29.05.2009 - Ein Freiraumbeitrag von Michael Lutter, Freier CD, Texter, Regisseur, Autor, Sprecher und Schauspieler in Hamburg.
Jetzt haben sie sich wieder gefeiert. Kürzlich würfelten sich in Berlin erneut die Top-Che-cker-Mega-Kreativen die "Gipfel der Kreativität" aus. Die für teuer Geld eingesandten Exponate sind fast durchweg Lug und Trug. Das ist inzwischen auch abgemacht und für die Beteiligten dufte so. Weshalb wir an dieser Stelle mal schamhaft den Deckel über der Angelegenheit schließen wollen und uns wichtigeren Dingen zuwenden: der Realität.
Mehr als reichlich zu tun Die Realität ist nämlich neulich mit Karacho über die Welt hereingebrochen. Und während nun überall Krokodilstränen vergossen werden und man gegenseitig das "Zurück zu vergessenen Werten und Tugenden" einfordert, macht die Werbebranche einfach weiter wie bisher. Die Prinzipien von Nachhaltigkeit und Qualität, die hier und da wieder entdeckt werden, mögen ja für andere gelten, aber für die Werbung? Nö! Zugegeben: Für eine Branche, die jahrzehntelang gepredigt hat, dass man gar nichts Neues mehr machen muss, wenn man nur laut genug brüllt, dass es neu ist, ist das natürlich eine äußerst schwierige Übung. Für ein System, das praktisch ohne Reflexion und Kritik auskommt, umso mehr. Dabei gäbe es hierzulande mehr als reichlich zu tun.
Nachwuchs Beispiel Nachwuchs: Das Kapital einer Agentur sind talentierte und motivierte Mitarbeiter. Statt diese zu suchen und zu fördern, wurden Tausende von jungen Menschen geködert, als Praktikantenpackesel verheizt und am Ende ihrer Hoffnungen auf Karriere, Knete und selbstbestimmtes Arbeiten beraubt. Anpasser und Abgebrühte halten da durch, diejenigen mit echten eigenen Gedanken, Mut und freiem Willen sortiert so ein System aber als Erste aus.
Verantwortung Beispiel Verantwortung: Die habt ihr abgegeben. Erst habt ihr euch den Schneid abkaufen und dann total entsaften lassen. Die Werbung macht heute der, der sie bezahlt. Die Restgedanken steuern die Pseudowissenschaftler aus der Abteilung Marktforschung und die Media bei. Und als Allheilmittel gibt´s ja noch Bohlen, Klum und Co. Ihr verwurstet die erbärmlichsten Briefings, die krudesten Vorgaben noch in einer Form, wenn sie nur irgendwie nach Werbung aussieht, klingt und dröhnt.
Sinn & Sprache Damit wären wir bei Sinn & Sprache: Ihr habt vergessen, worum es geht: um das Verpacken meist unerwünschter und ungefragter Information. Werbung ist dazu eine Form unserer Kultur, eine subjektive Sache, die gefallen muss. Wie ein Song, ein Film, ein Buch, ein Gemälde, ein guter Witz. Nur dass diese Kulturform die meisten Menschen einen feuchten Staub interessiert. Was erfordert, dass die Werbung noch spannender, aufregender, witziger, irrer und schlauer sein muss als alles andere. Die Quittung für dieses Vergessen gibt es täglich: Anzeigen, bei denen man schon bei der Headline einschläft, Plakate, die zehn Minuten und eine Lesebrille zur Entschlüsselung benötigen, Werbespots, deren Form und Ansprache sich ein grenzdebiler Vierjähriger empört verbitten würde. Nur wenn es ganz, ganz dumm oder am besten dazu noch ganz, ganz laut ist, ist es erst Werbung. Es ist peinlich, ich schäme mich. Jaja, ich weiß: Ich bin wütend und ungerecht. Ich polemisiere. Ich moralisiere. Aber sonst macht es ja keiner.
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