29.07.2009 - Sommer 2009. Es ist eigentlich wie immer. Ein konstantes Hoch will sich nicht einstellen. In den Büros herrscht mehr eine Atmosphäre, die von Terminkoordinationen ("Der Kollege ist leider im Urlaub! [k]- Pause - [/k]Nein, dann bin ich im Urlaub."), (vorübergehender) Unterbesetzung und zurückhaltender Telefonie (die Gesprächspartner sind schließlich auch alle im Ferienparadies) gekennzeichnet ist, denn hektische Betriebsamkeit (Ausnahmen bestätigen die Regel, wer das nicht glauben will, darf mir gern einen Besuch abstatten;-). Die Aufmacher der Tageszeitungen schwanken ob parlamentarischer Sommerpause zwischen politischen Skandälchen, (Un-)Wetterberichten, Waldbränden und Verkehrsprognosen - das Ende der KiTa-Proteste wird diesen Schlagzeilen weiter Vorschub leisten. Die Wirtschaftsressorts sind mit Stories für die nächsten Jahre eingedeckt und die Sportseiten werden in der Transferphase vor allem von Wechselgerüchten und den Berichten über Rundfahrten (mit freundlicher Unterstützung der Pharmaindustrie) gefüllt.
Was aber machen in der "Saure-Gurken"-Zeit eigentlich die Branchenmedien, deren Zielgruppen, Redakteure und Nachrichteninitiatoren ebenfalls massenhaft Autobahnen und Flughäfen bevölkern, um sich von der Kakaphonie zu erholen? Gute Frage. Am zweiten Tag nach meiner Rückkehr aus der schönsten "Zeit des Jahres" durfte ich mir hiervon mit Hilfe archivierter Newsletter einen Überblick verschaffen. Demzufolge war die "Saure-Gurken"-Zeit in diesem Jahr besonders sauer. Ich fasse mal kurz zusammen, was in den letzten Wochen die Branchenmedien unnötig beansprucht hat. Hier meine Rangliste der überflüssisten Nachrichten mit einem kurzen subjektiven Kommentar. Wie es der Kassenpatient vom Freitagabend-Privatfernsehen (nichts habe ich im Urlaub weniger vermisst) gewohnt ist, erfolgt die Zusammenfassung als Countdown:
5. "Wirbel um angeblichen Ballackwechsel zum HSV." Nein, die "Ente" ist es gar nicht, die mich ärgert. Gerade bei Wechselgerüchten haben Sport- und insbesondere Boulevardmedien schon zu oft daneben gelegen. Aber genau das ist es ja gerade, was Fußallfans in dieser Hochphase der Dementis umtreibt. Es ist vielmehr die Art und Weise, wie mit der ganzen Geschichte umgegangen wurde, die mich zu der Überzeugung kommen lässt, dass mir eine Mücke im Gewand eines Elefanten verkauft wurde. Zur Erinnerung: Initial der "Ente" waren Tweets
, die Sachar Kriwoj aus dem fahrenden ICE gesendet
hatte, in dem er nach eigener Aussage zwei Spielerberater und einen Rechtsanwalt zu genanntem Sachverhalt belauscht hatte. Nicht gerade das, was aus Medienperspektive als seriös anzusehen ist, wie ich meine (obwohl ich Sachar Kriwoj persönlich kenne und für integer halte). Ist es Zufall, dass außer Spox
kein anderes Sportmedium die vermeintliche Story aufgegriffen hat? Auch in der Gerüchteküche von transfermarkt.de, wo traditionell jeder noch so hanebüchene Wechsel heiß diskutiert wird, hatte der vermeintliche Ballackwechsel bzw. die etwaigen Planspielüberlegungen hierzu keine besonders hohe Halbwertzeit. Was an einer nüchternen Betrachtung der Ausgangsposition beim HSV liegen dürfte.
Mit der Bewertung des Gesprächs und den Hintergründen möchte ich mich gar nicht lange aufhalten. Erstaunlich finde ich an dieser "Story", die in Wahrheit keine ist, eher die Tatsache, dass die Boulevardmedien (Abendblatt
, bild.de
und Express
) darauf angesprungen sind. Weniger erstaunlich finde ich, dass der Vorfall in der Blogosphäre weite Kreise gezogen hat und natürlich auch bei einem der unvermeintlichen Nachrichtengeneratoren der Medienbranche gelandet ist, der den Vorfall dann auch noch zu einem Interview aufgeblasen hat, das nun auf YouTube
zur weiteren Zeitverschwendung abrufbar ist. Und wieder einmal zeigt sich, wie solche Geschichten sich im Web fortsetzen. Google listet entsprechende Einträge auch fast vier Wochen nach dem Sturm im Wasserglas immer noch ganz weit oben
. Twitteratis und Blogger fühlen sich ob des Vorfalls ein weiteres Mal in ihrer Auffassung bestätigt, dass Journalisten ihre Gatekeeper-Funktion verloren hätten und scheuen selbst Vergleiche mit der Nachrichtensituation (und der Rolle des Internets) im Iran nicht. Hier
ist der Blogbeitrag von Sachar Kriwoj hierzu zu finden.
