Ethnomarketing: Kundenansprache ohne Klischees

21.05.2003 - "Die Türken sind eine sehr emotionale, sehr dankbare und konsumstarke Zielgruppe"

Wie heißt es so schön im Volksmund? "Andere Länder, andere Sitten." Und eben die gilt es auch in den Werbebotschaften zu berücksichtigen - vorausgesetzt man will einen potenziellen Kunden fremdländischer Herkunft individuell ansprechen. Vieles ist hier anders: Mentalität, Religion, Kultur, Sprache und zum Teil auch die Lebensgewohnheiten. Wer die Aufmerksamkeit einer ausländischen Zielgruppe erreichen will - in der Fachsprache ist von Ethnomarketing die Rede -, sollte seine Werbung diesen Unterschieden entsprechend ausrichten.

Natürlich kann Ethnomarketing theoretisch auf jede beliebige Bevölkerungsgruppe angewandt werden, wer hier zu Lande davon spricht, meint aber zumeist spezielles Marketing für die türkische Zielgruppe. Und das hat gute Gründe: "Die türkische Zielgruppe ist die mit Abstand größte und homogenste Ausländergruppe in Deutschland", sagt Olaf Kaestner, Consultant bei der auf türkische Verbraucher spezialisierten Vermarktungs- und Media-Agentur Euro Türk Media in Offenbach. "In Deutschland leben rund 2,5 Millionen Türken, die zusammen über eine Kaufkraft von jährlich 17 Milliarden Euro verfügen. Sie leben hier zum Teil schon in der dritten Generation und haben kein Identitätsproblem. Sie fühlen sich als Deutsche und als Türken."

Einer Untersuchung der GfK Medienforschung zufolge verfügen türkische Haushalte in Deutschland über ein Nettoeinkommen von durchschnittlich 1.900 Euro pro Monat. Deutsche Haushalte haben mit durchschnittlich 2.050 Euro nur unwesentlich mehr Geld zur Verfügung. Außerdem sind die hier lebenden Türken vergleichsweise jung - und damit besonders interessant für die werbungtreibende Wirtschaft.
Laut Untersuchung liegt das Durchschnittsalter der Türken in Deutschland bei 35 Jahren, Deutsche hingegen sind durchschnittlich 47 Jahre alt. Ein weiterer Aspekt, der für die gesteigerte Konsumbereitschaft der Türken spricht, ist die Größe der Haushalte. Während in deutschen Haushalten durchschnittlich 2,6 Personen leben, sind es in türkischen Haushalten durchschnittlich 3,9 Personen. Und: Türkische Mitbürger konsumieren gerne. "Gerade die jüngere Generation hat ein ausgeprägtes Marken- und Statusbewusstsein", so Kaestner. Laut GfK-Untersuchung ist für die meisten Türken in Deutschland die Qualität der Produkte wichtiger als der Preis.

Vorbei sind also die Zeiten, als die Plastiktüten von Aldi scherzhaft Türkenkoffer genannt wurden. Das "arme Immigranten"-Image dürfte längst ausgedient haben und einem neuen selbstbewussten und kaufstarken Konsumenten-Image gewichen sein. Oder? Nach Ansicht von Bülent Bastürk, Vorstandsvorsitzender der Berliner Fullservice- und Ethnomarketing-Agentur think different, erschweren immense Vorurteile noch immer das Geschäft. "Viele Entscheider in Unternehmen haben noch die Klischees vom Gastarbeiter, Döner- und Obstverkäufer vor Augen. Dabei verfügen die Türken über eine sehr starke Kaufkraft. Der Lebensstandard der türkischen Zielgruppe ist den deutschen Unternehmen weitgehend unbekannt, und damit verpassen sie wichtiges Potenzial. Die Bedeutung der türkischen Zielgruppe für die deutsche Werbewirtschaft wird nicht erkannt und es ist auch nur wenig Wille da, sich mit dem Thema auseinander zu setzen."

Aber: Wer nicht mehr den längst überholten Klischees aufsitzt und auf individuelle Ansprache der türkischen Zielgruppe setzt, der bleibt in der Regel auch dabei und integriert Ethnomarketing als festen Bestandteil in seinen Kommunikationsmix. Bastürk: "DaimlerChrysler zum Beispiel macht das richtig gut. Die werben nicht nur auf Türkisch, sondern bieten in ihren Call-Centern zusätzlich auch türkischsprachige Beratungsservices an." Auch die AOK Berlin wendet sich mit ihrem Web-Portal speziell an die türkische Zielgruppe und informiert sie in deren Landessprache über sämtliche Leistungen. Für diesen türkischen Part zeichnet think different verantwortlich. Die Offenbacher Euro Türk Media berät u.a. Vodafone, die Citibank und die Bausparkasse Mainz in Sachen Ethnomarketing.

Dass die Türken in Deutschland eine wichtige Werbezielgruppe sind, hat auch die Deutsche Post erkannt. Klar, die Eingewanderten pflegen meist enge Kontakte zu Verwandten in der Heimat - und schicken sicherlich gern Briefe und Pakete gen Bosporus. "Wir setzen seit sechs Jahren auf maßgeschneiderte Zielgruppenansprache und mentalitätsnahe Werbestrategien, die speziell die kulturellen Bedürfnisse berücksichtigen. Bislang sprechen wir vorwiegend die türkische Zielgruppe und zum Teil auch die polnische an", berichtet Dr. Diane Rinas von der Deutschen Post in Bonn, die als Produktmanagerin die Ethnomarketing-Kampagnen des Unternehmens begleitet. Demnächst soll auch die russische und süd- europäische Bevölkerungsgruppe passend zu Mentalität und Muttersprache beworben werden.

