29.12.2010 - Es könnte ein heißes Jahr werden für die deutsche digitale Wirtschaft. Mit zunehmender volkswirtschaftlicher Bedeutung steigt die Aufmerksamkeit der Politik für die Branche. Dementsprechend nehmen die Bemühungen um Daten- und Verbraucherschutz in den digitalen Welten zu. Dass die Politik und ihre Vertreter noch weit davon entfernt sind, mit den neuen Gegebenheiten einer digitalisierten Welt zurechtzukommen, zeigt die Affäre um die von Wikileaks verbreiteten diplomatischen Depeschen der USA. Von Roland Eisenbrand
Die politische Kaste müht sich damit, der Nutzung der neuen Medien ein Korsett zu geben. Einige den Daten- und Jugendschutz betreffende Regeln stammen noch aus der Prä-Internet-Ära und bedürfen der Anpassung. Viele Ministerien und Politiker sind am Kochen dieses Breis beteiligt. Zuletzt legte Bundesinnenminister Thomas De Maizière einen Gesetzentwurf über eine so genannte "Rote Linie" im Internet vor. Bei besonders schweren Verstößen gegen die Persönlichkeitsrechte eines Einzelnen im Internet wird auf die Täter künftig die Zahlung hoher Schmerzensgelder zukommen. Die Summe soll sich an der Höhe des möglichen Gewinns orientieren. Bei einem milliardenschweren Web-Konzern wäre dies also kein kleiner Betrag.
Ein besonders schwerer Eingriff in das Persönlichkeitsrecht liege beispielsweise vor, "wenn personenbezogene Daten veröffentlicht werden, die geschäftmäßig gezielt zusammengetragen, gespeichert und gegebenfalls unter Hinzuspeicherung weiterer Daten ausgewertet wurden und die dadurch ein umfangreiches Persönlichkeits- oder Bewegungsprofil des Betroffenen ergeben könnten", heißt es im Entwurf. "Dass hier vom gezielten Zusammentragen von Daten gesprochen wird, hat uns schon aufhorchen lassen", sagt Tobias Koppitz, Justiziar des Bundesverbands Digitale Wirtschaft (BVDW) - schließlich gehört es zunehmend zur Praxis der Online-Branche, Werbung auf Basis anonymisierter Nutzerprofile auszuliefern. De Maizières Entwurf macht jedoch nicht klar, was "Veröffentlichung" heißt.
Auch der Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger ist der Online-Datenschutz ein Anliegen. Ein durch das Bundesjustizministerium veröffentlichter Referentenentwurf soll die so genannten Abo-Fallen bekämpfen. Er sieht vor, dass die
Anbieter von Bezahl-Abonnements im Netz einen Warnhinweis platzieren müssen. Der Abo-Abschluss muss dann vom Nutzer durch das Drücken eines Buttons bestätigt werden.
"Die so genannte Button-Lösung erklärt Verträge für nichtig, die oft sowieso unwirksam sind", meint jedoch Stephanie Schmidt, Justiziarin des Bundesverbands des Deutschen Versandhandels (BVH). Zudem wirke sie sich fatalerweise auch auf Warenlieferungsverträge im E-Commerce aus. Die Shop-Betreiber müssten dann Informationen wie Vertragsdauer, Preis und Versandkosten doppelt mitteilen. Solche Änderungen am Bestellprozess können zu höheren Abbrecherquoten führen. "Der Referentenentwurf hat in der gesamten Online-Wirtschaft Protest ausgelöst. Wir hoffen, dass der Entwurf noch einmal überarbeitet wird und die Warenlieferungsverträge von der Regelung ausgenommen werden", so Schmidt.
Es gibt also viele Baustellen und Unklarheiten in der deutschen Netzpolitik. Die deutsche Online-Branche ist über das Vorgehen der Politik selten glücklich, versucht aber, damit umzugehen. "Dass in Deutschland in puncto Datenschutz am meisten diskutiert wird, ist einfach so - deswegen versuchen wir, das in einen Vorteil zu wenden. Ich glaube auch, dass es ein Vorteil sein kann", sagte Xing-Chef Stefan Groß-Selbeck am Rande des IT-Gipfels. "Aber machen wir uns nichts vor: Es gibt amerikanische Wettbewerber, die andere Möglichkeiten haben als wir und denen das in ihren Marketingstrategien natürlich auch nützlich sein kann."
Noch deutlicher äußert sich Studi-VZ-Chef Clemens Riedl in einem Gastbeitrag auf dem Portal "The European": "Datenschutz wird in Deutschland großgeschrieben, aber die Realität im Internet sieht anders aus: Einen wirklichen Schutz, den die Politik suggeriert, gibt es nicht", schreibt Riedl. "Die Ursache des Problems liegt bei den deutschen und europäischen Politikern, die bisher keinen Weg für die Durchsetzbarkeit ihrer eigenen Gesetze finden." Zudem sei es paradox und massiv wettbewerbsverzerrend, dass diejenigen indirekt bestraft würden, die sich an das strenge deutsche Datenschutzgesetz halten - "nämlich deutsche Unternehmen", so Riedl. "Amerikanische Unternehmen brauchen dies in letzter Konsequenz bisher nicht, greifen aber schon heute über 50 Prozent des gesamtdeutschen Online-Werbemarktes ab."
Aber nicht nur von nationaler Ebene wird die digitale Wirtschaft reglementiert. Immer mehr Bestimmungen kommen auch von Seiten der EU. Im Jahr 2009 beschloss das Europäische Parlament eine neue E-Privacy-Richt-linie. Für die deutsche Wirtschaft ist nun entscheidend, wie diese auf Bundesebene umgesetzt wird. Bis Mai muss dies geschehen sein. Ein Kernpunkt ist die Frage nach der Speicherung von Cookies - ist es bereits eine Einverständniserklärung, wenn ein Nutzer die Speicherung über die Einstellungen seines Browsers erlaubt? "Wir kämpfen weiterhin dafür, dass das Opt-in durch den Browser ausreicht", so BVDW-Rechtsexperte Koppitz.
Stephan Noller, Chairman des Policy Committee des Internet Advertising Bureau (IAB) Europe, präsentierte im Rahmen eines "Online Behavioral Advertising Roundtable" gegenüber der EU ein Selbstregulierungskonzept der Branche, das eine wichtige Rolle hinsichtlich der E-Privacy-Richtlinie spielen soll. Im Großen und Ganzen gehe es dabei um Mittel der Kennzeichnung von verhaltensbasierter Online-Werbung sowie um "eine damit verbundene Maximierung von Information und User-Aufklärung und um einen verantwortungsvollen Umgang mit Daten und ihrer Speicherung", sagt Noller. Die Kommission habe positiv auf das Konzept reagiert. Bis zum März 2011 sollen nun eine Reihe von Nachbesserungen eingearbeitet und der Dialog fortgeführt werden. "Wie es dann genau weitergeht, werden wir sehen."
Mischenrieder Weg 18
82234 Weßling
Tel.: +49 (0) 89-57 83 87-0
Fax: +49 (0) 89-57 83 87-99
E-Mail: info@onetoone.de
Web: www.hightext.de