27.04.2004 - Egal ob Superstar, Dschungelkönig oder Schlager-Grand-Prix-Finalist - wenn es darum geht, den persönlichen Favoriten an die Spitze einer Rangliste zu wählen, gibt es für viele Fernsehzuschauer kein Halten mehr. Auch wenn der Anruf 49 Cent oder mehr kostet und die Chancen, durch die Stimmabgabe einen Preis zu gewinnen, recht gering sind: Die Aussicht, an der Entstehung eines neuen Musikidols mitzuwirken oder den Popfrosch Daniel Küblböck in einen Kakerlaken-Käfig zu wählen, ist schon Lohn und Anreiz genug.
von Susanne C. Steiger
"Die Leute werden mitgerissen und sind sich dabei gar nicht bewusst, dass sie dafür Geld ausgeben", erklärt Michael Lessig von der Unternehmensberatung Goldmedia. Bei Umfragen müssen die Sender nicht einmal mit Gewinnspielen locken: "Wenn das Thema emotionalisiert, dann will der Zuschauer mitbestimmen, Meinung machen und nicht an einem Gewinnspiel teilnehmen", sagt der Sprecher des Deutschen Sport Fernsehens (DSF), Jörg Krause. Die Folge: Telefonische Abstimmungen erobern den Fernsehbildschirm. Besonders private Sender setzen verstärkt auf das so genannte Televoting. Schließlich sind sie aufgrund der anhaltenden Werbeflaute und technischer Entwicklungen wie dem Festplatten-Rekorder zum Überspringen von Werbe-Spots auf alternative Einnahmequellen angewiesen.
Zudem haben die meisten Fernsehmacher inzwischen erkannt, dass das Televoting ein ideales Instrument zur Zuschauerbindung ist. Schließlich erhöht das Gefühl, den Verlauf einer Show beeinflussen zu können, die Identifikation mit dem Sender. In der Folge schaltet der Zuschauer bei Werbepausen nicht um und verpasst kaum eine Folge.
Ferner können die Fernsehstationen die Anrufe auswerten. Dadurch erhalten sie innerhalb kürzester Zeit nicht nur Meinungsbilder, sondern auch wichtige Informationen über das Profil, die Resonanz und das Verhalten der Zuschauer - alles Daten, die hervorragend für zielgruppengenaue Dialogmarketing-Maßnahmen und die Optimierung von Programmabläufen verwendet werden können. Nach Meinung von IN-telegence-Chef Christian Plätke wirkt sich der Einsatz des Televoting positiv auf das Image und indirekt auch auf die Entwicklung der Werbeeinnahmen des Senders aus. Wenn es hauptsächlich um die Generierung von Daten geht, empfiehlt MSN-Com-Chef Hansi Schmidt den Gebrauch von 0180- oder 0800-Nummern. "Schließlich will ich ja Anrufer haben", erklärt der Chef des Mehrwertdiensteanbieters MSN-Com, der ebenso wie viele seiner Mitbewerber vom Televoting-Boom profitiert.
In der Regel teilen sich die Sender und Mehrwertdiensteanbieter die Anrufgebühren, die zwischen 49 Cent und zwei Euro schwanken, nach Abzug der Mehrwertsteuer und Carrier-Gebühren ungefähr hälftig untereinander auf. Je nach Verhandlungsposition, die sich mit erfolgreichen Formaten verbessert, bekommt der Sender bis zu 70 Prozent der Erlöse. Ein Geschäft, das sich fast immer lohnt: So brachte beispielsweise das Finale der ersten Staffel von "Deutschland sucht den Superstar" (DSDS), bei der Insidern zufolge sechs Millionen Anrufe eingingen, RTL einen Zusatzverdienst von mehr als 1,5 Millionen Euro. Damit überstiegen erstmals in der deutschen Fernsehgeschichte die Televoting-Einkünfte die Einnahmen aus der klassischen TV-Werbung. Im Durchschnitt beteiligten sich 40 bis 50 Prozent der Zuschauer an den DSDS-Votings. Die Regel sind sonst etwa 10 Prozent.
Die Dschungel-Show "Ich bin ein Star - holt mich hier raus", die ebenfalls auf RTL sehr erfolgreich lief, registrierte laut Insider-Angaben im Finale etwa 1,3 Millionen Anrufe. RTL nahm dadurch mehr als 350.000 Euro ein. Die Casting-Show "PopStars - das Duell" auf ProSieben generierte einen Umsatz von schätzungsweise 1,6 Millionen Euro.
