Unklare Rechtslage zwingt Suchmaschinen zur Zensur

23.10.2006 - Google & Co. fordern Haftungsprivilegien im Telemediengesetz. Die Politik wartet auf eine EU-Entscheidung

Die Verzögerungen beim seit Jahren geplanten Telemediengesetz (TMG) wirken sich zunehmend negativ auf die deutsche Internetwirtschaft aus. Betroffen sind besonders Betreiber von Suchmaschinen. Denn der Gesetzgeber lässt noch offen, ob diese für die Verlinkung auf rechtswidrige Seiten haftbar gemacht werden können. Und da auch die Rechtsprechung in diesem Punkt alles andere als eindeutig ist, entscheiden die Suchmaschinenbetreiber häufig aus reinem Selbstschutz im Zweifel für den Ankläger. Auch wenn lediglich eine Abmahnung vorliegt, was in letzter Zeit häufig passierte. Zu groß ist das Risiko, dass sich eine verlinkte Website im Nachhinein vor Gericht als rechtswidrig herausstellt.

In diesem Fall könnte die Suchmaschine nämlich zur Rechenschaft gezogen werden. "Microsoft behält sich vor, im Zweifel den Link zu entfernen, um das Unternehmen vor Schaden zu bewahren", gibt Bernhard Grander, Sprecher der Online Services Group von Microsoft Deutschland, unumwunden zu.

Unklar ist zudem, ob es eine Art Vorabprüfpflicht für Google und Co. gibt. Sprich: ob sie jede verlinkte Website auf eventuelle Rechtsverstöße hin untersuchen müssen. Die Folge: Mehr als drei Viertel der beim Chilling Effects Clearinghouse gelisteten Löschaufforderungen für Google-Suchergebnisse kommen aus Deutschland. Das stellte das IT-Forum Gulli.com fest, das selbst mehrmals Opfer teurer Abmahnungen war.

In den USA bietet Google die Abgabe einer Gegendarstellung an. Ist diese begründet, werden die Treffer meist wieder angezeigt. In Deutschland existiert so etwas noch nicht. Der Grund ist nicht bekannt. Google Deutschland wollte keine Stellungnahme dazu abgeben. Immerhin macht der Quasi-Monopolist (siehe Grafik) gelöschte Links kenntlich: "Aus Rechtsgründen hat Google 1 Ergebnis von dieser Seite entfernt. Weitere Informationen über diese Rechtsgründe finden Sie unter ChillingEffects.org", heißt es in den betroffenen Suchergebnisseiten. Bei allen anderen großen Suchmaschinen fehlt ein derartiger Verweis. In der Folge ist es für den normalen User nicht ersichtlich, welche Sucheinträge zensiert wurden.

Den Suchmaschinenbetreibern ist selbst nicht ganz wohl dabei, dass sie ob der unklaren Rechtslage gezwungenermaßen zu - wie sie es selbst nennen - "ungesetzlichen Richtern" werden. Deshalb forderten AOL, Google, Lycos, MSN, T-Info, T-Online und Yahoo im März dieses Jahres die Politik in einem Positionspapier auf, die bisherigen Gesetzeslücken zu schließen. Sie machen sich für die Aufnahme einer Vorschrift stark, die sich an der Verantwortlichkeitsregelung in Paragraph 14 des österreichischen E-Commerce-Gesetzes orientiert. Darin werden Suchmaschinenbetreiber Zugangsanbietern gleichgestellt und weitgehend von der Haftung freigestellt.

Außerdem drängen die Unternehmen auf eine Regelung zu Unterlassungs- und Beseitigungsansprüchen. Darin sollte ihrer Ansicht nach klargestellt werden, dass es auch für Suchmaschinen keine präventiven Überwachungspflichten gebe. Eine Unterlassungs- oder Beseitigungspflicht dürfe erst ab Kenntnis einer Rechtsverletzung im Rahmen einer Interessenabwägung kodifiziert werden.

Zuvor hatte sich bereits der IT-Verband Bitkom generell gegen vorauseilende Kontrollauflagen im TMG ausgesprochen. Die Berliner Organisation plädiert für die Einrichtung eines so genannten Notice-and-take-down-Verfahrens nach US-Vorbild. Dieses gebe Rechte-Inhabern und Suchmaschinenbetreibern bei Rechtsverletzungen eine Möglichkeit der Kooperation, die einem gerichtlichen Verfahren vorgeschaltet sei und dieses im Idealfall vermeide. Das formalisierte Verfahren sollte bestimmen, dass ein Suchmaschinenbetreiber, der anhand eines vorher vom Gesetzgeber festgelegten Kriterienkatalogs entscheidet, ob ein Link entfernt wird oder nicht, in jedem Fall von der Haftung ausgeschlossen ist.

Nach Auskunft des Bitkom-Rechtsexperten Volker Kitz sträubt sich die Politik noch gegen die Aufnahme dieses Verfahrens ins TMG. Die Politiker warteten erst ab, was auf EU-Ebene passiere. Dies könne aber noch Jahre dauern. "So lange sitzen die Suchmaschinenbetreiber zwischen den Stühlen", erklärt Kitz. Schließlich bestehe nicht nur die Gefahr, von den Opfern der angeblichen Rechtsverletzungen verklagt zu werden, sondern auch von den Website-Betreibern, die auf eine Wiederaufnahme in den Index pochen.

Auch Harald R. Fortmann, Vizepräsident des Bundesverbands Digitale Wirtschaft (BVDW), nimmt die Suchmaschinenbetreiber in Schutz. Sie könnten häufig nicht den Wahrheitsgehalt der Behauptungen und Informationen der verlinkten Websites überprüfen. Insofern sei der Missstand, dass oftmals auch Links zu korrekten Beiträgen aus dem Index fliegen, weniger den Suchmaschinenbetreibern anzulasten als vielmehr dem Gesetzgeber, der aufgefordert sei, eine gesetzliche Lösung zu finden.

Bei den Oppositionsparteien FDP und Bündnis 90/Die Grünen stößt die Kritik auf offene Ohren: "Es kann von Suchmaschinenbetreibern nicht verlangt werden, dargebotene Links im Vorhinein zu überprüfen und zu löschen", teilte die medienpolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion der Grünen, Grietje Bettin, auf Anfrage mit. Ihre Fraktion werde sich dafür stark machen, dass eine Beseitigungspflicht erst ab Kenntnis einer Rechtsverletzung eintrete.

Christoph Waitz von der FDP sieht das ähnlich. "Wir dürfen das Pferd nicht von hinten aufzäumen: Es muss immer zuerst festgestellt werden, dass es sich um eine Seite mit rechtswidrigem Inhalt handelt." Dies könne beispielsweise durch eine Unterlassungserklärung oder ein Gericht geschehen. Der österreichische Entwurf biete eine "gute Diskussionsgrundlage". Es seien aber auch Modelle der Selbstregulierung denkbar. Im Gegenzug erhielten die Suchmaschinenbetreiber dann Haftungserleichterungen, die im TMG festgeschrieben würden.

Auch Jörg Tauss von der Regierungspartei SPD hält eine "Kombination von Haftungsprivilegien, Codes of Conduct und der Verpflichtung zur Fortentwicklung von Navigationshilfen" für möglich. Es sei aber nicht ratsam, die Suchmaschinen von jeglicher Haftung freizusprechen, da "bestimmte Sanktionsmöglichkeiten die Entwicklung von Filtertechniken weiter fördern könnten", sagt der Bundestagsabgeordnete. brö

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