Digitalisierung

"Wir müssen uns eine neue Existenzberechtigung suchen"

04.09.2015 - Big Data, Real Time und Online Behavioural Advertising - im Marketing hat sich vieles geändert in den letzten Jahren. Wir haben mit Dietmar Dahmen, freier Kreativberater und Chief Innovation Officer bei der Digitalagentur ecx.io, darüber gesprochen, was Marketer loslassen und was sie dazu gewinnen müssen, um in der neuen Umgebung bestehen zu können.

Mit der Digitalisierung hat sich das Marketing drastisch verändert. Welche Entwicklung ist für Sie entscheidend gewesen?Früher haben alle von der Marke aus gedacht und wie man sich am besten am Markt positioniert. Das hat man dann USP genannt. Aber das U in USP stand eigentlich eher für Uniform als für Unique, denn der USP war für alle gleich. Kinder sollten sich aus dem gleichen Grund eine Cola kaufen wie ein Rentner. Die Leute haben immer nur an Marke und Wettbewerb gedacht, nicht an den Kunden. Nehmen wir mal an, Sie sind ein Gladiator. Dann achten Sie, ist ja auch logisch, auf den anderen Gladiator gegen den Sie gerade kämpfen. Schlussendlich hebt oder senkt aber das Publikum den Daumen und entscheidet, ob Sie leben oder sterben sollen.

Was hat sich daran nun geändert und wieso?Mittlerweile gibt es einen, wie ich ihn nenne, ISP, Individual Selling Point, zumindest ist der heute möglich. Früher kannte man die Konsumenten noch nicht so gut wie heute. Während damals hauptsächlich der Content zählte, geht es jetzt auch um den Kontext, also wann der richtige Zeitpunkt für eine Botschaft ist. Wenn der Tank in meinem Auto leer ist, dann erfährt das heute das Navi. Dann kann es mir eine Tankstelle in der Nähe anzeigen. Und zwar dann, wenn der Tank leer ist und nicht dann, wenn ich gerade von der Tankstelle komme. Also bekomme ich das gewisse Produkt genau dann gezeigt, wenn ich den Bedarf danach habe.

Was ja noch lange nicht heißt, dass sich das Produkt so verkaufen kann...Genau. Ich kann zwar herausfinden, wann eine Nachricht nicht falsch ist. Ob sie richtig ist, weiß ich allerdings noch lange nicht.

Wenn ein Advertiser genau weiß wann ich was wo tue, finde ich das schon etwas unheimlich. Kann das nicht irgendwann Reaktanzen bei den Konsumenten hervorrufen?Ich denke, man wird sich dieser Entwicklung nicht entziehen können. Klar, heute kriege ich noch einen Reward, wenn ich meine Daten preisgebe. Nehmen wir die Apple Watch als Beispiel: Da gibt es die finanzielle Belohnung von der Krankenkasse in Form eines Zuschusses, aber auch eine psychologische: Ich geben zwar mehr meiner Daten preis, habe dafür aber das angesagteste neue Device. Wenn man seine Daten aus Trotz nicht hergibt, ist das auch eine Aussage. Kann man sich dadurch zum Beispiel 20 Prozent der Krankenkassenbeiträge sparen und verweigert sich, geht bei der Krankenkasse wahrscheinlich eine Art Alarm los.

Aber nach dem NSA-Skandal, den steigenden Datenmenge und den Entwicklungen, die da zum Beispiel mit dem Internet of Things noch kommen werden, ist eine bestimmte Angst oder Aversion gegen die Preisgabe der Daten doch begründet, oder nicht?Na klar sind die Nachteile vorhanden: Man kann vernetzte Autos hacken, sogar eine Boeing ist über ihr Entertainment-System hackbar. Jede Innovation hat zwei Seiten, das ist bei Digitalisierung und steigenden Datenmengen nicht anders. Deshalb ist auch Cyber-Security ein so wichtiges Thema momentan, das wird auch mit Big Data und der steigenden Anzahl an Devices immer wichtiger. Aber ich habe noch niemanden sagen hören, lasst uns das Internet abschalten. Klar gibt es Nachteile, aber die Vorteile überwiegen einfach. Es ist eine naive Vorstellung, man könnte sich da raus halten.

Müssen Marketer also von Grund auf umdenken?Ja. Kollaboration auch mit anderen Arten war immer das, was den Menschen von anderen Lebewesen unterschieden hat. Jetzt arbeiten wir mit Maschinen zusammen. Das bedeutet neue Teams und vor allem: eine neue Rollenverteilung innerhalb des Teams, je nach Zusammensetzung. Ich ändere mich nicht. Mit einer neuen Gruppe ändert sich aber meine Funktion innerhalb dieser Gruppe und damit auch die Kompetenzen, die ich einbringen kann. Programme sind in der Marketing-Gruppe jetzt das Schlaueste. Die können in Real Time Vorhersagen treffen. Wir Marketer brauchen daher eine neue Rolle.

Und welche Rolle kann das sein?Früher zählte die Meinung eines CDs, welches Bild das beste ist. Heute wird in Echtzeit getestet, welches Bild die User am besten finden. Aber die Maschinen können alle das gleiche und somit können auch alle Marken die gleiche Werbung machen. Was sie am Ende voneinander unterscheidet, bleiben Kreativität und Menschlichkeit.

Heißt das auch, Branding wird wichtiger?Ja, Branding wird sehr wichtig. Man sieht das heute schon beim Kaffee, die Marke wird zum Accessoire. Dass eine Marke sexy ist, dafür werden weiterhin Menschen verantwortlich sein, nicht Maschinen.

Wieso ist es für viele so schwierig, die neue Rolle anzunehmen?Viele halten an dem Alten fest. Es aufzugeben ist immer schmerzvoll und kostet Energie. Dazu kommt das Umlernen, was auch wieder Arbeit bedeutet. Ich habe das Gefühl, gerade hier in Deutschland neigt man stark zu Verkopfung der Dinge. Dieses Sicherheitsdenken, dass die zweite Maus immer den Käse bekommt, ist in Wirklichkeit nur eine Aversion, Neues zu machen. Jeder sagt immer, das klappt bei allen anderen, aber bei mir und meiner Marke nicht. Das ist ein psychologisches Phänomen.

Wie kann man diese Denkmuster aufbrechen?Es geht um eine Änderung des Fühlens und nicht eine des Denkens. Marketer müssen emotional fühlen und psychologisch verstehen was das neue Marketing ist. Es reicht nicht, es einfach nur zu wissen oder die Technik zu lernen. Ich muss das auch leben. Und das ist ein ewiger Wandel, der - das kommt erschwerend hinzu - immer schneller wird. Um das gut zu finden, muss ich eine Wandelmentalität entwickeln. Wir müssen das Alte aufgeben, umlernen und uns in der neuen Gruppe neben den Maschinen eine neue Existenzberechtigung suchen.

[k]Das Interview führte Katharina Schneider[/k]

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