08.09.2014 - Das Video, in dem Zum goldenen Hirschen dem trojanischen Pferd von Jung von Matt ein Geweih aufsetzt, ist nur die jüngste Guerilla-Recruiting Aktion, die durch die Agentur-Szene geisterte. Der Mangel am Kreativ-Nachwuchs schlägt sich nicht nur in diesen Maßnahmen wieder - Agenturen unternehmen auch immer mehr im Ausbildungsbereich. ONEtoONE hat sich umgehört, wie Mitarbeiter aus- und weitergebildet werden und warum die Fluktuation in der Werbebranche so hoch ist.
Der Mann mit der Strumpfmaske und der Zigarette sieht sich hektisch um. Hat ihn jemand beobachtet? Egal, Mission erfüllt: Das trojanische Pferd vor JvM/Neckar in Stuttgart ziert jetzt ein hölzernes Geweih, und aus dem Pferdebauch kommen kleine goldene Hirsche. "Folge den Hirschen", heißt es am Ende, darunter ein Link zu Stellenangeboten der Hirschen Group. Das Guerilla-Video hat mittlerweile wohl jeder in der Branche gesehen. Das Hirschen-Video, die Scholz & Friends-Pizza oder die "Meet & Eat"- Aktion von Kolle Rebbe - Guerilla-Recruiting-Maßnahmen in der Agenturbranche schossen in den letzten Jahren aus dem Boden wie Pilze. Ganz anders als der Kreativnachwuchs.
"Wir wollen die Kreativen von morgen ausbilden", sagt Alexander Kerkow, Leiter der JvM/Academy. Im April gestartet, bietet die Akademie, die Jung von Matt gemeinsam mit fischerappelt, GGH Lowe und TLGG betreibt, aktuell 20 jungen Talenten eine Ausbildung für die Agenturkarriere. Angesiedelt auf der Gründungsetage von Jung von Matt in der Glashüttenstraße 38 im Hamburger Karoviertel, zeigt man, wohin es gehen soll. Mit der Academy soll Geschichte geschrieben werden. "Wir wollen ein Zeichen setzen in der Branche: Jung von Matt meint es ernst mit morgen", erklärt Kerkow. Allen Unkenrufen zum Trotz, die das Aushängeschild der deutschen Werbeagenturen schon zum alten Eisen zählten. Hier in den Räumen, wo die Hoffnungsträger für künftige Löwen und Nägel lernen, ist nichts zu sehen von einem in die Jahre gekommenen Image. Bunt sind die Räume: neonfarbenes Tape an den Wänden, ein lila Anstrich im Treppenhaus. Neben dem verglasten Klassenraum ein großes "Wohnzimmer" mit Sofas, Sitzsäcken, Beamer und Leinwand. Es gibt einen Agenturhund, alle duzen sich - weiter weg von der Atmosphäre an der Uni könnte es wohl nicht sein. Das gilt auch für die Ausbildung: Akademie- und Agenturphasen wechseln sich ab. Jeden Tag gibt es ein neues Thema und immer andere Dozenten, einen, maximal zwei pro Tag. Die kommen zu 50 Prozent vom freien Markt, 50 Prozent kommen aus der Agenturwelt. Ein Klassenlehrer, der - etwas cooler - Teamcoach heißt, hält die Inhalte zusammen.
[f1]"Der moderne Agenturalltag hat sich radikal verändert. Wir haben eine Lücke in der akademischen Ausbildung festgestellt, die wir mit der JvM-Academy besetzen möchten", erklärt Kerkow einen weiteren Grund für die Geburt der Akademie. Die Anforderungen an den Kreativen der Zukunft gingen zudem immer mehr in Richtung Generalist. Es gehe um ein "breit aufgestelltes Wissen über Marke, Kommunikation und aktuelle Technologien. So steht beispielsweise Programmieren ganz selbstverständlich im Lehrplan der JvM/Academy."
Das sieht jedoch nicht jeder in der Branche so. "Ich denke, man braucht beides: den Generalisten und den Spezialisten. Es wird immer mehr gefordert, disziplinübergreifend zu denken und das immer komplexer werdende Agenturgeschäft übergreifend zu verstehen", sagt Jens Plath, Geschäftsführer Personal bei Serviceplan, zum Anforderungsprofil der Mitarbeiter der Zukunft. Das immer integriertere Arbeiten und die Erweiterung der Kanäle forderten ein generalistisches Verständnis des Business. "Aber man braucht auch Spezialisten. Die Herausforderung der Agentur ist es, deren Blick über den Tellerrand zu schulen."
