Christoph Magnussen: Mundpropaganda ist kein Zufall - wie Markenbotschafter und Social Media die Werbewelt umkrempeln

von Gastbeitrag

Es ist schon ungewöhnlich, wenn sich 500 Studenten vor einem Hörsaal drängen und auf Einlass warten. Noch ungewöhnlicher, wenn das auch noch während der Semesterferien stattfindet. So fällt es kaum auf, als sich ein junger Amerikaner durch die Menge schiebt, um zur Tür zu gelangen - könnte ja eigentlich ein amerikanischer Austauschstudent sein. Jedoch handelt es sich um den Facebook-Gründer Mark Zuckerberg, der auf dem Weg zum Kick-off-Event mit seinen 50 Berliner Facebook-Botschaftern ist. Diese warten bereits im Hörsaal auf ihn. Die geduldige Horde vor der Tür wird erst 30 Minuten später zum öffentlichen Teil der Veranstaltung dazugeholt. Was hat es mit diesen Botschaftern auf sich? Als Facebook Ende 2008 aktiv in den deutschen Markt geht, ist vielen Studenten die Community aus Palo Alto noch kein Begriff oder wird nur dazu genutzt nach einem Auslandssemester mit den Freunden aus dem Ausland Kontakt zu halten. Das soll sich mit Hilfe einer PR-Kampagne und durch die Unterstützung der Facebook-Botschafter ändern. Mittlerweile gehören Begriffe wie Word-of-Mouth-Marketing, Mundpropaganda oder Markenbotschafter zum Standardwortschatz eines gut informierten Marketingverantwortlichen. Dabei ist das Thema keinesfalls so neu, wie oft dargestellt.

Bekannte Marken wie Apple oder Red Bull setzen seit Jahren auf Markenbotschafter, deren Aufgabe es vereinfacht gesagt ist, ihre Lieblingsmarke im eigenen sozialen und beruflichen Umfeld zu repräsentieren - so wie eben Botschafter einer Nation das Heimatland in einem Gastland vertreten. Auch Marken wie Coca-Cola, McDonald´s, Microsoft oder die Telekom haben das Potenzial dieser Werbeform erkannt und schicken ihre eigenen Botschafter ins Rennen, um auf Augenhöhe mit der Zielgruppe ins Gespräch zu kommen. Unter dem Überbegriff "Word-of-Mouth-Marketing" lassen sich alle Werbeformen zusammenfassen, bei denen es genau darum geht: Gespräche auf Augenhöhe. Botschaftermarketing zielt genau darauf ab, hat aber eine langfristige Ausrichtung. So hatte Apple schon in den 80er-Jahren einen eigenen Chief Evangelist Officer, der sich nur um die Botschafter gekümmert hat. Harley-Davidson baute schon lange, bevor es Communities im Internet - geschweige denn das Internet überhaupt - gab, die so genannten H.O.G. (Harley-Davidson-Owner-Groups) auf und machte so aus Kunden Markenbotschafter.

Der große Vorteil im Vergleich zu klassischen Werbeformen liegt in der persönlichen Beziehung. Redet man mit Kollegen, Freunden oder Bekannten über eine Marke oder ein Produkt, sorgt die vorhandene Vertrauensbasis für eine höhere Glaubwürdigkeit, als es bei klassischen Werbemaßnahmen der Fall ist. Eine so vermittelte Werbebotschaft hat eine sehr viel höhere Wirkung als Plakate, Banner oder TV-Spots. Gemäß einer Studie von PQ Media lässt sich dieses Phänomen konkret beziffern: So liegt der Einfluss von Freunden und Bekannten auf unsere Kaufentscheidung bei über 90%, wohingegen Print und TV auf nur 70% bzw. 69% kommen. Schön und gut. Aber nun sind Marken wie Facebook, Apple, Red Bull oder Harley-Davidson sehr beliebt oder anders ausgedrückt sehr cool, werden jetzt viele sagen. Das ist absolut richtig, und bei den meisten Produkten dieser Kategorie ist das Marketing bereits fester Bestandteil des Produktes und damit auch der Lebenswelt der Kunden. Man denke nur an die Apple-Entwickler- Community, die sich untereinander austauscht, oder an die Mitglieder der Harley-Davidson-Owner-Groups, die sich zum gemeinsamen Fahren und Schrauben verabreden. Was ist nun aber mit Produkten, die kein so hohes Involvement bzw. nur einen geringen Coolness-Faktor besitzen? Man denke an Banken, Waschmittel, Zahnpasta oder Bürobedarf. Hier geht es darum, einen Ansatz für etwas zu schaffen, das der Rede wert ist - also mehr als nur den rationalen Produktnutzen. Was nicht funktioniert, ist eine Story zu haben, ohne einen echten Mehrwert zu erbringen. Produkte, die nicht gut sind, werden auch nicht durch die beste Werbung verkauft. Schlimmer noch: Negative Mundpropaganda verbreitet sich noch schneller als positive.

