"Siechtod der Werbung per Post"

27.10.2008 - ZAW-Sprecher Volker Nickel über mögliche Folgen schärferer Datenschutzregeln, schwarze Schafe der Branche und den Sturm auf die Barrikaden.

Volker Nickel, Sprecher des Zentralverbands der deutschen Werbewirtschaft (ZAW), lässt sich nicht so leicht ins Bockshorn jagen. Der Kampf gegen schärfere Datenschutzregeln ist für ihn noch längst nicht verloren. Im Interview erläutert er, warum.

Nach all den Datenmissbrauchsskandalen der vergangenen Wochen und Monate: Haben Sie nicht auch ein wenig Verständnis dafür, dass die Politik nun mit harter Hand durchgreifen will? Es kann doch nicht so weitergehen wie bisher, oder?Nickel: Populismus war immer schon ein prima Stimmenfänger von Politikern. Tatsache ist: Wir befinden uns nicht im Zustand von Sodom und Gomorrha, also des verworfenen Umgangs mit Datenschutz. Nicht die Politik sollte durchgreifen, sondern die vom Recht vorgesehenen Anwälte des Rechts - die Staatsanwaltschaften, die Aufsichtsbehörden.

Wer hat der Branche eigentlich solche schärferen Gesetze eingebrockt? Waren es wirklich nur ein paar Kriminelle, die man jetzt lediglich dingfest machen müsste?Nickel: Ja, es waren ein paar Kriminelle, schwarze Schafe also. Die produzieren Steigbügel für Vorstellungen von Datenschutz, die sich als Datenfesseln für ehrbare Kaufleute erweisen würden: 99 Prozent der mit Daten befassten Unternehmen sind gesetzes treu und beachten die bestehenden, ohnehin bereits engen Regeln zum Datenschutz.

Welche der diskutierten Gesetzesänderungen treibt Ihnen die tiefsten Sorgenfalten auf die Stirn?Nickel: Die Forderung nach Abschaffung des Listenprivilegs zugunsten der Einführung der verpflichtenden Einwilligung des Umworbenen für die Weitergabe seiner Daten.

Kann solch eine Gesetzesnovellierung denn nicht auch dazu beitragen, das Vertrauen der Konsumenten in die Unternehmen wieder zu stärken und letztlich den Konsum anzukurbeln?Nickel: Nein, die rechtliche Eskalation des Datenschutzrechts kann zum Unrecht werden, weil es die gesetzes treuen Unternehmen bestraft. Die jetzt diskutierte Novellierung würde geradezu die in dieser volkswirtschaftlich schwierigen Phase dringend erforderliche Werbung auch über die Kommunikationskanäle des Direktmarketings behindern.

Wie hoch schätzen Sie den wirtschaftlichen Schaden im Worst Case ein? Wie viele Arbeitsplätze könnten verloren gehen?Nickel: Die angepeilte Verschärfung des Datenschutzrechts bedroht ein gesamtes Umsatzvolumen von rund fünf Milliarden Euro. Zu befürchten ist der Siechtod der Werbung per Post, mit allen Folgen für die Existenz der betroffenen beteiligten Wirtschaftskreise, Arbeitsplätze - und nicht zu vergessen: für die Steuereinnahmen des Staates.

Wen trifft es zuerst und wen am härtesten?Nickel: Werbende Unternehmen, Direktmarketing-Agenturen, Drucke-reien, die Post und natürlich auch Konsumenten, die sich gern speziell etwas anbieten lassen.

Was können Sie den betroffenen B-to-B- und B-to-C-Unternehmen, Verbänden und Institutionen raten? Augen zu und durch?Nickel: Dreimal `aktiv handeln` auf allen Ebenen - mit Landtagsabgeordneten im eigenen Einzugsbereich, mit Bundestagsabgeordneten, Ministerien, Medien. Alles mit dem Ziel der Versachlichung der Debatte, damit die Rechtspolitik keinen schweren Unfall baut. Die Verbände unter dem Dach des ZAW arbeiten hier engagiert und exzellent solidarisch.

Ist der Automatismus im Gesetzgebungsverfahren überhaupt noch offen für Veränderungen? Wann stürmt der ZAW die Barrikaden?Nickel: Wir stürmen ja bereits! Wir wollen keine Revolution, wir wollen politisches Augenmaß. Die aktuelle Finanzkrise sollte zusätzliche Schubkraft geben: Gerade dann, wenn der Konsum aus Angst lahmt, braucht es verstärkte Marktkommunikation: Werbung ist Werbung um Vertrauen. Der Staat muss solche Vertrauensproduktion aber auch zulassen und darf sie nicht abwürgen. Unsere gemeinsame Überzeugungsarbeit lohnt nach wie vor: Bisher werden Ideen der Novellierung des Datenschutzrechts diskutiert. Da kommt dann noch der Entwurf des Innenministeriums mit der Ressort-Abstimmung und etwa Ende November der Beschluss des Bundeskabinetts. Offen, ob Bundestag und dann Bundesrat im Dezember beschließen werden. Auf jeden Fall Zeit für die angestrebte Versachlichung.

Teilen Sie das Gefühl mancher Werber, Werbungtreibender und Dienstleister, dass sich die Große Koalition in Berlin (mit all den bereits beschlossenen Restriktionen in den vergangenen Jahren) auf die Werbewirtschaft eingeschossen hat? Ist ein vernünftiges Verhältnis von Verbraucherschutz und wirtschaftlichem Interesse überhaupt noch gewahrt?Nickel: Klar, Verbraucherschutz verkauft sich prima, weil die Menschen hinter den komplexen Zusammenhängen selten ihre schleichende Entmündigung wahrnehmen. Bundeskanzlerin Merkel und Bundesjus tizministerin Zypries haben sich aber wiederholt auch in letzter Zeit gegen weitere Werbeverbote ausgesprochen. Produziert werden die Stichwörter in der EU: zum Beispiel Abwürgen der Lebensmittelwerbung, Zwangsangaben in der Pkw-Werbung und deren teilweise Enteignung oder schleichendes Verbot des Markenwettbewerbs der Produzenten und Anbieter alkoholhaltiger Getränke. Viel zu tun also auf allen Ebenen.

Interview: Martin Teschke

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