21.09.2009 - Anlässlich der Community & Marketing 2.0 Summit in Hamburg hatte ich Gelegenheit mit Markus Roder, Berater bei elbkind, einer Spezial-Agentur für Empfehlungsmarketing, und Blogger über die aktuellen Herausforderungen zu sprechen.
Christoph Salzig (CS): Als Berater der Agentur Elbkind betreust Du vor allem Kunden im Kampagnenbereich. Hast Du das Gefühl, dass Marken und Unternehmen auch bereit sind, in eigene Brand Communities zu investieren?
Markus Roder (MR): Das Gefühl habe ich auf jeden Fall. Es ist tatsächlich so, dass mittlerweile drei unserer Kunden aus den Bereichen Mode, Lifestyle und FMCG nicht nur Kampagnen machen, sondern sich von uns ganzheitlich beraten lassen, wie sie mit ihrer Community umgehen sollen, damit dort, wo ein langfristiger Dialog notwendig ist, auch ein langfristiger Dialog stattfinden kann. Es geht nicht unbedingt um das Thema "Listening to Customers", was ich bisweilen als schwierig oder mit Vorsicht zu genießen betrachte, sondern darum den Dialog zu suchen, damit Kunden sich verstanden fühlen. Es geht darum, Dinge zu erklären, die den Kunden wichtig sind und um Meinungsführer zu erkennen, zu rekrutieren und anzuziehen. Diese werden wiederum in die Welt hinaus geschickt. Wir wissen, dass es wesentlich effektiver ist, wenn ein Konsument dem anderen etwas von der Marke erzählt als wenn die Marke selbst dem Konsumenten versucht etwas zu erzählen.
CS: Ist es schwierig den Marketingabteilungen, die tendenziell eher in "bunten Bildern" und Kampganen denken, zu erklären, warum sie sich im Bereich Community Management und Community Marketing langfristig engagieren sollten?
MR: Das ist prinzipiell richtig. Das sieht man auch, wenn man sich unsere Kundenliste ansieht. Wir haben wesentlich mehr Kunden als die drei genannten. Bisher sind es tatsächlich erst wenige Kunden, die sich umfassend beraten lassen und von dieser Kampagnenmethodik langsam weggehen und stattdessen eher eine dauerhafte Kundenbetreuung anstreben. Am Anfang steht immer noch die Frage: Wie sieht das denn nach unseren "alten" Maßstäben aus? Unternehmen wollen also, dass wir die Schritte, die wir mit ihnen gehen, in alten Werbemessgrößen abbilden. Das ist natürlich nur eingeschränkt beziehungsweise überhaupt nicht möglich. An vielen Stellen ist es sogar so, dass es zu Missverständnissen kommt.
Social Media ebnet Weg für das "Olympia"-Comeback
Ein Beispiel: Eine Kampagne auf Youtube erzeugt vier Millionen Views, also von der Awareness her ein viraler Erfolg. Aber was ist, wenn ich eine deutsche Buchplattform bin und 3,8 von den vier Millionen Views kommen aus den USA, die deutsche Bücher garantiert nie lesen werden? Umgekehrt: Was ist, wenn ich eine Community aufsetze und anziehe und habe plötzlich 20.000 Mitglieder von begeisterten Fans, die mir sagen wie sehr sie meine Marke lieben. Trotz allem gibt es keinen einzigen Thread, der sich damit beschäftigt, wo ich die Marke im Handel finden kann oder wo das Produkt sonst zu kaufen ist. Das sind tatsächlich Messgrößen, die, wenn wir sie nach dem alten Maß messen würden, natürlich erfolgreich sind, aber auf der anderen Seite nichts oder nur sehr wenig für den langfristigen Markenerfolg tun. Umgekehrt gibt es natürlich auch missverständliche Dinge wie beispielsweise artifiziell hoch gepushte Views für virale Container oder Statistiken bei Communities, tote Profile bei Facebook oder Twitter, die die Zahlen wunderbar aussehen lassen, aber faktisch wertlos sind.
CS: Bei der Infonline und bei der Bemessung von Reichweiten dreht sich derzeit ein bisschen was. Weg von den Klicks und Page- oder Ad-Impressions, hin zu den Unique Visitors oder Views. Messgrößen wie die Verweildauer spielen hingegen immer noch keine große Rolle im Marketing. Gleichzeitig gibt es bei den Networks einen Streit, wer den Status als größtes Netzwerk beanspruchen darf - inaktive Profile inklusive. Letztlich aber ist die Reichweite das ausschlaggebende Motiv um Werbebudgets in diese Umfelder zu investieren. Siehst du die Chance, dass sich daran etwas ändert beziehungsweise was muss passieren, damit sich daran was ändert?