Ein gutes Beispiel für ein Produkt, bei dem das Involvement gering ist und ein Botschafterprogramm dennoch sehr gut funktioniert, ist das "Young&Free Alberta"-Programm der Credit Union aus Kanada. Die Bank hat es geschafft, seit mehr als 3 Jahren ein erfolgreiches Botschafterprogramm für die Zielgruppe der unter 25-Jährigen zu etablieren. Jedes Jahr wird eine "Spokesperson" aus mehreren hundert Bewerbern aus dem Kreise der Kunden ausgewählt, die auf Events auftritt, regelmäßig bloggt und über Social Networks oder über Videoplattformen mit der Zielgruppe in Verbindung bleibt. Der Erfolg gibt dem Programm recht: Mehr als zwei Drittel der Neukunden in der Zielgruppe haben sich dank der gezielten Mundpropaganda für die Bank entschieden.

Mundpropaganda entsteht aber keineswegs zufällig oder von allein. Sie muss gezielt angestoßen und in Gang gehalten werden. So hat das US-Textilunternehmen The GAP Inc. im Sommer 2005 ein Botschafterprogramm gestartet, bei dem durch virale Effekte die Wahrnehmung und Zahl der Anproben einer neuen Jeans-Reihe gesteigert werden sollten. Die Kernzielgruppe des Programms waren junge Frauen, sodass GAP 100 Botschafterinnen in den Top-Märkten auswählte. Den Botschafterinnen wurden Tools wie Mailings, Rabatt-Flyer und eine eigene Website zur Verfügung gestellt. Die Aufgabe bestand darin, mit Hilfe dieser Tools im Freundeskreis für die neue Jeans-Reihe zu werben. Das passierte natürlich nicht ganz ohne Anreiz: Den Botschafterinnen stand eine von GAP finanzierte Style-Party in Aussicht, bei der jede von ihnen 30 Freunde einladen durfte. Natürlich wurde über diese Partys, bei denen auch Anproben und Rabatt-Flyer angeboten wurden, auf der Website berichtet. Auch hier zeigt sich im Ergebnis die absatzfördernde Wirkung dieser Werbeform. Die neue Jeans-Reihe war zeitweise komplett ausverkauft. Die Botschaftermitgliedskarten, auf die ein Discount von 25% gegeben wurde, sind wie erhofft im Freundeskreis herumgereicht worden, sodass eine bemerkenswerte Einlösrate von 577% erzielt werden konnte.

Für ein eigenes Botschafterprogramm sollten fünf Punkte berücksichtigt werden. Zunächst wird auf Basis der bisherigen Marketingmaßnahmen und des Customer-Benefits des Produktes eine geeignete Story entwickelt, die wie schon erwähnt tatsächlich der Rede wert sein sollte. Es geht hier um etwas, das "größer" ist als der rationale Nutzen. So verkauft Harley-Davidson zwar Motorräder, steht aber eigentlich für Freiheit. Oder Starbucks, die eigentlich Kaffee verkaufen, aber in den USA, wo die Café-Haus-Kultur nicht wie in Europa existiert, einen Anlaufpunkt für Freunde schafft, um gemeinsam eine gute Zeit zu verbringen. Oder Mark Zuckerberg, der mit Facebook ein Tool bieten möchte, das es so einfach wie möglich macht, mit seinen Freunden zu kommunizieren - also ganz klar mehr als nur eine weitere Social Community.

