Call-Center und E-Commerce

D+S-Chef: "Gesamte Adressbranche ist wie paralysiert"

31.05.2010 - Der börsennotierte Call-Center- und E-Commerce-Dienstleister D+S, einst Vorzeigeunternehmen in Sachen Branchenwachstum, hat für 2009 katastrophale Zahlen vorgelegt. Der neue CEO Dr. Gerold Linzbach erläutert im Interview mit ONEtoONE, wie es nun weitergehen soll.

Herr Dr. Linzbach, am 6. Oktober vergangenen Jahres ist es bei D+S zu einem plötzlichen Führungswechsel gekommen. Achim Plate musste gehen, Sie sind CEO geworden. Was war da los?Linzbach: So, wie es sich für mich darstellt, hatte sich 2009 eine erhebliche Spanne aufgetan zwischen dem geplanten Geschäftsverlauf und dem tatsächlichen Geschäftsverlauf. Der Hauptaktionär wurde offenbar immer nervöser und hatte nach meinem Informationsstand mehrfach das Gespräch mit dem Vorstand gesucht, um einem Abrutschen des Geschäftes entgegenzuwirken. Ich habe den Eindruck, dass mein Vorgänger eher auf das Prinzip "Augen zu und durch" gesetzt hat.

Hat dies juristische Folgen? Schließlich mussten erhebliche Wertberichtigungen vorgenommen werden.Linzbach: Für mich ist es wichtig, dass wir jetzt eine transparente und juris­tisch geprüfte Plattform haben. Ob eine Aufarbeitung historischer Situationen stattfindet oder nicht, hat für das amtierende Management keine Priorität. Damit hier aber kein falscher Eindruck entsteht: Die Wertberichtigungen haben nur zum Teil mit der vielleicht nicht perfekt gewählten Strategie des alten Vorstands zu tun. Es gibt ganz erhebliche Einflüsse aus dem gesetzgeberischen Umfeld, wie etwa die Datenschutzregelungen. Im Adressgeschäft beispielsweise wurde D+S der Teppich unter den Füßen weggerissen. Und die Finanz- und Wirtschaftskrise hat auch nicht gerade geholfen. Hiervon war besonders das Call-Center-Geschäft betroffen. Wir mussten uns von etwa 200 Mitarbeitern, vor allem im Overhead-Bereich, trennen. Inzwischen ist das Call-Center wieder profitabel.

Hätte man das nicht vorher erkennen können, besonders die Auswirkungen der Gesetze?Linzbach: Die Frage stellt sich in der Tat. Aber es ist wie am Montagmorgen nach der Bundesliga: Hinterher ist man immer schlauer. Wichtig ist, dass man dann sofort reagiert.

Wird sich D+S jetzt vom Adressgeschäft trennen?Linzbach: Es wäre ein logischer Schritt, den Schulterschluss mit einem anderen Dienstleister zu suchen oder das Geschäft zu verkaufen. Aber dafür gibt es derzeit keinen Markt. Die gesamte Adressbranche ist wie paralysiert. Wir mussten in diesem Bereich eine extreme Wertberichtigung vornehmen.

Wie soll es mit der D+S AG weitergehen?Linzbach: Die drei Segmente von D+S, also das Telefonie-, das Call-Center- und das E-Commerce-Geschäft, müssen unabhängig voneinander optimiert werden. Es gibt keinen gemeinsamen unternehmerischen Nenner dieser Geschäfte. Deshalb habe ich Ende vergangenen Jahres das Corporate Center des Konzerns zu einer Financial Holding umstrukturiert. Allen drei Segmenten habe ich dann ein operatives, relativ selbstständig agierendes Management verpasst. Strategische Entscheidungen werden nun auf Segment- und nicht mehr auf Konzernebene getroffen. Für die Holding arbeiten jetzt noch gut 30 Mitarbeiter, vorher waren es fast 100.

Reicht das, um Millionenverluste aufzufangen? Immerhin ist das EBITDA von 32,8 Millionen Euro im Jahr 2008 auf minus 32,5 Millionen im Jahr 2009 in den Keller gerauscht. Wie kann man überhaupt in so kurzer Zeit so viel Geld versenken?Linzbach: Dieser Vorzeichenwechsel im EBITDA ist vor allem durch die einmalige Wertanpassung verursacht worden. Wir haben mit den Wirtschaftsprüfern sehr aufwändige Analysen durchgeführt. Sie können davon ausgehen, dass unser EBITDA aus dem operativen Geschäft bei 13 Millionen bis 14 Millionen Euro lag. Wir werden 2010 also auf jeden Fall wieder schwarze Zahlen schreiben.

