Klaus Bernsau: Zurück zum Ursprung - zurück zum Gespräch. Über die wahre Bedeutung der Kommunikation für Unternehmen (Teil II)

von Gastbeitrag

"Wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen." Ludwig Wittgenstein, Tractatus logico-philosophicus, Satz 7

"Wenn man keine Ahnung hat. Einfach mal Fresse halten."
Dieter Nuhr

Die Verunsicherung über den Begriff Kommunikation nimmt mit jeder vermeintlichen Innovation des Web 2.0 zu. Um das Konzept Kommunikation überhaupt noch sinnvoll für Unternehmen nutzen zu können, müssen wir zurück zu den Ursprüngen zum menschlichen Gespräch. Hierin liegt - so wurde im ersten Teil dieses Textes dargelegt - enormes Potenzial für eine erfolgreiche und wirkungsvolle Unternehmenskommunikation. Wie dieses realisiert werden kann, darum soll es in diesem Teil gehen.

Wir erwerben uns unter der Hilfestellung unserer Mütter, Väter, Geschwister, Lehrer, naher und ferner Sozialpartner eine gewisse Fähigkeit zur Kommunikation mit anderen Menschen und zur sozial, körperlich und psychisch verträglichen Einordnung unserer Wahrnehmungsreize. Und diese Fähigkeit übertragen wir dann auch auf die Wahrnehmung und die Kommunikation von Menschen, die nicht in räumlicher Nähe oder nicht mit uns in einem sozialen Verhältnis stehen. Das können dann der Taxifahrer in Mumbai, Thomas Gottschalk im Fernsehen oder Toyboy64 im Internetchat sein. Dabei konstruieren wir immer ein Bild des Gegenübers und seines Verhaltens, um dies mit unserem Weltverständnis, aber auch unseren ganz aktuellen Bedürfnissen und Zielen abzugleichen.

Und so gehe ich auch mit der Kommunikationssituation zwischen mir und dem Media-Markt um. Ich bin kein willenloses Opfer, kein Empfänger, sondern ich bin ein frei nach meinen Wünschen und Zielen handelnder Mensch. Ich bin möglicherweise als Kind der 70er kritisch gegenüber Konsumwerbung sozialisiert worden. Ich schau gar nicht hin, wenn Werbung kommt. Oder ich nehme durchaus die Angebotsmöglichkeit der Konsumwelt war, will wissen, welche Produkte aktuell von meinen Mitmenschen wahr-genommen werden könnten, ich will ja nicht als Außenseiter dastehen. Das ist ein komplizierter Prozess und sicher wird der Aussage meines besten Freundes meist mehr Gewicht zukommen als der Aussage von Mario Barth in einem TV-Spot. Unternehmen machen es sich meist viel zu leicht in ihrem Umgang mit Kommunikation. Entweder schauen sie nur, was hinten rauskommt: Viele Werbeminuten bringen viele Verkäufe. Oder sie wollen wissen, ob einem Konsumenten der Werbespot gefällt oder ob er ihn sich merken kann. Beides kann hilfreich, aber auch völlig nutzlos sein. Wenn ich nur auf die Korrelation zwischen Werbevolumen und Abverkauf geachtet habe, weiß ich nicht, wie ich reagieren muss, wenn auf einmal trotz steigender Werbeausgaben die Verkäufe sinken. Und natürlich ist ein gut erinnerter und gut bewerteter Spot keine Garantie für Abverkäufe.

Der Rückgriff auf die einfachste, die Zweier-Kommunikations-Situation, ist ungeheuer ergiebig für das Verstehen auch von komplizierteren medienvermittelten Kommunikationsformen. Wenn ich friere und sage: "Kann mal jemand das Fenster zumachen?", und das Fenster wird geschlossen, habe ich erfolgreich kommuniziert. Trotzdem habe ich in meinem Leben gelernt, unter bestimmten Bedingungen auf mehr zu achten als das bloße Erreichen meines Zieles. D. h. ich werde mir wohl überlegen, wie ich z. B. meinem Chef oder meiner Frau den Wunsch nach dem geschlossenen Fenster mitteile. Ich weiß - rational und emotional -, dass das Fenster nur eine kurze Episode in einer langen Beziehung und einem entsprechend langen Kommunikationsverhältnis ist. D. h. möglicherweise hat das erstgenannte werbende Unternehmen, bildlich gesprochen, seine Frau immer angeschrien, sich gefreut, wie brav das Fenster geschlossen wurde, und findet sich eines Morgens allein und verlassen zurück als Opfer seiner kommunikativen Unsensibilität. Und unser zweites Unternehmen macht den Fehler einer Frau, die zu viel Wert auf kommunikative Oberflächlichkeiten legt und es ihrem Mann übel nimmt, dass dieser nicht mehr weiß, welches Kleid sie beim ersten Treffen getragen hat, obwohl er ihr aber täglich mit seinem aufmerksamen Verhalten zu verstehen gibt, wie sehr er sie liebt.

