Die Call-Center-Branche frisst ihre Kinder

30.07.2001 - Führungskräfte der Call-Center-Branche beklagen zunehmenden Preisverfall

"Die Call-Center-Branche zerstört sich systematisch selbst. Viele Call Center sind bereit, alles für einen Auftrag zu tun und machen damit die Preise kaputt." Mit dieser Ansicht steht Michael Raum, Geschäftsführer von Sellbytel in Nürnberg und Fürth, nicht allein. Etliche Branchenkollegen denken wie er: Die Branche habe unter den Preiszerstörern zu leiden, sie werde sich nun noch schneller regulieren, als noch vor kurzem angenommen. Die meisten Experten rechnen damit, dass es in der Branche noch in diesem Jahr zu heftigen Umbrüchen kommen wird.

Verantwortlich ist wohl die Me-too-Mentalität. Call-Center-Dienstleister schossen wie Pilze aus dem Boden, alle in der Hoffnung, der boomende Markt sei groß genug für alle. Hatten doch noch vor einem Jahr Unternehmen der Old Economy ihre Dienstleistungsmentalität entdeckt, und die New Economy im Goldrausch Aufträge vergeben. Ein wenig hatte die New-Economy-Mentalität wohl auf die Call-Center-Gründer abgefärbt, jedenfalls gab es irgendwann zu viele Call Center und zu wenig Aufträge. Die Krise der New Economy tat ein Übriges, die gesamte Call-Center-Branche zu erschüttern.
Im harten Wettbewerb sehen viele Call-Center-Dienstleister offenbar nur einen Ausweg: Guerilla-Preise. Calls, die vor einem Jahr noch doppelt so viel wert waren, werden heute für unter einer Mark angeboten. Raum sagt: "Die Pleite ist verdient. Der Markt bereinigt sich noch schneller als gedacht." Sellbytel sehe das Problem der Kundenabwanderung, werde aber eher weniger Aufträge annehmen, als ebenfalls die Preisspirale nach unten zu drücken, wie es gewisse Wettbewerber täten. Raum wird deutlich: "Unternehmen wie d+s und Camelot haben keine Marktberechtigung." Schließlich wolle man den Kunden nach wie vor qualifiziert bedienen, das habe seinen Preis. Sellbytel habe zwar in erster Linie Kunden aus dem kriselnden IT- und TK-Bereich, verfüge jedoch über zahlreiche Stammkunden. Neuakquisitionen seien zurzeit allerdings schwierig. Fazit: Die Branche sollte umdenken und realistisch kalkulieren, sonst kämen bald auch die Großen in Schwierigkeiten.
Harald Kling von G.K.K. in Frankfurt kann die Branchenmisere nach eigener Aussage etwas gelassener sehen. G.K.K. macht lediglich knapp 30 Prozent des Geschäfts im reinen Call-Center-Bereich, das Hauptgeschäft dagegen mit integrierten Maßnahmen im klassischen Dialogbereich, wie Consulting, Fulfillment und CRM-Beratung. Kling meint: "Wir betreuen jetzt keine Unternehmen aus der New Economy mehr, und darüber sind wir auch froh. Wir haben zwar E-Commerce-Projekte, aber nur für Unternehmen aus der Old Economy." Kling ist überzeugt, dass es bis 2002 eine absolute "Säuberung" des Marktes geben wird. Ob die Zukunft in den Händen einiger weniger Billiganbieter liege, sei noch ungewiss, das hänge auch von den Kunden ab. Quantität oder Qualität, das ist hier offenbar die Frage ...
Jens Bormann von b u.w in Osna- brück sieht die Umsatzentwicklung unverändert positiv, auch b u.w hat ein breit aufgestelltes Portfolio und ist daher nicht nur auf den Telemediensektor angewiesen. Über die Preisentwicklung sei man trotzdem nicht glücklich, man profitiere aber von Geschäftsausweitungen bestehender Kunden aus der Automobil- und Energiewirtschaft. Außerdem seien die Kunden eine gesunde Mischung aus Firmen der Old und New Economy, in letzterer habe man bislang erst eine Insolvenz beklagen müssen. Wichtig für Bormann: "Wir wollen nicht blind wachsen. Die Branche sollte gerade jetzt aufpassen, nicht in eine Situation extremer Überkapazitäten zu kommen."
Doch nicht nur Überkapazitäten sind eine Gefahr. Auch große Partner bedeuten nicht zwingend eine glänzende Zukunft, sondern können durchaus zum Problem werden, wie im Falle Kabel New Media, die sich zu 51 Prozent an Linkenheil & Friends in Karlsruhe beteiligt hatte. Kabel ist inzwischen bekanntlich insolvent, und die bis dato gesunde Linkenheil & Friends steht plötzlich vor ungeahnten Problemen.
Geschäftsführer Karl-Heinz Niedrist geht davon aus, dass die Geschäfte zunächst fortgeführt werden, bislang sei noch kein Kunde abgesprungen. Ansonsten sei die Zukunft des Unternehmens noch denkbar unklar. "Ich kann nicht für die Gesellschafter sprechen." Sieben bis acht Unternehmen jenseits der 50-Millionen-Grenze würden sich auf lange Sicht an der Spitze etablieren, der Mittelbereich müsse sich spezialisieren, glaubt Niedrist.
Wird die fallende Preisspirale nicht bald gestoppt, oder findet sich kein großer Investor, der möglichst nicht Insolvenz anmeldet, ist das wohl die einzige Möglichkeit für kleinere Call-Center-Unternehmen, um langfristig zu überleben. go

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