dass dieses Team ein Büro teilen muss. Und selbst wenn: Ein Fischschwarm wächst ja auch mit dem Nahrungsangebot. Und zweitens: Auch große Agenturen waren so lange klein, bis sie einen dicken Fisch an Land gezogen hatten. Dann wurde eingestellt und plötzlich war die Agentur selbst ein dicker Fisch.
Stichwort Denke: Kleine Agenturen müssen per se integriert denken. Kleine Agentur - kleine Kunden und kleine Kunden können nicht mit x verschiedenen Agenturen arbeiten, sie haben auch meist nur einen Werbeleiter und der will umfassend bedient werden. Kleine Agenturen sehen sich auch als Makler, der die Kommunikationsaufgaben des Kunden löst, indem er die richtigen Partner an den Tisch holt, sei es eine Filmproduktion oder eine New-Media-Agentur. Hier wird ohne Eifersucht mittels Netzwerk dem Kunden ein schlagkräftiges Team geboten.
Stichwort Investition in neue Techniken: Die Anforderungen sind immens, und mit der rasanten technischen Entwicklung mitzuhalten ist eine tägliche Herausforderung. Große Organisationen haben damit mehr Schwierigkeiten als kleine. Bis in einem Network die Anschaffung von iPads genehmigt wird, hat die inhabergeführte Agentur bereits die ersten Apps entwickelt.
Sie sehen, nicht die Großen fressen die Kleinen, sondern die Schnellen die Langsamen und alles ist besser - zum Wohl der Kunden!
Der Autor: Michael Horlacher ist Geschäftsführer des agencyteam Stuttgart
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