Erst nachdem die Story steht, geht es darum, die richtigen Botschafter zu finden. Das heißt nicht, dass eine beliebige Anzahl Adressen aus der Datenbank gezogen werden soll, an die dann ein Mailing versendet wird. Vielmehr geht es zunächst darum, den eigenen Kunden richtig zuzuhören und den Fans unter ihnen anzubieten, bei dem Programm mitmachen zu können. Viele Unternehmen übersehen diese naheliegende Option, Botschafter zu gewinnen, und suchen nach externen, meist viel teureren Möglichkeiten.

Im dritten Schritt geht es darum, die Botschafter richtig anzusprechen und zu aktivieren. Richtig ansprechen ist hier das Stichwort. Denn "plumpe Anmachen" sind wie im wahren Leben ein klares No-go. So kann ein Brand-Manager von Ford in den USA zum Beispiel nicht einfach einen Link zum Botschafterprogramm in einem Ford-Mustang-Fan-Forum im Internet platzieren. Wenn er Kommunikation auf Augenhöhe betreiben und die Web-Etikette wahren wollte, müsste er mit den Gründern in Kontakt treten und darauf setzen, dass er "eingeladen" wird. Ein gutes Beispiel ist die erfolgreichste Markenseite auf Facebook von Coca-Cola. Hier haben zwei einfache Cola-Fans die Seite ins Leben gerufen und in kurzer Zeit ein paar hunderttausend Unterstützer auf die Seite locken können. Aber statt mit einer Klage zu drohen, hat ein Brand-Manager von Coca Cola die beiden in die Firmenzentrale nach Atlanta eingeladen und sie gefragt, ob sie sich vorstellen könnten, die Seite mit Coca-Cola gemeinsam zu betreiben. Mit über 5 Millionen Fans ist die Coca-Cola-Fan-Page derzeit auf Facebook ungeschlagen.

Erst jetzt werden Tools interessant, um die Reichweite eines Programms zu verstärken, den Erfolg der Maßnahme zu messen und die Botschafter im Rahmen der Möglichkeiten zu steuern. Anhand der vielen Online-Plattformen ist es heute sehr leicht möglich, die Reichweite eines Programms sehr günstig zu erhöhen und gleichzeitig die potenziell erreichten Kontakte abschätzen zu können. Eine hohe
Kontaktzahl auf Plattformen wie XING, Facebook oder Twitter sind ein guter Indikator für das soziale Umfeld im echten Leben. Die echten Kontakte sind nämlich nicht ganz unwichtig. Denn der Großteil aller Gespräche findet immer noch persönlich statt. Gemessen wird am Ende immer die Gesamtzahl der Interaktionen, die im persönlichen Austausch zwischen zwei Menschen bestehen, die in einer Beziehung zueinander stehen. Ob online oder offline spielt dabei zunächst einmal keine Rolle, da die Wertigkeit von der Person ausgeht, also mit dem Botschafter zusammenhängt.

Schlussendlich gilt es noch, die richtigen Anreize für Botschafter zu setzen. Dabei muss zwischen monetären und nichtmonetären Anreizen unterschieden werden. Beides ist möglich, jedoch darf nie ein verkäuferisches Ziel hinter den Anreizen stehen oder nach außen hin verschwiegen werden, dass es Anreize - egal welcher Art - gibt.

So hatten auch die Facebook-Botschafter einen attraktiven Anreiz, sich besonders stark in das Programm einzubringen. Denn den Besten unter ihnen stand eine Woche kalifornische Sonne und vor allem ein längerer Besuch in der Unternehmenszentrale von Facebook bevor, bei dem sie die Menschen kennen lernen konnten, die hinter dem derzeit erfolgreichsten Social Network der Welt stecken.

Der Autor: Christoph Magnussen ist Mitgründer und Geschäftsführer der smaboo AG, die sich seit 3 Jahren mit den Themen Word-of-Mouth- und Botschaftermarketing beschäftigt und Kunden dabei hilft, eigene Botschafterprogramme aufzubauen

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