Christian Scheier & Johannes Schneider: Codes. Die geheime Sprache der Produkte.

von Gastbeitrag

Durch das Neuromarketing und entsprechende Angebote im Markt sind die verborgenen, impliziten Kaufgründe nun systematischer zu greifen. Das war ein wichtiger Schritt. Dennoch sind die internen Diskussionen dadurch nicht weniger, sondern offenbar noch mehr geworden.

Es gibt die vordergründigen, expliziten und die dahinterliegenden, verborgenen, impliziten Gründe für das Kaufverhalten. Aber was ist nun wie wichtig? Bestimmen jetzt nur noch die Emotionen unser Verhalten und wie wichtig ist dann noch das Produkt mit seinem funktionalen Nutzen? Wie also hängen Implizites und Explizites beim Konsum zusammen? Und vor allem: Wie setzen wir das alles richtig um? Dieser Artikel soll helfen, klarere Leitlinien von der Strategie bis zur Umsetzung zu geben, denn darin liegt die größte Herausforderung im Marketingalltag.

Ziele bestimmen unsere Kaufentscheidungen
Es gibt klare, wenn auch meist implizite und intuitive Regeln, wann wir Produkte nutzen, wann nicht und wofür wir sie nutzen. Es ist kein Zufall, aus welchem Glas wir den Wein trinken, es ist kein impulsives Verhalten, das uns dazu führt, den Pulverkaffee zu servieren, wenn die Familie zu Besuch kommt. Wenn wir Gemeinschaft und Wertschätzung wollen, dann wählen wir den Pulverkaffee, aber wenn es schnell gehen soll, nehmen wir eher den löslichen Kaffee. Wenn es um Trost geht, kochen wir einen Pudding, aber wenn es um Frische geht, essen wir lieber einen Joghurt. Wenn wir Status konsumieren wollen, entscheiden wir uns für einen SUV, aber im Urlaub mieten wir uns vielleicht ein kleines Cabrio, weil wir Entspannung und Freiheit wollen. Wenn wir bei der Nutzung unseres Smartphones Kontrolle und Effizienz wollen, dann wählen wir das Blackberry. Wollen wir unseren strengen Alltag etwas leichter und spielerischer gestalten, entscheiden wir uns für das iPhone. Wenn wir unsere Liebe ausdrücken wollen, schenken wir eine Rose, wenn es Freundschaft sein soll, eine Sonnenblume. Die Reihe ist endlos. Sie zeigt die Sprache unserer Produkte und die dahinterliegende Regelhaftigkeit.

Wir haben eine Absicht, wir verfolgen ein bestimmtes Ziel und wählen intuitiv das Produkt und diejenige Marke aus, die am besten zu diesem Ziel passt. Das geschieht überwiegend implizit über den Autopiloten im Kopf und ist dabei doch immer zielorientiert. Denn wir entscheiden weder rational noch emotional, sondern auf Basis von Zielen.

Ziele sind erwünschte Zustände
Was ist nun genau mit "Ziel" gemeint? Konsumpsychologen nennen drei Ziele, die wir mit Produkten erreichen wollen: "Have. Do. Be." Bei allem, was wir konsumieren, geht es darum, etwas zu haben ("Have"), etwas tun zu können ("Do") oder etwas zu sein ("Be"). Wir wollen den neuen Lippenstift, um attraktiv zu sein, wir wollen den Pudding, um unserem Kind Trost zu spenden, wir wollen einen BMW, um Fahr-spaß zu erleben, oder wir möchten ein Bier, um unseren Durst zu löschen. Mit allem, was wir tun, wollen wir Ziele erreichen. Wir haben Ziele und kaufen Produkte, mit denen wir diese Ziele erreichen können. Auch wenn wir altruistisch handeln oder anderen Menschen helfen, bringt uns dies einem Ziel näher - sonst würden wir es nicht tun. Dabei haben wir natürlich nicht in jeder Situation und in jeder Produktkategorie die gleichen Ziele. Im Beruf wollen wir uns durchsetzen und streben nach Anerkennung, zu Hause sind uns Harmonie und Gemeinschaft wichtig. Wir haben einen Lippenstift für das Ziel "Pflege" und einen für das Ziel "Attraktivität". Wir haben bei einem Auto andere Ziele als beim Waschmittel oder bei der Zahnpasta.

