Verunsicherung in der Branche

27.02.2009 - Opt-in & Co.: Die Dienstleister schwanken zwischen Hoffen und Bangen. Und die Anwender verlangen bereits nach neuen Lösungen.

Die nächsten drei Wochen sind entscheidend. Am 4. März äußert sich vielleicht die Bundesregierung noch einmal zur Novelle des Bundesdatenschutzgesetzes (BDSG). Wenig später, am 19. März, soll das neue Gesetz dann den Bundestag passieren. Für die Branche steht unter anderem mit der möglichen Abschaffung des Listenprivilegs und der Einführung der Opt-in-Regelung viel auf dem Spiel. Die direkte Kundenansprache per Mailing würde extrem erschwert. Einige Dienstleister könnte es die Existenz kosten. Viele müssten auf Umsätze verzichten und Personal abbauen.

Die Frage lautet nun: Wird es der Dialogmarketing-Branche innerhalb der nächsten drei Wochen noch gelingen, die BDSG-Novelle zu ihren Gunsten zu modifizieren? Nach der Empfehlung des Bundesrates von Mitte Februar, die entsprechenden Gesetze noch schärfer zu formulieren, darf man festhalten: Es sieht nicht besonders gut aus.

Rechtsanwalt Ralf Rösler, der die Debatte von Anfang an verfolgt hat, sagt: Im weiteren Gesetzgebungsverfahren werde es sicher noch einige Änderungen geben. Die politische Grundsatzentscheidung sei aber wohl gefallen. "Werbetreibende werden ab dem 1. Juli dieses Jahres die Einwilligung der Betroffenen einholen müssen, wenn sie deren Daten für Briefwerbung nutzen wollen und keine der gesetzlichen Ausnahmen vorliegt." Ausnahmen betreffen die Eigenwerbung mit Vertragsdaten, B-to-B-Werbung an Geschäftsadressen, Spendenwerbung, Beipackwerbung und vielleicht noch Pressewerbung. Rösler: "Folgte der Bundestag allen Vorschlägen des Bundesrates, so stünde der Adresshandel vor dem Aus."Klare Worte, die bei den meisten politisch Verantwortlichen allerdings auf taube Ohren stoßen. "Der Grundsatz der Opt-in-Regelung ist unumstößlich", sagte unlängst der SPD-Abgeordnete Sebastian Edathy bei der Berliner Datenschutzrunde des Verlags für die Deutsche Wirtschaft. Gut 250 Branchenvertreter waren dort zusammengekommen, um über Auswege aus dem Dilemma zu beraten. Sie waren empört über die Art und Weise, mit der die eingeladenen Politiker die Branche vor vollendete Tatsachen setzten. Es gebe Profiteure und Verlierer solch einer Entscheidung, sagte etwa die Grünen-Abgeordnete Ulrike Höfken lakonisch. "Das ist nun einmal so. Sie sollten sich auf Opt-in einstellen!" Und auch Edathy empfahl der Branche, sich lieber damit zu beschäftigen, wie man das Opt-in so gestalten könne, dass die Kunden die aktive Zustimmung nicht als zusätzlichen bürokratischen Akt begriffen.

Leichter gesagt als getan. In der Tat haben mehrere, auch große Dienstleister im Gespräch mit ONEtoONE eingeräumt, dass sie sich bereits intensiv mit möglichen Lösungen für die Opt-in-Regelung ab Mitte dieses Jahres auseinander setzen. Alles andere wäre sicherlich auch unklug. Öffentlich darüber reden wollen allerdings nur die wenigsten - aus politischen, aber auch aus Wettbewerbsgründen.

Trebbau & Koop gehört zu den wenigen Dienstleistern, die sich öffentlich äußern. "Seit dem Datenschutzgipfel im September vergangenen Jahres ist doch klar, dass das Opt-in kommt", sagt Thomas Weckmann, Mitglied der Geschäftsleitung von Trebbau & Koop. "Seither sind mehrfach Anwender an uns herangetreten und haben gefragt: ,Was kostet mich das Opt-in?`" Trebbau & Koop hat deshalb den Opt-in-Locator entwickelt, der den Kunden mit Hilfe eines mathematischen Verfahrens ausrechnet, mit welcher Wahrscheinlichkeit sich ein Verbraucher in einer bestimmten Gegend für oder gegen eine Einwilligung ausspricht.

