DM-Mittelstand im Abseits

22.06.2001 - Postmonopol soll bis 2007 verlängert werden: "Die Liberalisierung ist dem Tod geweiht"

Als einen "Verstoß gegen das elementare Staatsverständnis" bezeichnet der juristische Berater des Bonner Bundesverbandes Internationaler Express- und Kurierdienste e.V. (BIEK), Rechtsanwalt Dr. Ralf Wojtek, die von Wirtschaftsminister Werner Müller angekündigte Verlängerung des Postgesetzes.

Das 1998 in Kraft getretene Postgesetz regelt für eine Übergangsfrist von fünf Jahren die Rechte der Deutschen Post (DPAG) und sollte am 31.12.2002 mit der Exklusivlizenz für die Briefbeförderung definitiv aufräumen. Weil aber einige Länder die von der EU-Kommission forcierte Liberalisierung offenbar nicht termingerecht umsetzen werden, will Müller alle Hebel in Bewegung setzen, die gesetzliche Liberalisierung in Deutschland bis mindestens 2007 auf die lange Bank zu schieben.

Für die Direktmarketing-Branche hätte diese Verschiebung weitreichende Konsequenzen. Der Fall der Gewichtsgrenzen für Briefe bis zu 200 Gramm und für Infopost bis 50 Gramm ist nun unsicher. Die Zukunft der Direktmarketer, die auf den Fall des Monopols gebaut und vorausschauend in dieses Segment investiert haben, ist in Frage gestellt. Trotzdem ist kaum jemand aus der Branche zu einer offenen Stellungnahme bereit. "Zu politisch", man wolle sich zum jetzigen Zeitpunkt "nicht aus dem Fenster lehnen", heißt es selbst von einigen traditionsreichen DM-Unternehmen. Dabei haben sie nach eigener Einschätzung kaum noch etwas zu verlieren, denn das Gros zweifelt an der Umsetzung der Liberalisierung bis 2003. Nur große privat geführte Postzusteller könnten es sich leisten, unter dieser Prämisse weiterhin zu investieren, so der Marketingleiter eines großen Post-Mitbewerbers. "Einzig der Nischenmarkt ist dann noch lukrativ": Nur wer höherwertige Leistungen wie etwa eine taggleiche Zustellung anbiete, für die die DPAG keine Exklusivlizenz besitzt, "kann am Monopol vorbei agieren".

Rolf Schlosser, Chef von Punkt Direkt in Hamburg, sagt: "Wenn aber keine Veränderung der derzeitigen Lizenzregelung stattfindet, ist die wirtschaftliche Grundlage für die Direktmarketer in Frage gestellt." Käme die Liberalisierung erst 2007, "ist für fünf Jahre keine Wirtschaftlichkeit geboten. Dann sind Investitionen kaum sinnvoll", sagt Schlosser. "Die Liberalisierung ist dem Tod geweiht, noch vor dem Break-even der neuen Postdienstleister." Deshalb will Schlosser mit seinem Business im schlimmsten Fall aus dem Segment Briefdienst aussteigen. Durchhalten über Jahre koste Millionen, da Strukturen und Personal nicht ausgelastet seien, bis die Durststrecke überwunden ist. Punkt Direkt hat, so Schlosser, seit 1996 investiert, um auf dem Markt bestehen zu können.

Einige der Befragten prophezeien zwar eine Flut von Regressforderungen, sollte das Monopol nicht wie vorgesehen fallen, geben sich ansonsten aber wenig kämpferisch: Manch einer ist bereits mit einem Kompromiss zufrieden, etwa mit einer Teilliberalisierung. Harald Busse, Geschäftsführer von agil in Gießen, sagt: "Der ausbleibende Wettbewerb ist der Gnadenschuss für die Dienstleister" - deshalb hat agil im Dezember 2000 gegen die Bundesrepublik geklagt und die gleichen Lizenzrechte wie die durch den Börsengang privatisierte DPAG eingefordert. Busse geht nicht davon aus, dass die Regierung das Gesetz an Verfassungsrecht und Bundesrat vorbei beugen wird.