Auch im Ausland erfreuen sich telefonische Abstimmungen großer Beliebtheit: Beim letzten Schlager-Grand-Prix setzten 19 Teilnehmerländer Televoting ein. Nur fünf Nationen vertrauten ausschließlich auf das Urteil von Jurys. In Österreich zählte die Casting-Show "Starmania" mehr als 15 Millionen Votes in 18 Sendungen. In den USA beteiligte sich mehr als die Hälfte der Zuschauer von "American Idol", der amerikanischen Version von DSDS, an Voting-Aktionen.
Einer Goldmedia-Studie zufolge liegt die Wachstumsrate von telefonischen Mehrwertdiensten, zu denen auch telefonische Abstimmungen gehören, bei 15,2 Prozent. Bis 2008 rechnet das Berliner Unternehmen mit einer Verdoppelung der Umsätze von derzeit 390 Millionen Euro. Genaue Schätzungen für den Televoting-Markt will Goldmedia im Rahmen der nächsten Studie aufstellen.
Cord Stukenberg, Managing Consultant der ICT-Unternehmensberatung und T-Systems-Tochter Detecon, ist sich sicher, dass das Wachstum noch eine Weile anhält. Begründung: "Der Markt ist noch sehr jung und die Beträge pro Kunde relativ marginal." Der Höhepunkt des Booms sei noch längst noch nicht erreicht. Erst 2006 laufe der deutsche Markt Gefahr, mit etwa 800 Millionen Anrufen jährlich in eine Sättigungsphase einzutreten. Die weitere Entwicklung hängt seiner Meinung nach davon ab, "wie intelligent die Abstimmungen verpackt" sind. "Das Sendekonzept muss stimmen", betont Stukenberg. Nach Meinung von Goldmedia-Berater Lessig sind erste Abnutzungseffekte frühestens in zwei oder drei Jahren zu erwarten. "Irgendwann merken die Leute ja auch, was das gekostet hat", sagt Lessig. Auch Ove Struck von Talkline ID befürchtet, dass "irgendwann ein Sättigungsgrad erreicht sein wird". Momentan sei aber noch mit sehr großen Zuwachsraten zu rechnen.
Um die Zuschauer bei der Stange zu halten, basteln die TV-Macher derzeit an zahlreichen Innovationen, die sich nicht nur auf die ständige Aufstockung der Anrufkapazitäten von derzeit maximal 100.000 Calls pro Minute beschränken. So will der Mainzer Televoting-Dienstleister dtms Stammkunden künftig bevorzugt behandeln. Ein Beispiel: Zuschauer, die zehnmal am Tag vergeblich versucht haben, ins Studio durchzukommen, werden mit einem Call-Center verbunden. Dort erhalten Sie dann Trostpflaster wie Calling-Cards. "Televoting hat künftig nicht mehr viel mit TED zu tun, sondern wird viel interaktiver", erklärt Technikvorstand Dr. Christoph Kurpinski.
Den großen Durchbruch erwarten Experten mit der Einführung des rückkanalfähigen Kabelnetzes. Dann können die Zuschauer bequem per Fernbedienung abstimmen. Interessant wird auch, wie sich das Medium SMS beim Televoting entwickelt. Momentan sind die Kurzmitteilungen mit einem Anteil von unter zehn Prozent noch eine Randerscheinung, gewinnen aber immer mehr an Bedeutung. Unter anderem deshalb, weil dadurch jugendliche Zuschauer mobilisiert werden können - ein unschätzbarer Vorteil für Sender wie ARD und ZDF, die ständig versuchen, ihr hochbetagtes Publikum zu verjüngen. Noch schrecken aber viele Sender vor SMS-Voting zurück, da die Ausschüttung bei Voice-Diensten meist deutlich höher ist, erklärt Andreas Gnam, Geschäftsführer von Telemedia Interactive.
legion-Manager Ulrich Eising prognostiziert, dass schon bald durch Telefonabstimmungen Programme gestaltet werden, womit das Televoting zum Vorläufer des interaktiven Fernsehens werde. Der Münchner TK-Dienstleister extr@com bietet bereits Rückrufsysteme an, die Teilnehmer über Ergebnisse und kommende Abstimmungen informieren.
Laut Ingo Lippert, CEO des Münchner SMS-Voting-Anbieters MindMatics, geht der Trend eindeutig in Richtung Individualisierung. So sei es technisch bereits möglich, jeden Anrufer unterschiedlich zu bedienen, zum Beispiel indem sich ein Casting-Show-Kandidat mit seiner eigenen Stimme bedankt. "Da wird sehr viel mit Technik gespielt", sagt Lippert. brö
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