09.02.2015 - Die Möglichkeiten, Kunden- und User-Daten jeder Art zu sammeln, besteht bereits. Doch welche Konsequenzen hat es, wenn Kunden immer gläserner werden und Unternehmen jeden ihrer Schritte nachvollziehen können? Muss es auch für Marketer einen Tabu-Bereich bei den Kundendaten geben, einen in dem sie nichts zu suchen haben? Und reicht Transparenz aus, um Selbstbestimmung im Netz zu ermöglichen? Um solche Fragen zu klären, brauchen wir endlich eine digitale Ethik.
"Wie bekommen wir unsere Kundinnen dazu, uns zu verraten, dass sie schwanger sind - auch wenn sie es selbst nicht wollen?" Das fragte sich der US-Retailer Target. Eine Lösung war schnell gefunden: Mit Datenanalyse gelang es, Muster über das Einkaufsverhalten schwangerer Frauen zu generieren. Und zwar noch bevor sie begannen, Schwangerschaftskleidung, Milchpumpen, Windeln, Schnuller und Wickeltische zu shoppen. Die Analysten fanden heraus, dass Frauen in einem frühen Stadium der Schwangerschaft nicht nur vermehrt bestimmte Vitamin- und Nährstoffpräparate kaufen, sondern auch Großpackungen von Hygieneartikeln wie Wattebäusche und Kosmetiktücher. Was das Ganze bringen soll? Target wollte die werdenden Mütter so früh wie möglich binden. Der Mensch ist nun mal ein Gewohnheitstier, und wenn man einmal damit anfängt, das Baby bei Target auszustatten, wird man das auch mit dem Schulkind tun. Kundenbindung im Embryonal-Stadium quasi. So der Gedanke der Marketing-Verantwortlichen. Der Algorithmus stand, also verschickte Target nun gezielt Kataloge mit Coupons für Babyartikel an Schwangere. Was nun folgte, ist eine recht bekannte Geschichte, die der Vollständigkeit halber aber auch hier nicht fehlen darf: Eines Tages kam der Vater eines Teenagermädchens wutentbrannt zu Target und beschuldigte den Shop, seine junge Tochter zu einer frühen Schwangerschaft verführen zu wollen. Die junge Frau hatte, an sie adressiert, einen Katalog mit Baby-Coupons erhalten. Einige Tage später entschuldigte sich der Mann: Seine Tochter war tatsächlich schwanger, hatte dies aber bisher geheim gehalten.
Die Target-Kundinnen reagierten nicht gerade erfreut darauf. Dass ein Händler solch intime Details über sie weiß. Details, die sie vielleicht selber noch gar nicht kommuniziert hatten, Details, die sie vielleicht gern noch einige Zeit für sich behalten hätten. Details, von denen andere erfahren, ohne dass sie es vielleicht wollten. Das Ende der Selbstbestimmung.
Google-CEO Eric Schmidt hat 2010 gesagt: "Wir wissen, wo du bist. Wir wissen, wo du warst. Wir wissen mehr oder weniger, worüber du nachdenkst." Einen Rat, was man tun sollte, wenn einem das nicht in den Kram passt, gab Schmidt übrigens auch, ein Jahr zuvor in einem Interview auf CNBC: "Wenn es etwas gibt, von dem Sie nicht wollen, dass es irgendjemand erfährt, sollten Sie es vielleicht ohnehin nicht tun."
Panoptismus hat der französische Philosoph Michel Foucault das genannt. Benannt nach dem von Jeremy Bentham entwickelten Panopticon, dem perfekten Gefängnis, das aus Überwachungsräumen in konzentrischen Kreisen besteht. So werden nicht nur die Häftlinge mit geringem Personalaufwand bewacht, sondern auch die Bewacher. Das Prinzip des Panoptismus ist das Wissen um die ständige Überwachung und Beobachtung. "Derjenige, welcher der Sichtbarkeit unterworfen ist und dies weiß, übernimmt die Zwangsmittel der Macht und spielt sie gegen sich selber aus; er internalisiert das Machtverhältnis, in welchem er gleichzeitig beide Rollen spielt; er wird zum Prinzip seiner eigenen Unterwerfung", schreibt Foucault. Der Beobachtete diszipliniert sich also ständig selbst. Natürlich, weiß er doch, dass jeder Schritt, den er tut, nachvollziehbar ist. Und so passt er sein Verhalten normativen Ansprüchen an. Ein Schreckensszenario, das hier gemalt wird und so gar nicht der Realität entspricht? Sieht man sich das Target-Beispiel an, vielleicht nicht unbedingt.
Nein, das soll kein Aufruf werden, ab sofort keine Daten mehr für das Marketing zu nutzen. Es gibt Lösungen und Möglichkeiten, wie Unternehmen verantwortungsbewusst mit Daten umgehen können. Als Teil der Corporate Social Responsibility. Also nicht nur, um keine Verluste zu machen, weil der Verbraucher irgendwann niemandem mehr trauen wird. Umfragen zeigen, dass mangelndes Vertrauen in Unternehmen bei der Datenverarbeitung, die erkennbaren Risiken des Internets und ein ungutes Gefühl dabei die Mehrheit noch lange nicht davon abhält, persönliche Daten preiszugeben. Keiner kann sich dem Internet entziehen, da steht der Schutz der Privatsphäre auch mal hinten an. Zu bequem kommt man an Informationen, zu einfach ist es, online zu shoppen, und die sozialen Möglichkeiten von Facebook und Co. möchte man auch nicht missen.
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