Ziele geben klare Leitlinien für die Umsetzung
Wir kaufen also mit Produkten das Erreichen von Zielen. Aber wie erkennt unser Gehirn, welches Ziel wir mit einem Produkt erreichen können? Die Antwort lautet: über die Signale und Eigenschaften, die das Produkt sendet. Über die so genannte Statistik der Umwelt und unser Erfahrungswissen weiß unser Gehirn, welches Signal zu welchem Ziel passt. Wir haben gelernt, dass wir mit einem großen und sehr schnellen Auto eher das Ziel Status erreichen können als mit einem kleinen Auto. Die Signale der Produkte sagen uns, welches Ziel wir mit ihnen erreichen können. Und wenn wir ein Ziel haben, dann halten wir implizit Ausschau nach Signalen, die mit einer Zielerreichung gekoppelt sind. Ziele sind unmittelbar an Signale gekoppelt und das hilft in der Marketingpraxis enorm, weil sich hier klare Leitlinien für die Auswahl von Signalen zum Beispiel in der Kommunikation ergeben.

Nehmen wir als Beispiel Tierfutter. Wenn wir als Hersteller von Katzenfutter das Ziel der "Katzenmutter" bedienen wollen, ihre Katze zu verwöhnen, welche Packungsgröße ist dann richtig? Klein. Eine große Packung ist praktisch und vielleicht auch günstiger, aber sie passt nicht zum mentalen Konzept "Verwöhnen", das haben wir über die Statistik der Umwelt so gelernt. Wenn wir beim Joghurt das Ziel "Fürsorge" adressieren wollen, dann ist ein Mehr an Sahne richtig und nicht "weniger", wie in der Light-Variante. Wenn wir als Marke für das Ziel "perfekte Schönheit" stehen, dann wird es schwer werden, ein entspannendes Schaumbad zu vermarkten.

Die zwei Arten von Konsumzielen
Wir haben jetzt viel von Zielen gesprochen und auch schon einige kennen gelernt. Wenn Ziele so wichtig sind für das Marketing, dann müssen wir wissen, welche Ziele es gibt. Was ist es, was Kunden haben, tun oder sein wollen? Was ist das eigentliche Ziel, das die Kunden erreichen wollen? Wir kaufen ein Deo, damit wir nicht nach Schweiß riechen. Aber an ein Deo sind noch andere mentale Konzepte gekoppelt, zum Beispiel Attraktivität. Gleiches gilt für Zahnpasta: Wir wollen zuerst unsere Zähne gesund erhalten, aber damit sind dann auch noch andere, übergeordnete Ziele wie zum Beispiel Sicherheit im öffentlichen Auftritt verbunden. Es gibt also zwei Arten von Zielen: das explizite Ziel, das die Basis für den Konsum bildet, und ein übergeordnetes implizites Ziel. Wichtig ist nun: Explizite und implizite Ziele stehen nicht wie bei "Emotion versus Ratio" in einem Widerspruch zueinander, sondern sie sind untrennbar mit-einander verbunden. Es geht um die Verknüpfung "explizites Basisziel, deshalb implizites Ziel".

Codes strategisch in der Kommunikation nutzen
Welche Ansätze ergeben sich nun aus diesen Erkenntnissen für die Kommunikationsstrategie? Wenn wir eine differenzierende Produkteigenschaft haben, die ein relevantes Ziel aktiviert, dann kann diese Produkteigenschaft inszeniert und in den Mittelpunkt gestellt werden. Ein Beispiel dafür ist die iPhone-Kampagne, bei der die Bedienung mit dem Finger inszeniert wird. Ein weiterer Ansatzpunkt für die Kommunikation ist es, zu inszenieren, wie eine Produkteigenschaft hilft, ein implizites Ziel zu erreichen und diese Verknüpfung in den Mittelpunkt zu stellen. Ein sehr gelungenes Beispiel dafür ist ein aktueller Werbespot von Mercedes-Benz für die E-Klasse. Der Spot zeigt, wie man den ganzen Weg von der Produkteigenschaft bis zum impliziten Ziel optimal inszenieren kann.