Auch Dr. Ralf Nöcker, Geschäftsführer des GWA, kann sich kaum vorstellen, dass der Generalist die Zukunft der Branche ist. "Die Vorstellung eines Generalisten fände ich toll, aber das müsste ja ein Kreativer mit Vertriebskenntnissen sein, der sich im Digitalbereich auskennt, programmieren kann und Betriebswirt ist. Ich setze meine 50 Euro auf den Spezialisten."
[hl]Lebenslanges Lernen der Mitarbeiter[/hl]"Die Branche ist so im Wandel, dass eine Ausbildung nicht mehr reicht. Vielmehr geht es um ein lebenslanges Lernen und darum, das eigene Wissen mit dem aus anderen Bereichen anzureichern. Das müssen Agenturen unterstützen", sagt Plath von Serviceplan. Und trifft damit auch einen Punkt, an dem die JvM/Academy ansetzen will: Weiterbildungsmaßnahmen für Mitarbeiter stehen ebenfalls auf dem Stundenplan. Das soll auch ein Zeichen für Talente anderer Agenturen sein und Jung von Matt interessanter machen, so Kerkow. Aber mit der betriebsinternen Weiterbildung sind die Hamburger lange nicht die Ersten. Serviceplan hat das Campus-Programm, die Hirschen Group die Hirschen-Academy, Scholz & Friends die Friends-Academy. Und das schon seit zehn Jahren, wie Nele Schnieder, Head of Human Resources, betont. Sie wären mit die ersten gewesen, die das gemacht haben. Viele Agenturen hätten das adaptiert. Stefan Kolle, Geschäftsführer Kreativ von Kolle Rebbe ist ein Anhänger des "Learning by doing". "Die meiste Nachwuchsförderung passiert bei uns im Arbeitsalltag. Herausfordernde Jobs gemeinsam mit erfahrenen Führungskräften zu meistern, bringt mehr als jedes Seminar."
Nöcker sieht bei der Weiter- und Ausbildung die Agenturen in der Pflicht. "Auf akademischem Weg gelingt es momentan nicht, einen ausreichend großen Output an Digitalspezialisten zu erzielen. Auch in der Ausbildung sind andere Agenturen engagiert. Serviceplan bietet seit 2012 ein Masterprogramm in Kooperation mit der Steinbeis Hochschule an. Es richtet sich an Mitarbeiter der Agentur, die neben dem Beruf ihren Master auf dualem Weg machen wollen. Momentan wird der nur für Beratung und Marketing angeboten. Der Plan ist jedoch, das Programm auch auf den Kreationsbereich auszuweiten. Scholz & Friends hat seit 2011 ein Trainee-Programm, das sich auschließlich an Führungskräfte von morgen richtet. Für das Orchester-Traineeship werden Hochschulabsolventen mit guter Ausbildung, aber ohne Arbeitserfahrung gesucht. "Zu dem Programm gehört ein mehrwöchiger Auslandsaufenthalt in einer unserer Partneragenturen", erklärt Schnieder.
[hl]"Kreative wollen sich nicht binden"[/hl]Doch was bringt all die Mühe und das Geld, das man in die Aus- und Weiterbildung von Mitarbeitern steckt, wenn sie die Agentur danach verlassen? Nur in wenigen Branchen ist die Fluktuationsrate so hoch wie in der Werbung. Besonders die jungen Kreativen drängt es von einer Agentur zur nächsten. Auch Kerkow ist klar, dass die Investition in die Academy dahingehend ein Reinfall sein kann. Denn entgegen den Bekundungen von Jean Remy von Matt, die Academy sei keine "Kaderschmiede" der Agentur, erhofft man sich im Karoviertel schon, dass die Talente bleiben. Oder zumindest nach einiger Zeit den Weg wieder zurück in die Agentur finden. "Wir müssen uns daran messen lassen, auch als Agentur, ob die Talente nach Abschluss der Academy in den Agenturen bleiben. Hier muss jede Agentur, die sich an der JvM/Academy engagiert, etwas tun", so Kerkow. Man könne sich schließlich nicht nur darauf ausruhen, Jung von Matt zu sein.
