30.09.2009 - Nein, keine Angst. Ich zähle nicht zu denen, die nun voller Schadenfreude den Zeigefinger zücken und die [l1]Piratenpartei[/l1] mit Spott überzieht. Angesichts der zuvor verkündeten "Abstimmungsergebnisse" bei [l2]StudiVZ[/l2] oder auf anderen Plattformen sowie einer als [l3]allgemeine Nachricht verkauften[/l3] [l4]hauseigenen Pressemitteilung[/l4] zur angeblich massiven Anhängerschaft unter den Angestellten der Dresdner Bank, konnte bisweilen tatsächlich der Eindruck entstehen die "Piraten" seien das Zünglein an der politischen Waage, entsprechende Reaktionen bleiben daher momentan nicht aus.
"Klarmachen zum Ändern", so die Devise der monothematischen
Piratenpartei, die vor allem aufgrund des großen Unmuts
über die von der Großen Koalition auf den Weg gebrachten Internetsperren im Vorfeld der Wahlen massiven Zulauf erhalten haben dürfte. Immerhin 9.000 Migtlieder zählt die noch junge Partei inzwischen, 8.000 davon haben sich erst in den letzten Wochen und Monaten angeschlossen. Kompliment. Den Piraten ist es gelungen, viele Wähler zu motivieren, die ansonsten vielleicht gar nicht ihre Stimme abgegeben hätten. Über ein Protestvotum sind diese indes - zumindest dieses Mal - nicht hinausgekommen. Das könnte u.U. in vier Jahren schon anders aussehen, vor allem wenn man sich in Erinnerung ruft, wie es seinerzeit den Grünen
erging, die bei ihrem ersten bundesweiten Antreten auch nur 1,5 Prozent (und damit sogar noch etwas weniger als die zwei Prozent der Piraten) ergattern konnten. Heute sind ökologische Schwerpunkte in den Wahlprogrammen nahezu selbstverständlich, auch wenn diese nun nach der Wahl möglicherweise nicht mehr allerhöchste Priorität haben.
Aber: Internetspezifische Themen, wie sie bei der "Internet"partei der Piraten momentan im Vordergrund stehen, dürften auf Dauer kaum reichen, um in der politischen Landschaft zu bestehen. Anhänger weisen bei ähnlicher Kritik immer gern auf die basisdemokratische Struktur
der Partei hin, die mittels der modernen Internetkommunikation Meinungsbildungsprozesse in der Partei aufgreifen und begleiten möchte. Zu dieser Bundestagswahl hat sich das Instrumentarium aus Zeitgründen als ungeeignet erwiesen. Auch wenn daran noch gearbeitet werden dürfte, die Erfahrung aus der (puristisch-basisdemokratischen) Vergangenheit der Grünen
lehrt, wie schnell sich eine Partei der Beliebigkeit bzw. harten Richtungskämpfen aussetzt, wenn sie versucht, solche Prozesse konsequent zu etablieren und einzuhalten.
Angenommen, es gelingt den Piraten dennoch, diese Prozesse aufzusetzen und sie effektiv in ihre politische Arbeit zu integrieren: Niemand wüsste heute, wohin diese Partei dann driftet. Politik ist zwar letztlich am Gemeinwohl aller interessiert, allen recht kann es jedoch niemand machen. Im Ergebnis wird das bei fehlender politischer Vision dazu führen, dass populäre Forderungen Eingang in Partei- und Wahlprogramme finden. Ähnlich wie dies bei den Linken
zu beobachten ist: Anhebung der Hartz IV-Sätze, Abschaffung der Rente mit 67, zehn Euro Mindestlohn, Mindestrente, freie Bildung und kostenlose KiTa-Plätze. Für unbequeme Wahrheiten bleibt in einem solchen Prozedere kein Platz. Das hat mit "mehr Demokratie wagen" überhaupt nichts zu tun. Dem Populismus ist so Tür und Tor geöffnet. Eine Chance haben die Piraten dennoch verdient. Denn dass Bewegung in die behäbige parlamentarische Demokratie kommen muss, steht außer Frage. Die Ansätze, die die Piraten hier verfolgen, sind im Kern nicht falsch.
Eines aber steht für mich völlig außer Frage. Die Selbstwahrnehmung der Anhänger und einiger Piraten selbst und die erzielte Wirkung stehen in einem dissonanten Verhältnis. Hierzu gibt es in der Marketing-, Werbe- und PR-Welt leider einige unübersehbare Parallelen. Nicht umsonst werden die zum Teile ebenso zaghaften wie untauglichen ersten Schritte einzelner Unternehmen, sich in Web 2.0 (allein, dass dieses Wort aus dem Sprachgebrauch der so genannten Social Media Evangelisten bereits getilgt wurde, spricht Bände) zu versuchen, mit einer Urgewalt gebrandmarkt, dass man den Eindruck gewinnen kann, das Ende des Word Wide Web steht bevor. Doch die Wahrheit sieht anders aus. Während bisweilen für mehrere Tage (darauf beschränken sich derartige Diskussionen zum Glück) in der Social Media Nische kaum noch andere Themen gehandelt werden, nimmt die "große, weite Welt" da draußen, kaum Notiz. Nicht allein Vodafone-Sprecher Kuzey Alexander Esener konstatierte, dass der vom "Mikrokosmos" ausgelöste Social Media "Tsunami" sich in den Filialen überhaupt nicht ausgewirkt hat. Ein wenig mehr Bodenständigkeit stünde vielen Protagonisten gut zu Gesicht. Das würde das Verständnis für die eigenen Ansichten und dringend notwendige Richtungswechsel in Gesellschaft, Wirtschaft und Politik substanziell fördern. (Christoph Salzig)
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