24.07.2009 - Das neue Gesetz ist äußerst erklärungsbedürftig. Branchenvertreter suchen nach Aufklärung, die Politik ist zum Teil ahnungslos.
Bisweilen geschehen im Deutschen Bundestag bemerkenswerte Dinge. In den frühen Nachmittagsstunden des 3. Juli beschlossen die Volksvertreter, einen so genannten Redaktionsstab einzusetzen, der sich um die bessere Verständlichkeit von Gesetzestexten kümmert. Rund zwei Stunden später verabschiedeten sie in zweiter und dritter Lesung bedauerlicherweise ein Gesetz, dass nach Ansicht von Experten in einigen Teilen nicht nur in sich widersprüchlich ist, sondern selbst gestandene Ju-risten hin und wieder ratlos dreinbli-cken lässt. Die Entscheidung vom frühen Nachmittag kam also zu spät. Die Rede ist - man ahnt es schon - vom Bundesdatenschutzgesetz (BDSG). Am 10. Juli passierte diese Novelle den Bundesrat. Jetzt muss noch der Bundespräsident unterschreiben. Die Dialogmarketingbranche hat einen Monat Zeit, das Gesetz zu begreifen. Am 1. September tritt es in Kraft.
Die Verunsicherung in der Branche ist groß. Die Unwissenheit auf Seiten der Politik über die Folgen ihrer Beschlüsse noch größer. Nur so viel: Sebastian Edathy, SPD-Politiker und Vorsitzender des Innenausschusses, der das Gesetz maßgeblich vorangetrieben hatte, offenbarte in der Öffentlichkeit mehrfach, dass er sich in dem Thema relativ schlecht auskennt. Und die ansonsten gut informierte PR-Redaktion des Bundestages meldete am 3. Juli, der Bundestag habe im BDSG ein Auditgesetz verabschiedet. Das war aber an dem Tag seit Wochen schon kein Thema mehr.
Solche Zeiten sind gute Zeiten für Rechtsanwälte, die sich auf den Datenschutz spezialisiert haben. Seit Monaten informieren etwa Ralf Rösler in der ONEtoONE und auf den Mailingtagen, Dr. Ulrich Wuermeling von der Kanzlei Latham & Watkins hauptsächlich für den DDV, jüngst aber auch im Auftrag von Proximity, Dr. Peter Rheinländer (Versandhandelsverband) sowie Günter Stallecker (Justiziar von Klingel) über die neuen Paragrafen.
Worum geht es dabei eigentlich? Die Dialogmarketingbranche sieht sich in diesem Jahr mit einem ganzen Strauß von verbraucherschutzrechtlich begründeten neuen Gesetzen konfrontiert. Nach Ansicht der Juris-ten sollte das zuletzt beschlossene, so genannte BDSG II nicht isoliert betrachtet werden. Hinzu kommen das UWG Änderungsgesetz vom 27. November 2008, das Gesetz zur Bekämpfung unlauterer Telefonwerbung vom 26. März 2009, die Datenschutznovelle I (Scoring) vom 29. Mai und die Umsetzung der Verbraucherkreditrichtlinie vom 3. Juli. All dies gilt es neuerdings zusätzlich zu beachten, wobei die Einschränkungen im Call-Center-Bereich für die Dialogbranche noch am stärksten sein dürften.
Doch zurück zur Datenschutznovelle II. Die wohl am stärksten diskutierte Änderung betrifft den Einwilligungsvorbehalt bei Briefwerbung, das so genannte Opt-in. Der Empfänger muss dem Erhalt von Mailings grundsätzlich zustimmen. Eine passive Zustimmung (Opt-out), also der Verzicht auf einen Widerspruch, reicht nicht mehr aus. Hier haben sich die Politik, insbesondere die SPD, und die Verbraucherschützer ganz klar durchgesetzt. Allerdings beinhaltet die Regelung zahlreiche und weitgehende Ausnahmen, so dass durchaus von einem Kompromiss gesprochen werden darf. Diese Ausnahmen stecken künftig den Handlungsrahmen für die schriftliche Kundenansprache ab.