Bei den anderen Agenturen ist man sich ebenfalls einig, Fluktuation so gut es geht unterbinden zu wollen. Auch wenn das natürlich nicht komplett möglich ist, so Schnieder von Scholz & Friends. Denn gerade die Kreativen bräuchten auch mal neue Einflüsse. Doch warum ist die Fluktuation so hoch in der Werbebranche? Kerkow und Nöcker führen die flachen Hierarchien als Ursache an. Ein Karrieresprung sei nun mal leichter bei einem Wechsel zu erreichen. Eine Aufstiegschance solle nicht der Grund für einen Wechsel sein. Das Bestreben aller sollte es sein, das zu verhindern, meint dagegen Schnieder. Oder ist ein Charakterzug der Kreativen eine Abneigung gegen zu lange Bindung an den Arbeitgeber? Auch für die Academy hat diese Überlegung eine Rolle gespielt. Sie sei bewusst offen gehalten, die Studenten nicht an die Agentur gebunden. Die Leute, die man gesucht hat, hätte man so wohl auch nicht gefunden, meint Kerkow. "Kreative wollen sich nicht binden lassen. Exzellenz erreicht man viel eher durch Freiheit."
Der Meinung ist auch Stefan Kolle. " Junge Talente entscheiden sich heute nur schwer für eine langfristige Option. Sie versuchen, mehrere Bälle in der Luft zu halten und revidieren eine Entscheidung auch schnell wieder, wenn die Realität nicht mit ihren Vorstellungen übereinstimmt." Es sei nicht einfach, aber wichtig, Talente zu halten. Dafür brauche es mehr als Geld, so Kolle. Vor allem Aufmerksamkeit ist wichtig. "Wir versuchen eine möglichst genaue Passung zwischen dem Talent des Einzelnen und der Aufgabe bzw. Kunden zu schaffen. Dazu möglichst viel Freiheit und Freiraum. Gelingt das, ist die Motivation meistens groß." Laut einer Umfrage von "Horizont" ist Kolle Rebbe die Agentur mit dem besten Arbeitgeber-Image. Das bestätigt auch Kolle: "Die Zahl der Kollegen, die schon ihr 5- oder 10- oder sogar 15-jähriges Jubiläum gefeiert haben, ist ziemlich groß."
Bei Zum goldenen Hirschen sei die Fluktuation abgesehen von wirtschaftlichen Faktoren nicht groß, sagt Julian Scholl, Geschäftsführer bei Zum goldenen Hirschen Berlin und im Rahmen der Hirschen Group zuständiger Partner für den Bereich Personal. "Fluktuation entsteht meist durch fehlende Perspektive. Die Hirschen-Agenturen sind immerfort im Wandel und definieren und strukturieren sich oft neu. Dadurch eröffnen sich gute Weiterentwicklungsmöglichkeiten für die Mitarbeiter, sich in den Wandel einzubringen."
Keine Probleme bei der Fluktuationsrate sieht Nöcker. Wie in Unternehmensberatungen sei auch bei Werbeagenturen eine stete Veränderung erwünscht. "Mir hat letztens ein Agenturchef erzählt, er muss sich überlegen, was er an dem Arbeitsklima ändert, ihm ist die Fluktuationsquote nicht hoch genug." Grenzen habe das Wechseln jedoch schon. "Die Digital Natives sind fast nur noch projektloyal. Die interessiert ja gar keine Festanstellung."
[hl]Investieren in die Zukunft [/hl][f2]Doch die Agenturen rüsten sich für die Zukunft. Bei Serviceplan reifen neue Pläne für ein eigenes Ausbildungsprogramm. "Neben dem Master-Programm planen wir gemeinsam mit der Steinbeis-Hochschule Berlin und der Miami Ad School ein neues Programm. Wir wollen das Thema etwas anders angehen. Es gibt bereits einen konkreten Plan", so Plath. Momentan wolle man aber noch nicht darüber sprechen. Auch bei Scholz & Friends wolle man mehr im Bereich Traineeship machen. Vielleicht ist das auch dem Umstand geschuldet, dass es in Zukunft mit den Praktikanten nicht mehr ganz so einfach wird?
Die Zukunft der JvM/Academy ist, wenn es nach Kerkow geht, rosig. Für die nächsten Jahre wünsche er sich 500 Bewerber. Bei den 20 Plätzen soll es jedoch bleiben. Die Qualität der Ausbildung soll schließlich nicht leiden. Ob unter den 20 aktuellen Studenten die Löwengewinner der Zukunft sind, lässt sich zum jetzigen Zeitpunkt natürlich noch nicht sagen. Aber die Motivation stimme, sagt Kerkow. Und strahlt vor Stolz, wenn er von den bisherigen Projekten und Ideen seiner Schützlinge spricht. (ks)
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