Was hat Sie bewogen, Ihren offenbar gut laufenden Job bei Symrise aufzugeben und sich den Herausforderungen der Dialogmarketingbranche zu stellen?Linzbach: Im Lauf der Jahre habe ich mir offenbar den Ruf erworben, undurchsichtige Situationen transparent machen und dann Probleme lösen zu können. Das reizt mich. Auch wenn die Branche, in der sich D+S bewegt, nicht meine Heimatbranche ist. Eines möchte ich aber klarstellen: Selbst vier Genies an der Spitze können ein Unternehmen nicht allein wieder flott machen. Dazu benötigen Sie schon die ganze Mannschaft. Sie müssen in den betroffenen Firmen im Prinzip zwei Dinge in Ordnung bringen: Sie müssen den Leuten die elementare Logik ihres Geschäfts verdeutlichen; wie sie dann die 15 Millionen Euro EBITDA erreichen, ist ihre Sache. Zweitens muss man dafür sorgen, dass der unternehmerische Gedanke tief in die Organisation hereingetragen wird. Von den vielen tausend Mitarbeitern muss jeder sein persönliches Ziel und dessen Bedeutung im Konzern kennen.

Und wie lautet beispielsweise die "elementare Logik" des Call-Center-Geschäfts?Linzbach: Call-Center stehen unter dem Druck, permanent das Projektportfolio zu verbessern, auch durch Erweiterung des Serviceangebotes, zum Beispiel der Verheiratung von Telefon- und Internetdiensten.

Braucht es für diese Erkenntnis einen Dr. Linzbach?Linzbach: Es war schon immer mein Arbeitsansatz, mich nach spätestens zwei bis drei Jahren überflüssig zu machen. Es ist wie beim Hubschrauber und beim Flugzeug: Wenn der Pilot im Flugzeug die Hände vom Steuer nimmt, fliegt es noch eine geraume Zeit weiter. Ein Hubschrauber würde sofort abstürzen. Ich möchte aus D+S gern ein Flugzeug machen.

Ein beruflicher und privater Weggefährte von Ihnen soll Sie einmal als perfektionistisch und radikal bezeichnet haben. Werden Sie diese Eigenschaften bei der Umstrukturierung von D+S einsetzen?Linzbach: Die Firma ist aus einer Phase starken Wachstums in eine Phase gekommen, in der es mehr Baustellen gibt, als wir gleichzeitig reparieren können. Jetzt müssen wir in allen drei Segmenten Perfektion liefern. Die Kunden müssen sich blind auf uns verlassen können. Radikal bin ich, wenn ich den Menschen vermittle, dass sie sich bei ihrer Arbeit in einem sportlichen Wettkampf befinden, dass es Spaß macht zu gewinnen. Lassen Sie mich ein Beispiel nennen: Zwei Schwimmer in der Karibik. Plötzlich taucht ein Hai auf. Der eine schwimmt wie verrückt los; der andere sagt, man könne doch nicht schneller schwimmen als der Hai. Da sagt der erste: "Es reicht, wenn ich schneller schwimmen kann als du." Das versuche ich, in die Unternehmen hineinzutragen: Stillstand wird sofort bestraft.

Nun ja. Ich denke, in Ihrer Beispiel-Anekdote wird sich der Hai wohl den wild strampelnden Schwimmer schnappen ...Linzbach: Na gut, Sie haben womöglich Recht. Aber ich habe Sie zum Lachen gebracht. Und das würde ich auch gern mit dem Konzern D+S tun. Die Mitarbeiter sollen gern zur Arbeit kommen.

Interview: Martin Teschke

Ihr Guide im New Marketing Management - ab 6,23 im Monat!

Hat Ihnen diese Beitrag weiter geholfen? Dann holen Sie sich die ONEtoONE-Premium-Mitgliedschaft. Sie unterstützen damit die Arbeit der ONEtoONE-Redaktion. Sie erhalten Zugang zu allen Premium-Leistungen von ONEtoONE, zum Archiv und sechs mal im Jahr schicken wir Ihnen die aktuelle Ausgabe.

Diskussion:
www.hightext.de

HighText Verlag

Mischenrieder Weg 18
82234 Weßling

Tel.: +49 (0) 89-57 83 87-0
Fax: +49 (0) 89-57 83 87-99
E-Mail: info@onetoone.de
Web: www.hightext.de

Kooperationspartner des

Folgen Sie uns:



Besuchen Sie auch:

www.press1.de

www.ibusiness.de

www.neuhandeln.de