Gestern E-Mail, heute Twitter, morgen...?

01.07.2009 - Nur selten hat ein Thema eine größere Diskrepanz zwischen öffentlicher Wahrnehmung und tatsächlicher Verbreitung hervorgerufen wie das derzeit bei Twitter der Fall ist. Ein Blick auf die aktuellen Reichweitenschätzungen belegt, dass selbst bei wohlwollender Betrachtung kaum mehr als 100.000 Twitteraccounts in Deutschland existieren. Da die einige aktive "Twitteratis" (so wie ich auch) wohl mehrere Accounts gleichzeitig haben dürften, gibt es deutschlandweit derzeit vielleicht gerade einmal 70.000 Nutzer, die mehr oder regelmäßig twittern. Das wiederum entspricht einem Anteil von nicht einmal 0,1 Prozent an der Gesamtbevölkerung. Anders formuliert: Derzeit twittern etwa 0,15 Prozent der gesamten Bevölkerung.

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Dennoch dominiert das Phänomen aus vielerlei Gründen die Berichterstattung unterschiedlicher Medien und ist dank seiner flexiblen Anbindungsmöglichkeiten in sozialen Netzwerken, Social Media Plattformen, Blogs und sonstigen Webangeboten nahezu omnipräsent. Promis, Privatleute, Medien, Politiker, Blogger oder auch selbst ernannte Social Media Experten, Evangelisten und Nerds stimmen in die Kakophonie mit ein. Letztere führen als Referenz nicht selten die Größe ihrer Folgerschaft an, die bisweilen (Ashton Kutchers   Wettbewerb   mit CNN   sei's gedankt) an den vielzitierten Längenvergleich auf Herrentoiletten erinnert. Das Phänomen aber hat, wie der Überfall in Bombay   , die Notlandung auf dem Hudson-River   oder aktuell die Geschehnisse im Iran   zeigen, aber auch seine Vorzüge. Twitter ist direkt, kaum kontrollierbar, schnell, authentisch und dialogorientiert - eben "Social Media at its best".

Die rasanten Wachstumsraten haben einige   von Betriebsblindheit geplagte Apologeten   bereits zur Annahme verführt, den Abgesang auf die E-Mail   anzustimmen, die ihrer Auffassung nach schon in wenigen Jahren von Twitter, Instant Messaging odetr der Kommunikation in Sozialen Netzwerken abgelöst wird. Wer das behauptet, ignoriert entweder die Entwicklung, die das Web in den letzten zehn Jahren genommen hat oder sieht nicht die unterschiedliche Funktionsweise und Informationsverarbeitung, die weitläufig zu beobachten ist.

Es gibt nicht nur eine sehr große Lücke zwischen den rund 70.000 Twitteratis (es bleibt bei dieser vorläufigen Schätzung) und den mehr als 39 Millionen E-Mail-Nutzern. Es existieren derzeit auch noch sehr unterschiedliche Nutzungsmuster, die sich allein schon aus dem Umfang, den Gestaltungsmöglichkeiten und den Informationen zum Empfänger (wie sie etwa beim Permission Marketing in aller Regel zum Einsatz kommen) ergeben. 140 Zeichen, auch wenn sie mit Hilfe von Short-Links weitere Informationen, Bilder, Videos etc. referenzieren, können das kaum aufwiegen. Vielleicht war es ja das, was Google-Chef Eric Schmidt meinte, als er Twitter als "E-Mail für Arme   " bezeichnete.

Dennoch gibt es natürlich Parallelen zwischen beiden webbasierten Dialogtools, womit die ersten beiden schon genannt sind. In der Kürze liegt die Würze. Twittern ist daher durchaus eine gute Übung für das Verfassen von interessanten Betreffzeilen und Texten im Sichtbereich ("Above the fold"). Auch die nichtsichtbare One-To-One-Kommunikation sowie die Mitteilung an einen ausgewählten Nutzerkreis ist jeweils möglich. Kaum denkbar sind - zumindest für meinen Nutzungshorizont - vertriebslastige Twittereien im großen Stil. Auf der anderen Seite fehlt es der E-Mail an der unmittelbaren Viralität und dem hohen Vernetzungsgrad, der Twitter so unglaublich populär macht und einzelnen Tweets eine so große Kraft verleiht.

Das alles bringt mich zu der festen Überzeugung, dass Twitter bei noch so dynamischer Entwicklung die E-Mail-Kommunikation kaum substituieren kann. Was bei der E-Mail als Spam oder unerwünschte Zustellung gebrandmarkt wird, rauscht in Twitter an den Nutzern in Form von belanglosen Tweets vorüber. Das Gute: Das meiste wird ohnehin nicht wahrgenommen - trotz permissiver Grundlage, durch die man überhaupt erst zum "Friend" eines Twitteratis wird. 1.000 Freunde, die mehrmals täglich 140 Zeichen verfassen. Wer soll das, wer kann das lesen? In Zeiten, in denen Relevanz alles ist, ist das eine der zentralen Schwächen von Twitter. Denn nicht wenige fühlen sich, trotz wiederholter Ermahnung der Twitter-Anhänger zum entspannten Umgang, unter "Interaktionsdruck" gesetzt.

Beiden Dialogformen mangelt es somit an zwei grundlegenden Aspekten, die absehbar in Zukunft an Bedeutung gewinnen werden: Einerseits Relevanz in der Wahrnehmung, andererseits Schnelligkeit und Vernetzungsgrad (auch wenn Outlook-Plugins wie Xobni   durchaus vielversprechend sind). Hier kommt ausgerechnet das Unternehmen ins Spiel, dessen Kaufofferten sich Twitter Gerüchten zufolge hartnäckig verweigert und dessen CEO es wie beschrieben offenbar an Grundverständnis für den neuen Dienst fehlt: Google. Vor wenigen Wochen nun hat Google bei einer Entwicklerkonferenz erste Einblicke in die neue Generation für Kommunikation, Dialog und Kollaboration gewährt und mit "Google Wave"   in Fachkreisen für einen hohen Wellenschlag gesorgt.


Ein paar kurze, aber sehr aussagekräftige Einblicke in die wichtigsten Funktionen von Google Wave liefert Lifehacker   . Ein kurzer Blick lohnt sich, denn dann wird schnell klar, dass Google auf dem besten Wege ist, die Vorteile der beiden webbasierten Dialogformen miteinander zu verbinden. Auch wenn Google ein weiteres Mal die Szene spaltet, mischen sich doch die fast schon üblichen kritischen Anmerkungen zur "Datenkrake Google" in die hörbare Begeisterung der Entwickler-Community: Ich jedenfalls sehe dem Launch Ende des Jahres äußerst erwartungsvoll entgegen. Wer weiß: Möglicherweise muss ich meine Meinung zum Ende der E-Mail ja in einigen Monaten doch revidieren. (Christoph Salzig)

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