22.02.2002 - Christian Meyer über Phänomene im deutschen Abo-Marketing
Mein Briefkasten versteht es immer wieder, mich zu überraschen. Gestern gelang es ihm sogar, mich zu erfreuen. Grund war ein Ankündigungsschreiben des Burda-Verlages, dass meine Einweisung unmittelbar bevorstünde. Was für den Durchschnittsmenschen nach schwerem Freiheitsentzug beziehungsweise geschlossenen Heimen klingt, ist für den erfahrenen Zeitschriftenbezieher in der Tat ein Grund zur Freude.
Schließlich bedeutet der Passus: "Sehr geehrter Herr Meyer, vielen Dank für die Bestellung des ... Bis zur Einweisung werden nur noch 4 Wochen vergehen" nichts weiter, als dass ich das von mir gewünschte Magazin in einem Monat erhalten werde.
Leider sieht man heute viel zu oft junge Kollegen über die Sprache des Abo-Gewerbes lächeln. Warum, so werde ich dann gefragt, spricht mich ein Verlag mit den Worten "... sehr geehrter Abonnent" an? Warum reduziert mich der Absender auf seine vertragliche Beziehung zu mir? Wäre es da nicht logisch, insistiert der Nachwuchs, wenn ich auch am Kiosk als "Herr Einzelheftkäufer" begrüßt würde?
Souverän lächelnd erkläre ich den jungen Sprocks, dass diese Sprache in Jahrzehnten gereift sei und von den deutschen Lesern gelernt wurde und auch erwartet wird. Ob denn die doch eher ungewöhnlich große Zeitspanne von vier Wochen zwischen "Einweisung" und erster Belieferung nicht eher an die Zuteilungswirtschaft sozialistischer Systeme als an kundenorientiertes CRM erinnere, fragt eine junge Nachwuchsberaterin schüchtern.
Obacht: Vergessenskurven und andere sozialpsychologische Verdrängungsphänomene, die bei Konsumenten wirksam sein sollen, werden falsch interpretiert. Wenn der Kunde nach vier Wochen, da er das Heft erstmalig in den Händen hält, aufschreit, das habe er doch nie bestellt - dann unterschätzen wir das wohltuende Gefühl der Überraschung, das ihn überkommt, wenn der erste Schreck weicht. Die Erkenntnis, dass ein Konsument nach zehn Tagen bereits nicht mehr weiß, wofür er sich entschieden hat, sollten wir aktiv nutzen: Liefern wir erst dann, wenn sich dieser schöne Effekt erzielen lässt.
Glauben Sie, es ist Zufall, dass der solide Burda-Verlag bis zur ersten Lieferung des Focus 24 Tage verstreichen lässt? Ob man denn nicht die Zeit zwischen Bestellung und Einweisung händisch überbrücken könne, höre ich aus der hinteren Reihe. Verzeihung, dieser Aufwand passt doch eher zu mittelständischen Dienstleistern, die tagtäglich in Angst um ihre Kunden 130 Prozent bringen müssen. Sind wir doch ehrlich: Ein derart aufdringliches Zuvorkommen riecht verdächtig nach Pleitegeier. Einem Verlag steht ein bisschen Contenance doch nicht schlecht.
Ich will es Ihnen zeigen: Im Rahmen meines Benchmarking hielt ich 48 Stunden nach der Online-Bestellung beim xy-Verlag einen Begrüßungsbrief in den Händen - dazu ein aufwändiges Welcome Package. Ich frage Sie: Wer ist denn darauf vorbereitet? Da will doch einer mit der Tür ins Haus! Und wer bezahlt das alles?
Da lobe ich mir doch den von langer Hand vorbereiteten klassischen Brief. Zwar habe ich ihn bereits tausendmal gelesen, wenn nicht sogar selbst geschrieben. Aber Sie wollen doch nicht im Ernst behaupten, dass es bessere Wege gibt, Menschen zu fesseln, als mit einem langen Brief?
Sie müssen doch aber zugeben, so ein Zwischenrufer, dass sich scheinbar alle von Amica bis Zuhause anfangs um uns potenzielle Kunden reißen. Aber kaum, dass die Unterschrift des sehr geehrten Abonnenten trocken ist, lässt das Gebaren nach und sie flirten um neue Beziehungen wie eine Straßenschwalbe am Montparnasse.