Grundsätzlich geht es um Ausnahmen des Listendatenprivilegs. Zu listenmäßig erfassten Daten zählen die Zugehörigkeit zu einer Personengruppe, die Berufs-, Branchen- und Geschäftsbezeichnung, Name, Titel, akademischer Grad, Anschrift und Geburtsjahr; nicht enthalten sind
E-Mail-Adresse und Telefonnummer.
Ausnahme 1: Bestandskunden und Interessenten dürfen ohne Einwilligung angeschrieben werden. Hier ist es auch erlaubt, weitere Daten hinzuzuspeichern.
Ausnahme 1: Bestandskunden und Interessenten dürfen ohne Einwilligung angeschrieben werden. Hier ist es auch erlaubt, weitere Daten hinzuzuspeichern.
Ausnahme 2: Werblich genutzt werden dürfen Daten aus öffentlichen Verzeichnissen. Diesen Kompromiss hatten die Lobby-Verbände der Politik noch in letzter Minute abgerungen. Als öffentliche Verzeichnisse gelten Adress-, Rufnummern-, Branchen- und vergleichbare Verzeichnisse. Auch hier ist eine Hinzuspeicherung weiterer Daten erlaubt.
Ausnahme 3: B-to-B-Werbung. Werbung im Hinblick auf die berufliche Tätigkeit bleibt erlaubt, allerdings nur unter der beruflichen Anschrift. Dabei dürfen die Namen der Ansprechpartner verwendet werden. Laut Rechtsanwalt Wuermeling von Latham & Watkins ist die Hinzuspeicherung weiterer Daten aber strittig.
Ausnahme 4: Steuerbegünstigten Spendenorganisationen wie gemeinnützigen Organisationen und Parteien ist die schriftliche Kundenansprache ohne Einwilligung der Adressaten
gestattet. Kleines Kuriosum am Rande: Wahlwerbung zählt nicht dazu. Wuermeling verweist in diesem Zusammenhang gern darauf, dass die nächs-te Bundestagswahl Ende September stattfindet, das neue Gesetz aber schon am 1. September in Kraft tritt. Ganz offensichtlich hat sich die Politik hier selbst ein Bein gestellt.
Ausnahme 5: dokumentierte Übermittlung mit Quellenangabe. Werbung ist erlaubt, wenn sie eindeutig benennt, wer die Daten erstmalig erhoben hat. Gleiches gilt, wenn eindeutig erkennbar ist, wer die so genannte verantwortliche Stelle der Nutzung ist. Laut Wuermeling lässt sich unter dieser Ausnahme das klassische Listbroking mit Auftragsdatenverarbeitung durchführen.
Wer nun denkt, man könnte sich all diesem juristischen Hin und Her entziehen, wenn man sich einfach grundsätzlich eine Einwilligung
besorgt, hat die Rechnung ohne den Gesetzgeber gemacht. Oder um es mit den Worten von Wuermeling
zu sagen: "Eine Einwilligung einzu-holen ist juristisch eine haarige Sache." Näheres dazu erläutert Rechtsanwalt Rösler im Interview auf den Seiten 12 und 13.
Und dann wäre da noch die Übergangsfrist von drei Jahren. Die Daten, über die man jetzt schon verfügt oder bis zum 31. August dieses Jahres erhebt, kann man bis zum 31. August 2012 nach den alten Gesetzen nutzen. Auf den ersten Blick eigentlich eine gute Regelung für die Dialogmarketingbranche. Das Problem ist nur, dass man dann von September 2009 an bei jeder Kundenansprache zwischen den alten und den neu erhobenen Daten unterscheiden muss. Ein Unterfangen, das nicht gerade praktikabel ist - wie so vieles andere aus dem UWG und dem BDSG.
Potenzielle Kunden anzusprechen wird künftig also nicht unbedingt einfacher. Dabei sind die hier beschriebenen Regelungen lediglich eine kurze Zusammenfassung der Gesetze und ihrer Auslegungen. Die eingangs genannten, im Datenschutz bewanderten Juristen benötigen normalerweise ein bis zwei Stunden, um die grundsätzlichen Neuerungen der BDSG-Novelle zu erläutern. Einzelfälle - und am Ende ist jedes Unternehmen dann in irgendeiner Form solch ein Einzelfall - sind dabei noch nicht berücksichtigt.
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