Turbulenzen um "Gratiszeitung"

02.10.2008 - Wie angespannt die Atmosphäre ist, wenn es um das Thema Gratiszeitung geht, lässt sich an der folgenden kleinen Geschichte ablesen:

Am 12. September um genau 10.15 Uhr verkündete der Axel Springer Verlag via E-Mail-Pressemitteilung, vom 20. September an mit der "Berliner Morgenpost Wochenend-Extra" eine "Zeitung" auf den Markt bringen zu wollen, die rund einer Million Berliner Haushalte "kostenlos" zugestellt werde. Als daraufhin die versammelte Online-Presse - darunter auch ONEtoONE - von einer "Gratiszeitung" oder einem "Gratisblatt" schrieb, liefen die Springer-Leute in Berlin Sturm.

Genau fünf Stunden nach der ursprünglichen Meldung, um 15.15 Uhr, kam die "Richtigstellung": Bei der "Berliner Morgenpost Wochenend-Extra" handele es sich um die "neuartige Zeitungskonzeption eines Anzeigenblatts". Medienberichte, wonach Springer plane, eine Gratiszeitung auf den Markt zu bringen, seien schlicht "falsch". Ungläubigen Lesern und Journalisten lieferte der Springer Verlag auch gleich eine passende Begründung mit: "Wochenend-Extra" erfülle "keines der Merkmale einer typischen Gratiszeitung, wie etwa tagesaktuelle Berichterstattung oder eine aktive Verteilung an Pendler".

Nun hat aber der Axel Springer Verlag nicht die Definitionshoheit über den Begriff "Gratiszeitung". Jetzt, nach der zweiten Ausgabe, ist klar: Die samstags erscheinende "Berliner Morgenpost Wochenend-Extra" umfasst 16 Seiten und beinhaltet hauptsächlich redaktionelle Texte, die den Tagesausgaben der "Berliner Morgenpost" in der jeweils zurückliegenden Woche entnommen sind. Zu den zweitverwerteten Berichten gesellen sich Service-Seiten - beispielsweise mit Wochenendtipps und Fernsehprogramm -, die hauptsächlich aus der hauseigenen Service- und Entwicklungsredaktion von Springer stammen. Hinzu kommen erste Anzeigenschaltungen.

Eindeutig ist, dass der Springer Verlag das Gratisblatt über Anzeigen finanzieren will. "Die Einführung der ,Berliner Morgenpost Wochend-Extra` dient in erster Linie der Stärkung des Markenbekanntheitsgrads der ,Berliner Morgenpost`, der Ansprache neuer Zielgruppen, der Erschließung zusätzlicher Erlösquellen durch das Anzeigengeschäft sowie der Marktabsicherung", so der Verlag. Er bewirbt das "Wochenend-Extra" als "passgenaues Werbeumfeld mit vielfältigen Möglichkeiten".

Dass allerdings ausgerechnet die Deutsche Post die "Berliner Morgenpost Wochenend-Extra" zustellt, ist nicht ganz ohne Brisanz. Der Springer-Verlag lag in der Vergangenheit auf mehreren Feldern mit der Deutschen Post über Kreuz. Mit seinem inzwischen gescheiterten Engagement bei der Pin Group wollte Springer die Post in ihrem Kernsegment angreifen. Zweitens gilt der Verlag als einer der Hauptgegner von Plänen der Deutschen Post, eine eigene neue Gratiszeitung auf den Markt zu bringen. Auf dem Anzeigenmarkt kreuzen sich ebenfalls die Wege der Deutschen Post und des Springer-Verlags. So hat die Deutsche Post die ebenfalls samstags verteilte Prospektsammlung mit TV Programm namens "Einkauf Aktuell" im Portfolio - mit einer Auflage von mittlerweile 17 Millionen Stück und eigenen Angaben zufolge einem Erlös von 100 Millionen Euro.

Springer-Chef Dr. Mathias Döpfner versucht hingegen das Verhältnis zur Deutschen Post pragmatisch darzustellen: "Die Kooperation mit der Post ist kein Strategiewechsel, sondern seit Jahrzehnten geübte Praxis bei der Zustellung unserer Titel."

Als nicht ausgeschlossen gilt, dass die aktuelle Zusammenarbeit der Deutschen Post und des Axel Springer Verlags der Auftakt zu weit reichenden Kooperationen des Bonner Konzerns mit der Verlagsbranche ist. Erst im Mai dieses Jahres hatte Brief-Vorstand Gerdes nach einem heftigen Streit mit den Verlegern seine eigenen Zeitungspläne auf Eis gelegt und erklärt: Die Kombination der Stärken beider Partner - Redaktion und Content auf Seiten der Verleger und logistische Qualität und Reichweite auf der Seite der Deutschen Post - könnten zu erfolgversprechenden neuen Produkten führen. "Gemeinsam könnten sich für uns auch im Werbegeschäft völlig neue Chancen ergeben", so Gerdes. Bislang kooperiert die Deutsche Post lediglich mit der WAZ-Gruppe. Zeitungszusteller verteilen in einem Pilotprojekt unadressierte Werbung.

Nach dem Deal mit Springer schielt die Deutsche Post offenbar auf weitere Zustellaufträge dieser Art - ob es sich dabei nun um Gratiszeitungen handelt oder nicht. Von dem Geschäft mit Medienunternehmen erhofft sich der Konzern eine Menge. Immerhin engagierte die Deutsche Post dafür eigens Lutz Glandt, ehemals Geschäftsführer der Essener WAZ Mediengruppe.

Martin Teschke

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