von Gastbeitrag
Michael Horlacher, Geschäftsführender Gesellschafter der Stuttgarter Agentur Agencyteam, hat in jüngster Zeit höchst merkwürdige Erfahrungen gesammelt. Hier seine Gedanken und Begebenheiten in der veränderten Welt der Dialogkreation.
Kunde: Wir wünschen uns auch die Berücksichtigung von Social Media im Kommunikationskonzept.
Wir fahren zurück ins Büro. Klar, seit geraumer Zeit scheint kein Briefing oder Projekt mehr ohne Social Media auszukommen. Aber warum eigentlich?
Soll sich der Kunde auf Facebook oder auf YouTube zeigen - oder ist er dort bereits? Vier von fünf Handybesitzern senden SMS, 75 % aller Internet-User sehen sich Videos im Netz an und über 70 % der 18- bis 34-Jährigen sind bei Facebook. Facebook ist eher eine private, Xing eher eine Business-Plattform, wobei Letztere kaum kreativen Spielraum bietet.
Wir sollten es mit Facebook probieren. Es muss ein Konzept sein, das B2B-Kunden privat erreicht.
Aber noch viel wichtiger: Das Mailing muss sitzen! Die Kreation haut rein - die ersten Layouts sind der Hammer.
Kunde: Die Facebook-Idee trifft voll meine Erwartungen.
Das Mailing war ein absoluter Leckerbissen - die klassische Kampagne haben wir optimal umgesetzt und unsere Texterin hat bereits in der Layout-Phase auf den Punkt getextet. Kein Lob dafür, die Diskussion ging nur über die im Konzept als "on top" angebotene Facebook-Seite. Das "Abenteuer Facebook" wird nun kundenintern abgestimmt.
Kunde: Unser Verkaufsteam ist der Meinung, dass die Ansprache in Facebook nicht zielgruppenaffin ist.
Im Büro mache ich den Facebook-Check: Kein einziger (!) aus dem Verkaufsteam ist in Facebook - wusste ich´s doch! Facebook ist wie eine Kneipe, in der sich lauter Kumpels treffen und sich alle duzen. Hier mit förmlicher Ansprache zu kommen ist so sperrig wie ein Preuße im Münchner Biergarten. Der falsch verstandenen "Plauderei" (die in Wirklichkeit wohl überlegt sein will!) begegnen wir mit unserer Online-Redaktion. Mit Leuten, die sich den ganzen Tag nur mit Social- Media-Plattformen wie Facebook befassen.
Das Mailing ist übrigens mittlerweile ohne Korrektur und ohne Kommentar freigegeben. Na dann. Auf in die Reinzeichnung.
Kunde: Die Kosten für die Online-Redaktion erscheinen uns zu hoch. Wir haben da einen fähigen Praktikanten, der kann das übernehmen.
Nur weil der Praktikant 21 Jahre alt ist und eben noch die Schulbank gedrückt hat, soll er die Qualifikation für die tägliche Online-Redaktionsarbeit eines Unternehmen besitzen? Wir haben Zweifel. Der Kunde hat seinen Willen.
Kunde: Nach Rücksprache mit dem Leiter Verkauf wollen wir dem Interessenten auf Facebook anbieten, ein Dokument herunterzuladen.
Darauf haben alle Facebooker sehnsüchtig gewartet - endlich das erhoffte Dokument! Das wird sich verbreiten und verbreiten ... Im Ernst, wir benötigen Entertainment. Multimediale Inhalte - Microsoft® Megawoosh, das wär´s! Oder wenigstens etwas Ähnliches, denn das wollen die Leute sehen. Wir machen etwa 20 Vorschläge. Es bleibt dabei, es wird das Dokument. Die Facebook-Seite geht live.
Martin Sorrell (Chef von WPP) beklagt schwache Marketingabteilungen in Cannes - und wir bieten ein Dokument in Facebook an. Ich sollte auch mal nach Cannes gehen und mich beklagen ...
Das Mailing geht in den Druck. Sauber veredelt, ein echter Knaller. Irgendwie interessiert´s kundenseitig aber keinen. Komisch, nicht lange her, da ging bei jedem Mailing jemand mit unserem Produktioner an die Maschine, hat die Farben mit dem CD-Handbuch abgeglichen und im Zweifel den Chef angerufen.
Kunde: Begeisterung! Es gibt bereits 35 Freunde auf Facebook!
Die ganze Marketing-Abteilung!
Kunde: Sensation! Es gibt innerhalb einer Woche 50 weitere Freunde auf Facebook!
Die ganze Agentur!
Kunde: Der Praktikant ist krank.
Wir empfehlen, es doch mit der Online-Redakteurin zu probieren. Der KV geht raus, gefolgt von Schweigen. Auch auf Facebook herrscht jetzt Schweigen. O-Ton: Das liegt an der WM. Bestimmt.
Kunde: Wir machen jetzt was ganz Verrücktes. Unser Verkaufsteam möchte einen Film in Facebook zeigen, den unser Mitarbeiter aus dem Verkaufsdistrikt Süd selbst gedreht hat, so als Viral-Spot. Das bringt mehr, als so ´ne Redakteurin.
Ein Witzbold hat einen langweiligen Film mit schwäbischem Text unterlegt und damit immerhin 2.300 Aufrufe auf YouTube erzielt. Leider kein weiterer Facebook-Feund beim Kunden. O-Ton: Das liegt immer noch an der WM.
Kunde: Der Spot gefällt zwei Personen - mir und meinem Chef. Aber unser Hauptkonkurrent hat bereits 253 Personen, denen die Facebook-Seite gefällt.
Das Mailing schlägt ein wie eine Bombe. Gigantische Responsewerte. Der Vertrieb ist begeistert. Die Agentur wird gefeiert. Das Leben ist schön, nur Facebook ist böse.
Kunde: Der Praktikant muss den Response auswerten, kann Ihre Redakteurin vielleicht doch das Facebook-Thema übernehmen?
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