Unternehmen müssen ihre Aphasie überwinden - sie brauchen ein Kommunikationsgehirn
Weil Kommunikation eben kein lineares Reiz-ReaktionsMuster ist, kein objektiver - für alle gleicher - Gegenstand, kommen Unternehmen nicht umhin, ihre Kommunikationsbeziehungen ganzheitlich zu gestalten. D. h. sie müssen komplexe Interpretationen von sich selbst und ihren wichtigen Partnern pflegen und diese ständig im Dialog mit ihnen prüfen und verändern. Und das ist leider nicht trotz, sondern wegen der vielen Kommunikationshilfsmittel, die wir haben, sehr aufwendig. Unternehmen müssen ein Gehirn ihrer Kommunikation aufbauen. Und ein Gehirn ist eben kein lebloses Zahlen- oder Belegarchiv, sondern die ständige dynamische Interpretation immer neuer Reize und ein sinnhaftes, episodisches Gedächtnis. Es braucht dafür Geld, Zeit, technische Hilfsmittel und vor allem viel Wissen über Kommunikation. Nur mit diesem Fachwissen kann es überhaupt gelingen, so etwas wie Massen- oder medienvermittelte Kommunikation als Unternehmen zu betreiben, sonst werden wir alle auf unsere begrenzten Ressourcen der direkten persönlichen Kommunikation zurückgeworfen.

Die schmerzliche Quintessenz des Wesens der Kommunikation für Organisationen ist, dass sie im Zweifel alle zu wenige Ressourcen für ihre Kommunikation aufwenden. Sie haben keine Vorstellung von sich selbst, keine Vorstellung von ihrem Gegenüber, ganz zu schweigen von einer Idee, welche Vorstellung das Gegenüber vom Unternehmen hat. Sie sind von schwerer Aphasie befallen. Die meisten Unternehmen müssen folgerichtig enorme Anstrengungen unternehmen, wenn sie wieder das erreichen wollen, wozu die Gattung Mensch die Gabe der Kommunikation entwickelt hat, Sicherheit und Stabilität in unseren Lebensumwelten und die Fähigkeit, das eigene Verhalten auf unsere (soziale) Umwelt abzustellen und auf diese Einfluss zu nehmen. Gerade in Krisenzeiten wird diese mangelnde Fähigkeit schmerzhaft bewusst. Solange alles im bewährten Trott des unveränderten Wiederkaufs ablief - kommunikationswissenschaftlich gesprochen ein Ritual und keine Kommunikation -, fiel die Aphasie nicht sonderlich auf. Heute müssten viele Unter-nehmen und Organisationen zur Kommunikationskrisen-Therapie. Organisationen, die nicht willens oder in der Lage sind, die notwendigen Ressourcen für diese Sicherheit und Planbarkeit durch Kommunikation bereitzustellen, bleiben hilflose Stammler. Sie müssen andere Geschäftsmodelle entwickeln, um den Risiken zu begegnen, die daraus entstehen, dass sich ihre Kunden und Partner plötzlich unverständlich verhalten.

Das wären:
Reduzierung der Angebote, der Kunden und der Kommunikationsaktivitäten auf ein beherrsch- und bezahlbares Maß. Das heißt in der Regel Rückführung des Geschäfts auf eine Vertriebsmannschaft, die auf persönliche Kommunikation setzt und die durch direkte zwischenmenschliche Führung gesteuert wird.

Nutzung anderer Möglichkeiten der sozialen Einflussnahme, z. B. direkte Gewalt, juristischer Zwang oder blanke Alternativlosigkeit wie im Monopol. Unsere Energieanbieter, Postzusteller oder Kraftstofflieferanten leben nicht von ihrer hervorragenden Kommunikation, sondern den Resten ihres Oligopols.

Modelle, die den Unwägbarkeiten kommunikativer Beziehungen letztlich durch das Gesetz der großen Zahl und einer statistischen Beherrschung der Verhaltensalternativen beikommen wollen. Gerade viele Online-Geschäftsmodelle, aber auch das gute alte Kaufhaus basieren auf der Idee, wenn ich nur genügend vielen Menschen genügend viele Waren anbiete, werden sich schon Verkäufe einstellen, ohne dass wirklich ein Verständnis für Kundenwünsche entwickelt wird.

Diese Alternativen werden aber in den offenen, fragilen multioptionalen Massengesellschaften unserer Zeit immer seltener. Umso wichtiger wird die Steuerung durch echte Kommunikation. Es fehlt heute nicht an den wissenschaftlichen, technischen oder organisatorischen Möglichkeiten in Unternehmen, Kommunikationsgehirne zu etablieren. Meist fehlt es an der Einsicht in die betriebswirtschaftliche Notwendigkeit solcher Projekte. Oder es werden reine Technologieprojekte (CRM, Data-Mining, Wissendatenbanken, KI etc.) aufgesetzt, die die grundlegenden Missverständnisse der Konzepte Kommunikation oder Wissen nur mit IT-Mitteln potenziert wiederholen.

Denn hier gaukelt der falsch verstandene Begriff Kommunikation vielen Managern eine nicht vorhandene Sicherheit vor. Eine Fehleinschätzung, die sie dann - zuletzt in der Wirtschaftskrise - mit oft dramatischen Konsequenzen für ihr Verhalten und ihre ökonomischen Möglichkeiten bezahlen müssen. "Schatz, warum hast du denn nie etwas gesagt? Weil du mich nie gefragt hast." Es fehlt den meisten Unternehmen an der Fähigkeit zuzuhören. Hören ist die zweite (meist bessere) Hälfte des Kommunizierens. Der deutsche Staat hätte bei richtig verstandener Kommunikation ebenso auf die Risiken der Finanzwirtschaft vorbereitet sein können wie der deutsche Maschinenbau auf die jetzt leer bleibenden Auftragsbücher. An Erkenntnissen, wie man echte Kommunikation in Unternehmen etabliert, mangelt es nicht. Aber noch mangelt es an Einsicht in den Wert dieser echten Kommunikation. Und vieles von dem, was heute noch mit Kommunikation tituliert wird, verdient den Namen nicht.

Der Autor: Klaus Bernsau ist Gründer und Inhaber von KMB, Konzept Management Beratung für Unternehmenskommunikation
in Wiesbaden

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