Der neue Brems-Assistent (Produkteigenschaft) verhilft zu einem kürzeren Bremsweg (Basisziel) und das gibt demFahrer mehr Sicherheit, aber auch mehr Souveränität (implizites Ziel). Bei BMW hätte man die Produkteigenschaft mit einem anderen impliziten Ziel verknüpft: Wir hätten den kürzeren Bremsweg daran gekoppelt, dass wir dann in den Kurven noch schneller fahren und noch mehr Spaß haben können. Für Volvo hätten wir vor allem den Sicherheitsaspekt in den Vordergrund gestellt. Alle diese Verknüpfungen sind möglich. Je nach Ziel, mit dem wir unsere Marke koppeln wollen oder für das unsere Marke schon steht, können wir eine Produkteigenschaft so oder so inszenieren. Die Marke Guinness ging einen anderen, aber auch sehr zielführenden Weg. Auch hier startet man vom Produkt und seinen differenzierenden Merkmalen. Der Spot aber zeigt nicht den ganzen Weg, sondern nur das daran angebundene implizite Ziel.Das Typische am Guinness-Bier ist die Zeit, die es beim Einschenken benötigt, und die Stärke des Biers. Wenn das Bier eingeschenkt wird, produziert es zuerst einmal viel Schaum. Das ist der Grund, warum es so lange dauert, bis man es trinken kann. Diese erlebbare Produkteigenschaft wurde hier metaphorisch über die Kampagnenidee "Good things come to those who wait" inszeniert. Und dieser Gedanke, der sehr eng, wenn auch metaphorisch, am Produkterlebnis ist, wurde von Guinness in mehreren Werbespots erfolgreich umgesetzt.

Vor der Ausstrahlung des TV-Spots wurden natürlich auch Konsumenten befragt. Die Empfehlung der Marktforscher war dann, die Pferde aus dem Spot herauszulassen, mit der Begründung, dass die Konsumenten diese unrealistisch fänden. Es geht aber nicht um Realismus, sondern darum, womit dieses Signal intuitiv gekoppelt ist, wofür Pferde ein Code sind. Und diese Pferde stehen für Stärke, Wildheit und Kraft - genau die Konzepte, die mit Guinness verbunden werden. Auch hier zeigt sich wieder, dass die Perspektive
der Ziele und der Codes Leitlinien und Freiheit zugleich bietet.

Kommunikationsansätze, die nur das implizite Ziel bzw. die übergeordnete Belohnung adressieren, ohne eine Anbindung an eine wahrnehmbare Produkteigenschaft, sind dagegen wenig erfolgsversprechend. Wenn der TV-Spot ohne genau dieses Produkt erzählt werden kann, bleibt er wirkungslos. Ohne Produktbezug sind es nur schöne Bildchen. So wäre der Guinness-Spot für Heineken zwar denkbar gewesen, aber das Produkt hätte es nicht hergegeben und die Inszenierung wäre nicht glaubwürdig gewesen.

Die Autoren: Christian Scheier ist Gründer und Geschäftsführer der decode implicit marketing in Hamburg. Johannes Schneider ist Partner der decode implicit marketing in Hamburg

Ihre Gastbeiträge auf ONEtoONE:

Veröffentlichen auch Sie ihre Gastbeiträge auf ONEtoONE. Einfach PremiumPlus-Mitglied werden und loslegen!

Gastbeiträge veröffentlichen

www.hightext.de

HighText Verlag

Mischenrieder Weg 18
82234 Weßling

Tel.: +49 (0) 89-57 83 87-0
Fax: +49 (0) 89-57 83 87-99
E-Mail: info@onetoone.de
Web: www.hightext.de

Kooperationspartner des

Folgen Sie uns:



Besuchen Sie auch:

www.press1.de

www.ibusiness.de

www.neuhandeln.de