Gar nichts muss ich zugeben, wiegele ich ab. Schließlich erhält der Kunde doch sein Begrüßungsgeschenk: die Prämie. Und wer sich ein bisschen bemüht, der kann - wie ich - auf diese Weise seinen Hausstand durch Prämien aller Art ergänzen und hat sogar noch ein paar Geschenke für die Verwandtschaft übrig.
Den staunenden jungen Kollegen berichte ich: Motiviert durch das ultimative Angebot der Bunte, nicht nur Eierkocher und Toaster zum Dank für einen geworbenen Freund zu erhalten, sondern auch eine zum guten Frühstück gehörende Kaffeekanne, habe ich versucht, 13 Mitbewohner in meinem Haus zu einem Abo zu überreden.
Leider hat selbst die Abgabe des Eierkochers an den zu Werbenden nicht ausgereicht, den Produktnutzen der Zeitschrift aufzuwiegen. Da die anderen beiden Geräte bereits fest für Geschenke innerhalb der Verwandtschaft vorgesehen waren, habe ich kurz entschlossen einen K. Meyer unter gleicher Adresse geworben. Trotz schlafloser Nächte wurden die Bunte an K. Meyer geliefert, die Abo-Gebühren abgebucht, und Eierkocher samt Toaster und Kaffeekanne an mich geliefert.
Mein Problem ist heute allerdings ein anderes: Meine Ausstattung zuhause ist dank gezielter Abonnements komplett - mich kann so gar keine Prämie mehr reizen. Doch hin und wieder passiert es immer noch. Beispielsweise neulich auf meinem Handy. Eine unerwartete SMS informierte darüber, dass für mich ein Hotelgutschein in Höhe von 800 Euro hinterlegt sei. Die Call-Agentin unter der dazugehörigen 0180-Nummer bestätigte das Angebot, allerdings sei einzige Bedingung, ein Abonnement - ganz gleich welchen Objektes - zu bestellen. Auf Nachfrage wurde mir versichert, dass ich weder im Hotel speisen müsse noch sonstige Zahlungen zu leisten hätte.
Allerdings: Sofortige Bekanntgabe meiner BLZ und Kontoverbindung, damit die quartalsweise Abrechnung meines Selbst ist der Mann erfolgen könne. Seitdem sitze ich auf gepackten Koffern. Auf das Heft warte ich zwar noch. Doch das als sensationell angekündigte Überraschungsgeschenk ist bereits da: ein vierblättriges Kleeblatt.
Bei diesem Engagement wundert es nicht, dass für Kundenbetreuung kein Geld mehr ausgegeben werden kann. Und auch nicht sollte. Denn die Halbwertzeit eines Abonnenten lässt sich auch durch unsinnige Kundendialoge nicht verlängern. Die verblüfften Mitarbeiter kläre ich auf: Mit jedem Brief lassen wir den Kunden spüren, dass wir da sind. Und erinnern ihn an seine Aversion, sich an wen oder was auch immer - vor allem aber an uns - zu binden.
Neulich übrigens hatte ich einen Albtraum: Ich träumte, die Mediaplaner hätten bei den Verlagen erreicht, dass jemand nur dann als Abonnent gezählt werden dürfe, wenn er nachweislich das Heft auch wirklich liest. Die Verlage gaben den Druck an uns Käufer weiter: Prämie nur nach regelmäßig bestandenem ungestützten Recall. Ich sah mich schon pauken, instruiert von meiner betagten Nachbarin, an die ich meine Bunte Woche für Woche ungelesen weiterreiche.
Ich wachte schweißgebadet auf und war erleichtert: Es ist zum Glück immer noch wahr - ich muss die Illustrierte nicht selbst lesen und darf den Eierkocher dennoch behalten. Wer weiß, was die Zukunft bringen wird: Erhalte ich schon bald meinen Eierkocher auch am Kiosk, wenn ich mich verpflichte, regelmäßig wiederzukommen und meine Bunte zu kaufen? Lassen wir uns überraschen!
Christian Meyer ist Chef der Hamburger Agentur crm communications.
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