Ende letzten Jahres hat die Deutsche Post bereits zum vierten Mal eine groß angelegte Neujahrskampagne gefahren. Rund 210.000 türkische Haushalte in Deutschland erhielten ein zweisprachiges Mailing, das dazu motivieren sollte, die Freunde und Verwandten in der Heimat mit Neujahrsgrüßen zu beglücken - eine orientalisch anmutende Postkarte wurde direkt beigelegt. Zudem gab´s ein Gewinnspiel, bei dem entweder ein Auto, eine Reise in die Türkei oder ein Abendessen mit den populären türkischen Künstlern Kirac und Funda Arar verlost wurden. Begleitet wurde die Aktion durch TV-Spots bei türkischen Fernsehsendern, Image-Anzeigen, PR-Maßnahmen, einem Internetauftritt und einem großen Final-Event mit Kirac und Funda Arar.

Das Ganze hat sich gelohnt: Die Kampagne erzielte einen Response von 25 Prozent, rund 53.000 Sendungen wurden von der türkischen Zielgruppe in Auftrag gegeben, und die deutsche und türkische Presse reagierte mit positiver Berichterstattung. "Die Erfolge der Kampagnen zeigen, wie wichtig es ist, die interkulturellen Unterschiede in der Kundenansprache zu berücksichtigen", erklärt Rinas.

Wie aber muss eine Kampagne aussehen, damit sie beim türkischen Mitbürger auf Interesse stößt? Rinas: "Ethnische Sensibilitäten hinsichtlich Tonalität, Bild und Text müssen unbedingt berücksichtigt werden. Als erfolgreich hat sich das Muttersprachenkonzept erwiesen. Außerdem muss man effiziente Kommunikationskanäle einsetzen, und hier hat sich das Direktmarketing als aufmerksamkeitsstärkster Anspracheweg herausgestellt."

Bülent Bastürk warnt vor plumpen Eins-zu-eins-Übersetzungen. "Man muss eigene Texte kreieren und darf keinesfalls deutsche Sprichwörter ins Türkische übertragen, denn die versteht keiner. Außerdem muss man kulturelle Eigenarten berücksichtigen. Einen türkischen Kunden sollte man in einer Promotion-Aktion nicht unbedingt zum Spanferkel-Essen einladen. Auch als Glückssymbol kommt das Schwein nicht sehr gut bei der türkischen Bevölkerung an."

Olaf Kaestner von Euro Türk Media rät, die Werbung familienorientierter auszurichten. "Man muss sich überlegen, wer die Kaufentscheidungen trifft." Wenn ein Finanzdienstleister beispielsweise einen 22-jährigen Mann über Finanzanlagemöglichkeiten informieren möchte, müsse berücksichtigt werden, dass meist der türkische Familienpapa die Finanzen verwaltet. Und das wiederum sollte sich auf die Gestaltung der Werbung auswirken.
Auch auf die Konsumpräferenzen sollte laut Kaestner geachtet werden. "Türken heiraten in der Regel viel früher und gründen früher eine Familie. Dadurch ergibt sich eine ganz andere Lebensplanung." Und dementsprechend können für die türkische Zielgruppe andere Produkte und andere Ansprachewege zu anderen Zeitpunkten relevant sein.

Generell gilt also auch hier die wohl wichtigste Regel aller Dialogmarketer: Man muss seine Kunden genau kennen. Bastürk: "Die Türken sind eine sehr emotionale, sehr dankbare und konsumstarke Zielgruppe." Es lohnt sich also, sie kennen zu lernen. sam

Ihr Guide im New Marketing Management - ab 6,23 im Monat!

Hat Ihnen diese Beitrag weiter geholfen? Dann holen Sie sich die ONEtoONE-Premium-Mitgliedschaft. Sie unterstützen damit die Arbeit der ONEtoONE-Redaktion. Sie erhalten Zugang zu allen Premium-Leistungen von ONEtoONE, zum Archiv und sechs mal im Jahr schicken wir Ihnen die aktuelle Ausgabe.

Diskussion:

Vorträge zum Thema:

  • Bild: Jacqueline Althaller
    Jacqueline Althaller
    (Althaller Communication)

    Social Media in der B2B Kommunikation: Kommunikation wird globaler - KI im B2B angekommen

    Der Vortrag bietet Einblicke in die zentralen Erkenntnisse der aktuellen B2B Social Media Langzeitstudie 2024/25 - der einzigen ihrer Art im DACH-Raum. Im Fokus stehen aktuelle Trends der B2B-Kommunikation, der verstärkte Einsatz von Künstlicher Intelligenz und deren Auswirkungen auf Strategie, Content und Rollenbilder. Darüber hinaus ermögliche ich den Teilnehmern einen exklusiven Einblick in unser "My Social GPT" Tool, welches als völlig marktneue Beratungsform, in nur 30 Minuten individuelle Fragen beantwortet und datenbasierte Handlungsempfehlungen liefert.

    Vortrag im Rahmen der KI in der Kundenkommunikation 25. am 27.05.25, 10:30 Uhr

Anzeige
www.hightext.de

HighText Verlag

Mischenrieder Weg 18
82234 Weßling

Tel.: +49 (0) 89-57 83 87-0
Fax: +49 (0) 89-57 83 87-99
E-Mail: info@onetoone.de
Web: www.hightext.de

Kooperationspartner des

Folgen Sie uns:



Besuchen Sie auch:

www.press1.de

www.ibusiness.de

www.neuhandeln.de