von Gastbeitrag
Wie der Glaube an den Mythos "Kommunizieren kann jeder" Marken zerstört. Sprache - und damit ist das gesamte kommunikative Vermögen, über das ein Organismus verfügen kann - gemeint, existiert einfach. Wir sprechen verbal (u. a. in Texten und Gesprächen) sowie nonverbal (u. a. durch Bilder, Gestik, Mimik). Sprache ist für uns im Alltag selbstverständlich. Dabei wissen wir so wenig über Funktion, Wesen und Wirkung von Sprache. Was im Privaten zu Missverständnissen führt, hat in der strategischen Markenführung zunehmend verheerende Folgen.
Kaum eine Sprache auf unserer Welt ist als so inhaltslos und störend zu beschreiben wie diejenige, die wir tagtäglich aus den On- und Offline-Medien der strategischen Markenkommunikation vernehmen. Und viele Markenverantwortliche zeigen sich resistent gegenüber der Einsicht, dass Kommunikation wirklich nur dann funktionieren, das heißt handlungsanweisend sein kann, wenn die kommunizierten Wörter auch tatsächlich einen "Inhalt" haben. Was so salopp klingt, verbirgt einen der komplexesten Prozesse, dem sich die strategische Markenführung und Markenforschung zu stellen hat: dem "Greifbarmachen" von Bedeutungen und Bedeutungsnuancen. Dies erfordert die rigorose Abkehr von zentralen Irrtümern zur Sprache.
Irrtum Nr. 1: Sprache ist ein Transportmittel.
In der strategischen Markenführung wird Sprache als Transportmittel gesehen. Die Sicht der Markenverantwortlichen ist: Sprache hat die Funktion eines Instrumentes, Informationen von "innen" (Unternehmen) nach "außen" (Zielgruppen) zu transportieren. Das herkömmliche Sender-Empfänger-Modell dominiert das Denken. Sprache wird somit innerhalb der Unternehmen als ein geschlossenes System von Zeichen verstanden, die als Transportmittel dienen, um Sachverhalte und/oder beabsichtigte Emotionen zu beschreiben. Das hat zum einen zur Folge, dass die Sprache in ihrem Potenzial verschwindend gering genutzt wird.
So gibt es ...
... rationale und emotionale Worte und Formulierungen,
... komplizierten und einfachen Satzbau,
... indirekte und direkte Ansprache,
... eine mehr aktivere Ansprache durch Adjektive und Verben sowie eine mehr verharrend-bürokratische Sprache bei hochfrequentem Gebrauch von Substantiven.
Damit erschöpft sich auch schon größtenteils das Leistungspotenzial der Sprache im Kontext des Marketings. Und zum anderen hat dieses Denkmuster zur Folge, dass sich die Sprache in Unternehmen durch den Instrumenten-Charakter in ihrem Wirkungsverhalten äußerst negativ und restriktiv verhält: Sie ist klinisch, also künstlich erzeugt, und damit gefühllos, tot, leer. Die Leidtragenden dieses einseitigen Prozesses sind die Markenverantwortlichen, die horrende Budgets für inhaltslose Kommunikation aufwenden, die Menschen, die unter der sprichwörtlichen Kommunikationsflut genervt weghören, sowie die Marke. Auch sie leidet. Nämlich unter einer ungeheuren Sprach-, Inhalts- und damit Bedeutungslosigkeit.
Irrtum Nr. 2: Jedes Wort hat seine feste Bedeutung.
Wir müssen nur "sagen", was wir "meinen".
Jedes saloppe "Wie geht´s dir?" in der Alltagssprache hat mehr Bedeutung als so manche Kommunikation der Marke.
Auf dem Gebiet der Werbe- bzw. Markensprache ist fast kein Wort mehr übriggeblieben, das nicht schon hemmungslos vermarktet, verdorben oder missbraucht worden ist. "Professionalität", "Flexibilität", "Qualität", "Sicherheit", "Sportlichkeit" und dazu die tausenden und abertausenden Superlative ("Das Beste", "Das Hochwertigste") und Elative ("super", "geil", "mega"), die nur noch das kalte Abbild ihrer inhaltslosen Hülle sind. Die Verwunderung seitens der Unternehmen ist hoch, warum wir sie eiskalt ignorieren. Ihr Inhalt wird herabgesetzt zu einer fassadenhaften, attributiven Etikettierung von Produkten und Dienstleistungen, die es nicht mehr aus eigener Kraft schaffen, sich von anderen Produkten und Dienstleistungen zu differenzieren.