MR: Leider ist es tatsächlich so, dass die Größe eines sozialen Netzwerks unglaublich viel damit zu tun hat, wie viel Budget ein Werbetreibender bereit ist auszugeben. Das liegt einfach daran, dass Mediaagenturen nach bestimmten Kenngrößen planen und diese den Kunden dann auch so empfehlen. Ob auf dieser Plattform auch viel gesprochen wird - und das ist unsere eigentliche Messgröße - ist dafür zunächst irrelevant, ist aber für den Markenerfolg umso relevanter. Ein Beispiel wäre eine Kampagne mit dem Ziel Profile über eine Performance-Marketing-Maßnahme bei einem sozialen Netzwerk zu akquirieren. Mit irgendeinen Incentive, was nichts mit meinem Produkt zu tun haben muss, kriegt man es bestimmt hin, ganz viele Leute in eine bestimmte Gruppe oder Fangruppe zu bekommen. Ob die dann auch Fans meines Produktes sind, wage ich zu bezweifeln.
Umgekehrt ist es wesentlich effektiver, wenn ich beispielsweise Kommentare, echte Unterhaltung von Menschen bekomme, die im Endeffekt die Auseinandersetzung mit anderen Menschen suchen. Denn dann kann ich davon ausgehen, dass sie das auch in ihrem Alltag, ihrem Arbeitsplatz, ihrer Nachbarschaft tun werden. Das ist das, was ich eigentlich möchte: Offline-Konversation! Leute, die die Marke in ihr tatsächliches Erlebnisumfeld einbauen. Da hilft mir auch die Verweildauer auf einer Website nicht weiter. Das ist eine schöne Interimsgröße, auf die ich aber eigentlich nicht hinaus will. Mir ist es viel wichtiger, wie viele Kommentare Leute schreiben oder ob sie auf ihrem eigenen Blog die Kampagne noch einmal referenzieren. Ob sie darüber twittern, ob sie darauf reagieren, wenn jemand anderes sie darauf anspricht. Auch das kann man sehen. Ob sie sich so weit aus dem Fenster lehnen und zu Bewertungsportalen gehen und dort eine differenzierte Bewertung abgeben und ob sie das dann wiederum mit ihren Social Network-Profilen in Twitter oder Facebook verbinden. Mir geht es darum, dass das tatsächlich vernetzt stattfindet.
Wenn jemand anderes, der völlig unbeteiligt ist, nachher durch eine klassische Kampagne auf die Marke aufmerksam wird, wird er nicht völlig unkritisch direkt das Produkt kaufen, sondern sich zunächst mal im Internet darüber informieren, welche Stimmen es gibt. Dann ist es natürlich wünschenswert, dass er genau diese Stimmen findet, die exakt vorher stattgefunden haben, sprich: möglichst viele Twitter-Pages, möglichst viele Tweets, möglichst viele Produkt-Rezessionen, die positiv sind. Und die möchte ich nicht kaufen oder unehrlich erwerben, sondern ich möchte, dass diese aus ehrlichen Konversationen entstanden sind. Da hilft es mir nicht, dass ich in ein Network gehe, das formal 13 Millionen User hat, sondern dann gehe ich in das Netzwerk, das nur 20.000 User hat und auch von Google indiziert wird.
CS: Klingt sehr schön und sehr komplex. Glaubst du, dass die Werbetreibenden und auch die Marketingverantwortlichen schon reif sind? Habt ihr ein Instrumentarium oder ein Dashboard-Szenario entwickelt, um genau diese Daten so komprimiert zur Verfügung zu stellen, dass sie dem entsprechen, was von Mediaagenturen in der Regel bei der Auswertung von Kampagnen liefern?