Fakt ist: Der Weg, den Nachrichten heute ans Licht der Öffentlichkeit nehmen, ist sicher ein anderer als noch vor wenigen Jahren. Auch müssen Journalisten, denen ich immer noch eine sehr wichtige Funktion in unserer Gesellschaft zuweisen möchte, sich bei ihrer Nachrichtenproduktion auf diese neuen Wege einlassen. Ich fürchte nur, dass sich angesichts dieser Episode (oder besser: Nullnummer?) ein weiteres Mal Kopfschütteln in den Redaktionen breit machen dürfte, womit für Citizen oder Grassroot Journalism nichts gewonnen ist - im Gegenteil. Im Übrigen sind es immer noch die Medien, die schlagartige Reichweite erzielen - warum sonst listen alle Blogautoren rund um diesen Casus die Medien, die darüber berichtet haben, auf? So gesehen bleiben sie auch in ihrer Gatekeeperfunktion. Und genau darum sind sie verpflichtet, journalistisch zu arbeiten, Nachrichtenhintergründe zu bewerten und abzuwägen, was in die Berichterstattung einfließen sollte und was nicht. Das erfordert eine neue Medienkompetenz. Übrigens nicht nur bei Journalisten, auch bei Spielerberatern;-) Ich selbst werde weiterhin Musik hören bei meinen Zugfahrten. Eben weil ich befürchte, Dinge zu hören, die mich im Falle des Weitertratschens von der Ausübung meines eigentlichen Jobs abhalten könnten. Sachar Kriwoj ist - auch das sei der Vollständigkeit halber erwähnt - Pressesprecher bei scoyo. Hier noch ein Fall, in dem sich ein Tweet
zu den Wechselwünschen des Herrn Podolski aus dem November 2008 später als zutreffend entpuppt hat. Urheber ist hier übrigens Thomas Knüwer, Journalist beim Handelsblatt.
4. "Frank Plasberg gewinnt das ARD-Kanzlerduell" so titelte ein Branchenmedium aus der bayerischen Landeshauptstadt in ihrem Newsletter. Abgesehen davon, dass die Überschrift für den Hohlspiegel taugt, ist sie außerdem nichtn nur einige Monate zu früh, sondern liefert dem Wahlvolk so gar keine Hilfestellung in Sachen Wahlentscheidung...
3. Michael Jacksons' letzte Performance. Nach Obamas Amtsantritt war es das Medienspektakel schlechthin: Das Begräbnis des King Of Pop. Auf die Omnipräsenz in den Schlagzeilen, den Musikrotationen im Radio und den Verkaufscharts bei Amazon & Co. (in nahezu allen Kategorien außer Hardware) folgte die Endlosschleife der letzten Bilder sowie scheinbar unendlicher Zusatzangebote, die das Web zeitweise an eine Mega-DVD erinnern ließen. Der vermeintliche Tiefpunkt: Der ewige Moonwalk unter eternalmoonwalk.com
- ich fürchte, für die meisten bleibt nicht viel mehr von der Poplegende als diese merkwürdige Bewegtbildtapete. Besser kann der Umgang mit dem tragischen Tod von Michael Jackson kaum dokumentiert werden. Ich würde gern mal wissen, wieviele Ideen in den verschiedenen Medien tatsächlich umgesetzt worden wären, wenn das Ganze nicht ins Sommerloch gefallen wäre. So gesehen fühle ich mich fast ermutigt ein gutes Timing für den unfreiwilligen Abgang zu attestieren.
2. Die Analyse zur Mediennutzung eines 15-jährigen Morgan Stanley Praktikanten erregt Aufsehen. Laut FTD
hat der Schüler mit der BEschreibung der Nutzungsgewohnheiten seiner Freunde das fünf- bis sechsfache Echo "normaler" Analysen des Beratungsunternehmens erzielt. Abgesehen von der Tatsache, dass nichts, aber auch wirklich nichts in dieser "Analyse" wirklich überrascht (Twitter ist überbewertet, Musik am liebsten umsonst aus dem Web etc.), frage ich mich noch, wem mit diesem Echo ein Armutszeugnis ausgestellt wurde - den Analysten von Morgan Stanley oder den Resonanzverstärkern auf Medienseite. Im Zweifel beiden.
1. Das ungeschlagene Highlight der überflüssigen Nachricht des Sommers 2009 aber ist... tja, was war es nur. Es ist mir entfallen. Es war so unwichtig, dass ich mich nicht einmal über die kurzfristige Beanspruchung meiner Sinne echauffieren kann. So ist das. Und auch dieser Blogbeitrag wird dem geneigten Leser wahrscheinlich sehr schnell wieder sehr schnell entfallen. Aber wenigstens hat er dem einen oder anderen Leidensgenossen, der sich nach seinem Urlaub mit sauren Gurken (und denen, die es nicht einmal dazu gebracht haben) herumgeplagt hat, vorher eine kleine Katharsis verschafft. Die Hoffnung stirbt zuletzt.
In den nächsten Beiträgen werde ich mich dann wieder dem widmen, was mich wirklich bewegt. Versprochen! (Christoph Salzig)
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