Eine Verlängerung des Postgesetzes verstoße, so der Verfassungsrechtler Prof. Dr. Rupert Scholz in einem Gutachten für den BIEK, gegen das Grundgesetz und sei daher nicht mit den verfassungsrechtlichen Grundlagen vereinbar: Der Staat müsse den freien Markt schützen, fördern und dabei der Berufs- und Gewerbefreiheit Vorrang vor einem privatwirtschaftlichen Monopol einräumen. Da der Wettbewerber ein Recht auf Eigentumsgarantie hat, könnte er sich - in seiner Existenz bedroht - ohne Weiteres an die Regulierungsbehörde wenden und Regressansprüche geltend machen, wenn die Regierung ihren Versprechungen nicht nachkommt. Ferner darf der Gesetzgeber trotz stockender Liberalisierung in anderen EU-Ländern gar nicht in die Wettbewerbsgleichheit eingreifen. "Eine Verlängerung würde zum Scheitern der verfassungsrechtlich vorgesehenen Liberalisierungspolitik führen", so Prof. Dr. Scholz im Gutachten. Diese Meinung teilt das Wirtschaftsministerium keineswegs: Die Monopollizenz werde vorübergehend verlängert werden, so Pressesprecher Steffen Moritz. Und das sei verfassungsmäßig in Ordnung, so lange ein Enddatum gesetzt sei. Die Deutsche Post bleibt weiterhin Exklusiv-Lizenznehmer, darin sind sich Finanzminister Hans Eichel (SPD) und Werner Müller einig.

Dass die EU-Länder, um eine Termin-Entscheidung herbeizuführen, in der heiklen Liberalisierungs-Angelegenheit an einem Strang ziehen müssen, meinen sowohl Direktmarketer als auch Politiker. Über den Termin ist man sich allerdings uneins, so lange Länder wie etwa Griechenland und Portugal bei der Umsetzung der Liberalisierung hinterherhinken. Nur durch einen Aufschub, argumentierte Eichel im Bundestag, könne man ausländische Wettbewerber fernhalten: "Es kann nicht sein, dass wir unsere Märkte öffnen und andere aus gesicherten Monopolmärkten in unsere Märkte hereindrängen", zitiert Focus Money Hans Eichel. Dessen Kollege Müller will verhindern, "dass die Deutsche Post unter die Mühlsteine unfairer Konkurrenz kommt". Dr. Wojtek kontert in einem Schreiben an Müller, er sei enttäuscht, "dass ein Mitglied der Bundesregierung, das nach seinem Amtseid verpflichtet ist, die gesetzliche Ordnung und die Verfassung zu wahren, in so eklatanter Weise die Berufs- und Gewerbefreiheit anderer aufs Spiel setzt, um die internationale Marktführerschaft der Deutschen Post AG und ihrer Tochter Danzas weiter zu verstärken". Auch Prof. Dr. Scholz plädiert in seinem Gutachten gegen den drohenden Konkurrenzausschluss und für die Kontrolle durch europäische und nationale Wettbewerbsbehörden.

Beim Abbau von Dienstleistungsbarrieren dürften jedenfalls nicht, so DDV-Vizepräsident Bodo Mann, der Entwicklung hinterherhinkende Länder wie Griechenland das Liberalisierungstempo festlegen. Fest stehe, so Mann, dass die Deutsche Post den Wettbewerb keinesfalls zu fürchten habe. Das sieht man beim gelben Riesen in Bonn genauso. Norbert Schäfer, Sprecher der Deutschen Post, sagt: "Die Deutsche Post begrüßt den europäischen Wettbewerb - aber bitte im Gleichklang." So könne es nicht sein, dass sich Länder wie Großbritannien und Frankreich gegen eine Liberalisierung im eigenen Lande sperrten, während Deutschland sich völlig öffne. Das indes hilft den deutschen Mittelständlern wenig: "Es ist wichtig", sagt Schlosser, "das Pflänzchen Liberalisierung zu schützen." Die Postzustellung sei immer noch von Grauzonen durchsetzt: "Das Postgesetz ist schlichtweg ein Drama an sich - traurig, komplex und mühevoll." Im April befasst sich zunächst das Kabinett, anschließend der Bundesrat und der Bundestag, mit dem Postgesetz. Bis eine Entscheidung gefällt ist, werden Deutschlands Direktmarketer eine Hängepartie auszuhalten haben. Noch steht nicht einmal fest, ob es zu einer Verschiebung der Liberalisierung kommen wird oder nicht. ks

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