MR: In einem Wort: Ja. Wir haben ein Szenario selbst ausgetestet sowohl mit Videocontainern als auch mit Konversationen, das wir den Kunden zur Verfügung stellen. Ich würde auch behaupten, dass ungefähr 90 Prozent unserer Präsentationen, die wir Unternehmen vorstellen, auf genau diese Fragestellungen eingehen. So können wir im Vorfeld Missverständnisse ausräumen, ehe wir sagen warum man uns als Agentur wählen sollte. Für diejenigen, die auf die größte Plattform gehen und Statistiken beschönigen wollen, nur damit der Vorstand `ja` sagt, aber ob das Produkt nachher am Regal gekauft wird, egal ist, sind wir definitiv der falsche Partner.
CS: Wenn ihr das in 90 Prozent Eurer Präsentationen ansprecht - warum habt Ihr dann erst drei Kunden, die das Thema langfristige Kundenbindung offenbar so ernst nehmen, dass sie auch in eigene Communitys investieren?
MR: Meiner Ansicht nach liegt das tatsächlich an der Organisationsstruktur der Unternehmen. Es ist häufig so, dass die Leute, und das sagt man uns auch unter der Tischoberfläche, Angst haben ihren Job zu verlieren oder sich negativ in irgendeiner Form zu beladen , wenn sie eben nicht die alten Zahlenvorgaben erfüllen - egal welchen Einfluss das auf den Absatz hat. Daher versucht man die alte Taktik, die der Amerikaner so schön "Cover your Ass" nennt: Wenn etwas schief geht, kann man zumindest bezeugen, dass man nach dem alten Regelbuch noch alles richtig gemacht hat. Und leider ist es in der Tat so, dass nur vergleichsweise wenige unserer Kunden sich trauen, unserem Vorschlag - unserer Ansicht nach - radikal genug zu folgen. Bei denen, die weniger experimentierfreudig sind, versuchen wir so viel wie möglich in die Kampagnen von dem einzubauen, was wir in 90 Prozent unserer Präsentationen predigen.
CS: Wer besteht auf diese alten Verhaltensmuster oder Messgrößen? Bei der Diskussion auch im Rahmen der Community & Marketing 2.0 Summit geht die Kritik in Richtung der Mediaagenturen.
MR: Die Mediaagenturen tun ja auch nur das, was sie müssen. Leider hat sich da eine Eigendynamik entwickelt - wie so oft, wenn ein altes Paradigma von einem Neuen abgelöst werden müsste. Das alte Paradigma hat bestimmte Mechanismen, die es in Bewegung gesetzt haben und die es auch am Leben erhalten. Der einzige Faktor ist Zeit. Wir versuchen sehr hartnäckig am Thema zu bleiben und immer wieder mit Kampagnen zu belegen, wie es funktioniert hat. Aber wir betreiben kein Cherry Picking. Wir gehen auch offen auf Kampagnen ein, bei denen es nicht so gut funktioniert hat. Dabei versuchen wir zu analysieren, um von vornherein ein Anekdotenszenario zu unterbinden. In vielen Büchern werden immer nur erfolgreiche Kampagnen dargestellt, aus denen man nicht viel lernen kann. Mir geht es darum irgendwann eine wissenschaftlich solide Basis aufzustellen, um Mechanismen ableiten zu können, die auch wirklich funktionieren. Bis dahin werden wir eben versuchen, die alten Mechanismen aufzuweichen und die Dämme an der einen oder anderen Stelle zu brechen.
CS: Neben dem Marketingstudium ist dein Background auch Neuro-Psychologie. Wie ist es Deiner Auffassung nach um das Thema Authentizität im Umfeld von Markenbildung und Markenkommunikation bestellt? Anders gefragt: Was ist wichtiger Glaubwürdigkeit im Dialog mit der Community oder die Marke weiterhin so zu inszenieren, wie man sie selber auch sieht?
MR: Es ist natürlich beides wichtig. Fakt ist: Ohne Inszenierung kann man nicht viel bewegen. Selbst wenn ich mich mit Leuten authentisch unterhalte, mache ich das nicht aus Selbstzweck. Dann mache ich das auch, damit ich die 800 bis 1.000 Leute, die ich realistisch betrachtet selbst dauerhaft betreuen kann, mit meiner Marke beschalle. Ich nehme mir diese 1.000, damit sie weiteren 10.000 und diese wiederum weiteren 5 Millionen Menschen davon erzählen. Und das bedingt, dass ich ihnen auch etwas geben muss, was sie erzählen können. Will heißen: Ohne eine Inszenierung der Marke, ohne etwas, womit ich die Marke auflade, ohne eine Geschichte, ein "Marken-Epos" komme ich nicht weit, weil ich dann nur bei denen stehen bleibe, die ich in der ersten Generation erreichen kann. Das ist häufig von der Masse her nicht groß genug, damit es wirtschaftlich interessant ist. Ich brauche die Inszenierung, damit die Marke einen Beiklang bekommt. Das gehört auch zur Authentizität dazu, damit die Marke, das was in ihr steckt, die faktischen, die objektiven Vorteile auch so kommunizieren kann. Nur so reagiert das Bauchgefühl - das limbische System - angemessen darauf und nimmt diese Vorteile vor dem Regal so wahr, dass der Kunde sagt `ja ich habe eine Präferenz für dieses Produkt`.