Warum auch? Man kann Menschen doch alles verkaufen, wenn man es nur schön verpackt! Verpackt mit Worthülsen, die bedauerlicherweise jedoch - das Verständnis scheint langsam durchzusickern - in ihrem Repertoire erschöpft werden: Zunehmend wissen die Unternehmen nicht mehr, welche Worte sie noch für die Beschreibung ihrer Marke nehmen sollen, denn schließlich hat der Mensch einen begrenzten Wortschatz von ca. 5000 Wörtern.
Doch: Es existieren keine eindeutigen, festen Wortbedeutungen! Sprache ist niemals statisch, sondern in ihrer Entstehung, Wirkung und Auswirkung hochdynamisch und komplex. Sprache ist kein abbildendes Werkzeug, das beliebig "feste" Inhalte auf den Weg zu den Zielgruppen schickt. Zu jedem Wort existieren rein theoretisch tausende verschiedene Bedeutungen. Eine feste Bedeutung erhält ein Wort erst durch den Kontext, in dem es verwendet wird.
Beispiel "Sicherheit": Im Kontext "Familie" bedeutet Sicherheit etwas gänzlich anderes als im Kontext "Autorennen". Auch der Markenwert "sportlich", der im Kontext "Auto" für die Marke BMW steht, besitzt eine Vielzahl von verschiedenen Bedeutungsnuancen. Wirklich mit Inhalt gefüllt wird die Bedeutung von "sportlich" jedoch erst, wenn es in die Alltagssprache der Menschen übergeht.
Wie ein Wort in die Sprachgemeinschaft übergeht, kann von den Unternehmen niemals zu 100% gesteuert werden. Doch das Wissen, wie sich Bedeutungen in den verschiedenen Rezeptionskontexten von Marken verhalten und verändern, verschafft den Markenverantwortlichen den entscheidenden Vorteil. Marken müssen innerhalb der alltäglichen Sprachstrukturen der Menschen "lebendig" werden. Diese Lebendigkeit charakterisiert die Sprache der Marke. Alles andere ist klinische und damit leere (Werbe-)Kommunikation.
Irrtum Nr. 3: Die Unternehmen kommunizieren, die Zielgruppen rezipieren.
Mit dem Internet kam die Diskussion eines Machtwechsels auf. Marken werden nun "demokratischer", wie manche Experten es nannten. Tatsächlich muss die Marke jedoch als Grundbesitz der Wissensgesellschaft begriffen werden. "Marken sind emergente Phänomene, an deren Entstehen zwei Seiten beteiligt sind: der Markenanbieter und die Markenkundschaft", so Peter G. C. Lux, Berater für systemische Markenführung. Dieser zentrale Gedanke liegt auch den Mechanismen der linguistischen Markenführung zugrunde. Die Linguistik ist die Wissenschaft der Sprache, genauer: des strategischen Bedeutungstransfers. Dieser Bedeutungstransfer - aus dem Unternehmen in die Gesellschaft und vor allem aus der Gesellschaft wieder zurück ins Unternehmen - wird zukünftig in den Fokus der strategischen Markenführung rücken. Kommunikationsdienstleister behaupten immer noch, gezielt kommunizieren zu können, Zielgruppen exakt zu erreichen, Markenbotschaften auf den Punkt positionieren zu können. Doch die Gesellschaft ist konstitutiv für alle Markenbildungsprozesse. Und für sie ist weiterführend charakteristisch, dass sie eben nicht die von den Unternehmen kommunizierten Bedeutungen so "schluckt", wie sie abgesandt worden sind. Wir brauchen Zugang zu den tiefensprachlichen Prozessen der Gesellschaft. Modellhafte und schematisierte "Brand Positioning"-Ansätze sind hier längst an ihre Grenzen gestoßen.
Der linguistische Markenführungsansatz: Eine Marke, über die nicht gesprochen wird, existiert nicht.
Es scheint die ungeheure Machtlosigkeit den elementaren Marken(bedeutungs-)bildungsprozessen gegenüber zu sein, die eine solch starke Vereinfachung der Marke und ihrer Sprache als Instrument provozieren. Marken spüren wir häufig nur in ihrer Auswirkung (Markenloyalität, Markenbindung, Bildung einer Markenfangemeinde, Online-Community etc.), ihr Wesen ist uns fremd. Dies ist fast paradox. Denn Marken entstehen nicht nur mit und unter uns, sondern durch uns. Genauso wie unsere Sprache. Es wird Zeit, diesem komplexen Zusammenhang auf den Grund zu gehen.