Andere Dienstleister beobachten eine große Verunsicherung auf allen Seiten. "Viele unserer Kunden haben noch nicht erfasst, dass eine Verschärfung des BDSG Einfluss auf ihre Aktivitäten haben könnte", sagt etwa Roland Meyer, Geschäftsführer von Bedirect. Auch Daniel Simon von Quadress hat beobachtet, dass "einige werbetreibende Unternehmen die Brisanz der drohenden Novellierung des BDSG immer noch nicht erkannt haben". Stefan A. Duphorn, Geschäftsführer von Caribou Verlag Information Services, meint: "Wir merken eine gewisse Verunsicherung. Die Erwartungshaltung der Kunden nach der Novellierung des BDSG wird groß sein: Alle Adressen sollten ein Opt-in haben. Aber woher nehmen?"

Susanne Hornikel, Managing Director von Direct Success, ist frühzeitig in die Offensive gegangen. "Bereits seit einigen Monaten informieren wir unsere Kunden über die aktuellen Entwicklungen und Veröffentlichungen zum Thema Datenschutz - auf Deutsch, Englisch und Französisch, da es sich vielfach um internationale Unternehmen handelt", sagt sie. Anfragen zur konkreten Umsetzung gebe es täglich mehrfach. Rechtssichere Opt-in-Formulierungen, Möglichkeiten, über Incentives valide Opt-ins zu generieren, die Neugestaltung des Hinweises zum Datenschutz, aber auch alternative Möglichkeiten der Neukundengewinnung wie Empfehlungsmailings, Beilagen und innovative Tools zur Generierung von Opt-ins stünden im Zentrum aller Gespräche und Meetings.

"Bei vielen Unternehmen ist die Angst riesengroß, spätestens 2010 keinerlei interessante Potenziale für die Neukundengewinnung mehr zu finden", sagt Hornikel. Bereits aktuell sei aufgrund der Wirtschafts- und Finanzkrise ein Rückgang der Response-Quoten festzustellen. "Wenn nun infolge der Gesetzesnovellierung ein Ausweichen auf weniger qualifizierte Adressgruppen oder auf unadressierte Medien erforderlich ist, erhöht dies aufgrund des weiter sinkenden Response die Kosten pro Neukunde um ein Vielfaches." Viele kleinere Unternehmen seien dadurch massiv existenzgefährdet; und für Unternehmen aus dem Ausland scheide Deutschland als bislang hochinteressantes Terrain der internationalen Expansion in Zukunft komplett aus.

Solche Standortargumente fallen gelegentlich noch bei der Union auf fruchtbaren Boden. Rita Pawelski, CDU-Abgeordnete und Mitglied der Arbeitsgruppe Wirtschaft und Technologie, ließ anlässlich der Berliner Datenschutzrunde ausrichten: "Wir wissen um den Stellenwert der direkten Werbeansprache. Daher setzen wir uns dafür ein, dass der Gesetzentwurf des Bundesinnenministeriums in einem Punkt zwingend überarbeitet wird - der geplanten Streichung des Listenprivilegs." Ihre Begründung: 83 Prozent aller Unternehmen in Deutschland nutzten Dialogmarketing, setzten dabei jährlich mehr als 30 Milliarden Euro ein und bildeten damit für mehr als 1.000 Unternehmen und Hunderttausende Arbeitnehmer die unmittelbare Geschäftsgrundlage.

Das federführende Bundesinnenministerium, namentlich Wolfgang Schäuble (ebenfalls CDU), ist bekanntlich anderer Ansicht (Interview in der ONEtoONE 01/09). Dennoch gibt sich die Branche nicht geschlagen. SAZ-Chef Frédéric Cavro verfasste zum Beispiel einen offenen Brief (Seite 21). Und auch Dieter Weng, Präsident des Deutschen Dialogmarketing Verbands, lässt sich nach der Bundesratsentscheidung Mitte Februar in seinem Optimismus nicht beirren. "In der Summe ist der Bundesrat auf seiner restriktiven Linie geblieben", sagte er gegenüber ONEtoONE. Bei genauer Betrachtung werde aber auch deutlich, dass die verschiedenen Lager unterschiedliche Positionen vertreten. Die Stellungnahme des Bundesratsplenums zeige dadurch ein sehr uneinheitliches Bild. "Wir gehen davon aus, dass sich am Ende wirtschaftlicher Sachverstand durchsetzen wird. Dabei hoffen wir vor allem auf den neuen Wirtschaftsminister zu Guttenberg. Er hat kurz vor seinem Amtsantritt die geplanten Restriktionen bekanntlich als ökonomisch unausgewogen eingeschätzt."

von Martin Teschke

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