CS: Das heißt dem Webvolk zuzuhören, hilft mir da am Ende gar nicht weiter?
MR: Das hilft weiter. Aber wenn ich mich allein darauf verlasse, führt das dazu, dass ich in einer Sackgasse lande. Schlimmstenfalls führt diese auch noch in eine andere Richtung. Denn häufig ist es so, dass die Leute gar nicht wissen, was sie wollen. Sie sagen mir zwar das, wovon sie überzeugt sind und was sie toll finden oder das, was sozial akzeptabel ist. Aber wenn sie vor dem Regal stehen und das Produkt ansehen, haben sie trotzdem ein schlechtes Bauchgefühl. Und dieses Bauchgefühl können mir die Leute nicht erklären. Da hilft es mir wenig, wenn ich einfach nur zuhöre, was sie mit Worten beschreiben. Ich muss viel mehr den eigentlichen Hintergrund erfassen, was sie sich von dem Produkt wünschen und den Wunsch muss ich ihnen erfüllen.
Das Zuhören ist nur ein Teil der Geschichte. Der andere Teil der Geschichte ist: Ich muss ihnen dabei zuschauen, was sie tun und ich muss analysieren, was sie über ein Produkt sprechen und wie sie über ein Produkt sprechen. Wobei man sich auf keinen Fall täuschen kann, ist der Stil, indem über Marken und Produkte geredet wird. Ein Beispiel: Jemand wünscht sich ein anspruchsvolles Produkt, sagt aber, dass die Marke gerne mit ihm sprechen soll. Dann gehe ich tatsächlich in der Mehrzahl der Fälle davon aus, dass die Leute im Innersten - im limbischen System - gar nicht möchten, dass die Marke ein Buddy von ihnen wird, mit dem sie ein Bier trinken möchten. Bei einem Porsche oder einem Bentley erwarte ich, dass der Ingenieur einen perfekten Job abliefert. Ich möchte nicht, dass ich ihm erzählen muss, wie er ein Auto zu bauen hat. Hier geht es darum Social Media dafür zu nutzen, dass sich die Fans untereinander austauschen können, dass die Marke ihnen eventuell technische Feinheiten erklärt. Aber hier geht es nicht darum in irgendeiner Form Crowd Sourcing zu betreiben.
Auf der anderen Seite gibt es andere Autofirmen wie Tesla Motors, bei denen es nicht auf technische Perfektion ankommt, sondern mehr auf den Charme eines Start-Up-Unternehmens. Bei einem Start-Up-Unternehmen erwartet jeder, dass auch mal was schief gehen kann. Hier ist es charmant, wenn sie gerade darüber reden, dass ihre Kupplung auseinander geflogen ist und sie einen neuen Hersteller für Kupplungen suchen. Das bringt die Leute dazu mitzufiebern , die Stange zu halten und auch Herzblut zu investieren. Das ist eine Geschichte, die gerade bei der Zielgruppe, die einerseits Spaß haben will, andererseits aber auch Verzicht übt, hervorragend ankommt. Das heißt bevor ich allgemeine Regeln los schicken möchte - immer zuhören, immer zuschauen, möchte ich , dass die Leute sich erst mal Gedanken darüber machen, was in ihrer Marke drinsteckt, ob die Marke stark auf eine Community ausgerichtet ist und Kommunikation auf Augenhöhe sucht. Oder ob eine Marke vielmehr die Funktion eines Leithammels erfüllt, für anspruchsvolle Produkt steht, für die ich mich überhaupt erst qualifizieren muss? Wenn das der Fall ist, lohnt es sich auf jeden das Thema der Verbrüderung unterzubetonen.
Vielen Dank für die aufschlussreichen Einschätzungen! (Christoph Salzig)
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