BDSG: Ein Beitrag von Friedhelm Lammoth

10.03.2009 - In der Auseinandersetzung um das neue Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) schlagen die Wellen im Lager der Direktmarketer immer höher. Nach seinem FREIRAUM-Beitrag in der jüngsten ONEtoONE ("Vom Datenschutz zum Staatsterror?") legt auch Friedhelm Lammoth zu dem Thema noch einmal nach und erwartet von der Branche "civil disobedience". Friedhelm Lammoth ist Inhaber der Agentur Lammoth Mailkonzept in St.Gallen/Schweiz und Ehrenpräsident des Deutschen Dialogmarketing-Verbandes DDV.

Mit "Morosité" kommentierte Ralf Dahrendorf einen seiner letzten Besuche in Deutschland. Und der Lord rätselte, "wie man diese Deutschen aufheitert, die nur jammern und aussehen, als seien sie selbst im Sommer durch das Tragen langer Unterhosen gepeinigt." Dasklingt so, als habe man uns durchschaut: War vor nicht all zulanger Zeit die "Angst vor Deutschland" das große Thema, ist es jetzt "die Angst in Deutschland". Alle Welt spricht vom "German Disease". Einer scheinbar typisch deutschen Gemütserkrankung, die sich durch niedrigen Blutdruck, grundlose Lähmung und Mutlosigkeit bemerkbar macht.

Angst ist ansteckend. Die Stimmung in Deutschland ist so, dass kaum jemand danach fragt. Die Leute bewegen sich in zwei Richtungen: Die einen treten auf der Stelle. Die anderen sind auf der Flucht und bereit, alles wegzuwerfen, was beim Laufen hinderlich ist. Vergangenheit und Gegenwart. Und würde man über die Zukunft abstimmen - die meisten wären vermutlich dagegen.

Ängstlicher Kleinmut und sauertöpfischer Pessimismus sind dabei, sich wie Mehltau über Gesellschaft und Wirtschaft zu legen und die Power zu lähmen. In den Unternehmen sehen viele so weinerlich aus, als wären sie gerade durch eine Prüfung gefallen. In den Chefetagen machen sie Gesichter, als würden sie sich den ganzen Tag darauf konzentrieren, dass sie ihr Passwort nicht vergessen: TDGS4Z.Und das Dauerlamento von der deutschen Malaise hat jetzt auch die einst so stolze Direktmarketing-Branche erfasst. Denn die am 10. Dezember 2008 vom Bundeskabinett beschlossene Datenschutz-Novelle trifft den Lebensnerv von Dienstleistern und Anwendern, die 2008 über 33 Milliarden in Direktmarketing investiert haben.

Was dabei besonders betroffen macht, ist die grassierende Schulterzuck-Mentalität. Wir wehren uns zu zaghaft in unserer Eigenschaft als Bürger, deren Rechte ähnlich dreist beschnitten werden, wie in den USA. Und wir wehren uns auch zu wenig als Marktteilnehmer, denen wirtschaftsfeindliche Politiker die Existenzgrundlage in einer Weise entziehen, die immer mehr marxsche Dimensionen (Expropriation der Expropriateure) annimmt.

Listbroking ist systemrelevant
Trotzdem sucht man in der Wirtschafts- und selbst in der Werbefachpresse vergeblich die großen Aufmacher, wo die Nöte der Direktmarketer thematisiert werden. Schlagzeilen machen stattdessen Petitessen wie die Spekulation auf steigende Onlineumsätze bis zu 4 Milliarden. In persönlichen Gesprächen macht man die Erfahrung, dass viele Agenturkollegen auch in Zukunft bussiness as usual erwarten. Oder zumindest eine Art Komplementär-Direktmarketing, mit dem sich immer noch Kreativpreise gewinnen lassen. Und wenn man mit Anwendern über Opt-in diskutiert, stellt man fest, dass viele nur vage Vorstellungen von den Auswirkungen haben, weil es ihnen noch kein Mensch richtig erklärt hat. Denn kaum jemand redet Klartext und sagt, dass ohne Listenprivileg Siegfried Vögeles schriftliches Verkaufsgespräch so gut wie tot ist, weil das Listbroking systemrelevant ist.

Natürlich mühen sich ZAW, DDV und Versandhandelsverband redlich. Und die große Zahl von Einzelinitiativen ist bemerkenswert. Hier die offenen Briefe an die Kanzlerin, die mittlerweile fasst inflationär verfasst und veröffentlicht werden. Dort die vom Verlag für die Deutsche Wirtschaft initiierte Berliner Datenschutzrunde, die immerhin 72 Unterstützer hat. Obwohl auch hier vermutlich keine Berge versetzt werden. Denn "Berliner Runde" klingt nicht gerade nach Aufstand und Rebellion, sondern eher nach Biertisch-Tümelei. Und damit letzten Endes nach Prost-Mahlzeit.

Die jüngste Initiative ist das neue Datenschutzforum der Business-Plattform XING, dem sich innerhalb weniger Tage rund 400 Mitglieder angeschlossen haben. Trotzdem wundert sich Co-Moderatorin Simone Dillmann vom FID-Verlag zu Recht, wieso sich auch hier nicht mehr Wut breit macht. Wieso die Leute nicht auf die Barrikaden gehen. Wo die Anwender bleiben. Weshalb unsere Anliegen für die Wirtschaftspresse kein Thema sind. Wieso sich nur die üblichen Verdächtigen exponieren und nicht die jungen Wilden unserer Branche, die noch nicht vom Angsthasen-Virus befallen sind.

Gegen das 11. Gebot verstoßen
Es scheint sich also langsam die Einsicht durchzusetzen, dass auf einen harten Klotz ein harter Keil gehört. Diplomatie ist gut. Aber manchmal führt sie nicht zum Ziel. Wenn eine Staatsmacht ohne Not den Kollaps einer prosperierenden Wirtschaftszweiges billigend in Kauf nimmt und Argumente nur auf taube Ohren stoßen, hilft nur noch das, was die Engländer "civil disobedience" nennen und was sich mit bürgerlicher Ungehorsam übersetzen lässt.Durch Wehklagen können wir unsere freiheitliche Wirtschaftsordnung vor diesem Staat nicht in Sicherheit bringen. Wir Werber müssen wieder gegen das 11. Gebot verstoßen: Du sollst nichts riskieren. Wir müssen uns aufstellen und eine Front bilden, nicht nur die Listbroker, sondern auch die Kampagneros, die so gern nach den Sternen greifen. Wir brauchen die Vor-, Quer- und Nachdenker, denen die Diskussion die Sprache verschlagen hat oder die ganz in den Untergrund gegangen sind. Wir müssen die Courage der Post einfordern, dem größten wirtschaftlichen Profiteur der rasanten Entwicklung des Direktmarketing in den letzten 50 Jahren. Und wir müssen den Anwendern die Augen öffnen und jetzt auch die Banken, Versicherungen, Verlage, die Automobilhersteller und die Versender mobilisieren.

Die Idee von der Sternfahrt nach Berlin und der Demonstration in der Hauptstadt ist wahrscheinlich die letzte Option. Vorausgesetzt, die Branche schafft es, mindestens zehn Prozent der unmittelbar Betroffenen zu mobilisieren. Also zehn Prozent von vielleicht 350.000. Denn Direkte Demokratie ist ein Signal, das die Politiker in Berlin verstehen. Und vor dem sie sich fürchten, wie der Teufel vorm Weihwasser.

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