Die Linguistik ist die Wissenschaft von den Bedeutungen und dem gezielten Bedeutungstransfer. Der linguistische Markenführungsansatz nutzt semantische Methoden und Instrumente, um Zugang zu den Bedeutungsräumen einer Marke zu bekommen. Er lehnt es hierbei ab, Wörter als hüllenähnliche Transportmittel zu betrachten, und öffnet den Blick für ein Sprachverständnis, das Kommunikation als das
versteht, was sie ist: ein dynamischer Erkenntnisprozess. Manifestationspool für Einstellungen, Meinungen und Gefühle. Und nicht zuletzt auch immer Repräsentation und Teil der eigenen (Marken-)Persönlichkeit: Markenkommunikation ist immer substanziell verankerte Kommunikation mit und innerhalb der Gesellschaft. Wir sprechen von, aber vor allem auch durch Marken!
Unser Verständnis von Funktion, Wesen und Wirkung von Sprache muss aktualisiert, erweitert und vertieft werden. Die Individuen beeinflussen sich in ihrem Sprachgebrauch gegenseitig, man darf nicht von einem geschlossenen System sprechen. Elementar zu berücksichtigen ist im Rahmen der Markenführung die Schöpfung der Sprache im Sprechen, also der individuelle Sprachgebrauch, verstanden als Stil. Eine Marke geht niemals in das Sprachgeschehen integrativ ein, wenn sie "nachplappert". Sie muss ihren eigenen Sprachstil haben, der elementar durch die Gesellschaft mitbeeinflusst und dann wieder gespiegelt wird. Durch den Instrumenten-Charakter kommt zunehmend "tote" und "leere" Kommunikation innerhalb der Gesellschaft an. Diese führt zu einer eiskalten Reaktionslosigkeit von Seiten der Gesellschaft gegenüber der Marke. Man spürt den instrumentellen Charakter an allen Ecken und Enden. Es wird sprichwörtlich "abgeschaltet".
Das, was kommuniziert wird, ist nicht das, was rezipiert wird.
Durch den von den Markeninhabern (Unternehmen) und ihren Dienstleistern (Agenturen) zugrunde gelegten und praktizierten Instrumenten-Charakter der Sprache kann und findet die Willkürlichkeit des sprachlichen Zeichens keine Berücksichtigung. Die Unternehmen gehen von der Annahme aus, dass Sprache per se existiert und damit jedes Wort "seine ihm eigentümliche Bedeutung besitzt". Doch Sprache ist niemals statisch, sondern in ihrer Entstehung, Wirkung und Auswirkung hochdynamisch und komplex. Sprache ist kein abbildendes Werkzeug, das beliebig mit künstlichen, d. h. klinischen Inhalten gefüllt werden kann. Der linguistische Markenführungsansatz zeigt ein sprachrealistisches, anwendungsbezogenes Modell auf, das Bedeutungen und Bedeutungsnuancen "greifbar" macht. Ziel ist die Abbildung einer sprachlichen Tiefenstruktur der Marke, die es den Verantwortlichen (Unternehmen, Agentur) ermöglicht, Bedeutungen greifbar zu machen und maximal auf die Marke individualisiert abgestimmt kommunizieren zu können.
Doch: Der Faktor "Sprache" - einmal als unbedingter Bestandteil im Aufbau und Wesen der Marke akzeptiert - ist die grundlegende "Unsicherheitsvariable" im Rahmen der Markenführung. Denn Sprache existiert nicht per se, sondern entsteht erst durch eine Wechselbeziehung lebender Organismen. Qualität, Wirkung und Auswirkung von Sprache sind demnach Variablen, die sich erst in der dialogischen und dynamischen Interaktion sozialer Diskurse zeigen. Man kann nur den Blick dafür öffnen und schärfen, eine hundertprozentige Steuerung von Sprachprozessen ist illusorisch.
Die Autorin: Dr. Inga Ellen Kastens ist Beraterin für lingusistische Markenführung, Köln. Sie referierte zu dem Thema anlässlich des 2. G.E.M.-Forums "Wie Marken sprechen. Impulse aus der Linguistik für die Markenführung", der G.E.M. Gesellschaft zur Erforschung des Markenwesens e. V. in Hamburg
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