Metro-Future-Store experimentiert mit Radio-Frequency-Technologie

22.02.2004 - Funk-Chips sammeln Kundendaten

Für die Sammler von Kundendaten bricht ein neues Zeitalter an: RFID, das ist die Abkürzung für "Radio Frequency IDentification", verspricht den wahrhaft gläsernen Konsumenten - so durchsichtig, dass sogar der geklaute Mars-Riegel registriert wird. RFID ist der Traum jedes Marketingverantwortlichen und ein Alptraum für Datenschützer. Während die Branche noch rätselt, ob das ganze Hype oder Wirklichkeit werden soll, schlagen Verbraucherorganisationen bereits Alarm. Nicht ganz zu Unrecht, meinen die CRM-Spezialisten.

Stellen Sie sich vor, die Welt wäre ein Webshop: Der Kunde stöbert ziellos im Laden herum, nimmt eine Dose in die Hand, stellt sie wieder ins Regal, nimmt eine andere. Betrachtet 34 Sekunden lang einen Stapel Keksdosen, ohne sie anzurühren. Schließlich klaut er eine Damenstrumpfhose. Und das alles steht sauber aufgeschrieben auf seiner Kundenkarte. Dieses Szenario könnte mit der so genannten RFID-Technologie eines Tages Shopping-Alltag werden. In einigen Supermärkten und im Rheinberger Metro-Future-Store ist es bereits soweit. Das Shopping-Labor der Metro AG experimentiert seit einigen Wochen mit der Funkübertragung beim Einkauf, dafür wurden die Barcodes zur elektronischen Kassenregistrierung der Ware durch RFID-Chips ersetzt. Der Funk-Chip, der bislang nur in der Lageranwendung zum Einsatz kam, soll künftig flächendeckend im Verkauf eingesetzt werden. Bisher kleben die kleinen Chips mit Antennen, so genannte Tags, an vier Versuchsprodukten, die in der Nähe des Lesegerätes eine Identifikationsnummer aussenden. Gillette liefert Rasierklingen samt Tag an den Extra-Markt, Procter & Gamble das Haarshampoo Pantene und Kraft den Streichkäse Philadelphia.

"Die Technologie kann überall dort zum Einsatz kommen, wo es um die schnelle Identifikation von Personen oder Objekten und um Datentransfer geht", sagt Harald Meier, Geschäftsführer von Datacolor, Full-Service-Anbieter für Direktmarketing, der auch die so genannten Transponder-Cards herstellt. Zudem kommt Ende März in Deutschland die erste RFID-Datenbank des US-Herstellers Progress Software auf den Markt. Mit dem EPC-fähigen (Electronic-Product-Code) Produkt ist laut Hersteller die erste speicherinterne Datenbank verfügbar, die die per RFID-Tags gesammelten Daten speichern, sortieren und zuordnen kann. Zum Erfassen und Weiterleiten der Daten genügt ein Lesegerät, vor das der Inhaber einfach seine Karte hält. "Auf den Chip passt ein Vielfaches mehr an Informationen als auf einen herkömmlichen Barcode", sagt Meier. Ja nach Stärke und Reichweite der Empfänger kann das Schicksal der Produkte theoretisch über den gesamten Lebenszyklus verfolgt werden. Vor allem Handelsriesen wie Procter & Gamble, Wal-Mart, Metro und Unilever machen sich für die neue Technik stark.

Für Diskussion sorgt - neben den hohen Kosten von etwa fünf Cent pro Chip - das Problem des Daten-Handlings. Zunehmend rufen die Visionen der Branche Verbraucherschützer auf den Plan. So besuchte Ende Januar die prominente Datenschutzaktivistin Kathrine Albrecht, Vorsitzende der US-Organsiation Caspian (Consumers against Supermarket Privacy Invasion and Numbering), den Rheinberger Future-Store der Metro. Viel beachtet von der interessierten Öffentlichkeit demonstrierte Albrecht die Technik: Mit einem einfachen RFID-Reader war aus dem Chip- Speicher der Future-Store-Kundenkarte leicht der Satz "Thank you, Katherine" herauszulesen. Wenn die Metro auch wiederholt versichert hatte, sie wolle lediglich die Barcodes ersetzen und die erhobenen Informationen nicht mit Personendaten verknüpfen: Geschützt hat sie die Chips offenbar nicht, stellte das Online-Magazin Heise fest.

Dabei sind sich Experten einig, dass die Ängste der Konsumenten mit der Technik wenig zu tun haben. "Online-Shopping ist nicht anonymer", sagt etwa Dirk Fleischhauer, Marketingchef bei der CRM-Beratung Loyalty Hamburg. "Sowie Sie auf eine Seite gehen, weiß man, wer Sie sind, woher Sie kommen und wohin Sie gehen. Wie lange Sie sich etwas ansehen, was Sie dann doch nicht interessiert und was Sie einkaufen." Die auf dem Chip gespeicherten Daten können bisher nur über kurze Funkstrecken ausgelesen werden. Je nach Baugröße der Transponder und Leseantennen und je nach Frequenzbereich liegt der Abstand bei wenigen Millimetern bis zu einigen Metern. Die befürchtete Fernüberwachung von Personen ist Experten zufolge kaum möglich - oder zumindest extrem aufwändig.

"Würden die Grenzen der Technik von den Aktivisten und den Medien richtig verstanden, dann wäre schon lange klar, dass es auch hier um den gewöhnlichen Datenschutz geht und nicht um Datenschutz speziell für RFID", sagt Chris Hook, Abteilungsleiter für RFID-Marktentwicklung beim Drucker- und Lesegerätehersteller Zebra Technologies. Was mit den gesammelten Daten geschehe, sei relevant. Und nicht, wie die Daten erlangt würden, sagte er dem Web-Magazin Silicon.

Der Hinweis wird die Kunden der Tesco-Kette in Cambridge kaum beruhigen. Von Januar bis Juli 2003 wurden in Supermärkten vor allem niedrigpreisige Artikel mit Transponder-Technik ausgestattet. Ahnungslos aktivierten Kunden beim Griff ins Regal zudem eine Videokamera, deren Bilder an den Kaufhausdetektiv weitergeleitet wurden. An der Kasse entstand ein weiterer Schnappschuss. Der Handelsriese Wal-Mart plante in Boston ein ähnliches Projekt, machte jedoch nach Boykottaufrufen von Verbraucherschützern einen Rückzieher.

In Rheinberg dagegen seien die Kunden "nicht sonderlich interessiert" an den neuen Observations-Tools, berichtet Albrecht von Truchseß, Pressesprecher des Metro-Future-Stores. Experten beobachten jedoch auch in Deutschland eine wachsende Sensibilisierung, Verbraucher geben ihre persönlichen Daten zunehmend selektiv heraus und wägen die Konsequenzen ab. Kürzere Wartezeiten an der Kassen allein würden die Konsumenten kaum überzeugen, meint Dirk Fleischhauer. "Wenn die Technologie keinen zusätzlichen Vorteil bietet, wird sie in aller Regel abgelehnt. Erst wenn ein messbarer monetärer Nutzen entsteht, findet der Kunde das gut." Dieser dürfte indes bei geschätzten Kosten von sechs Cent pro Chip nicht leicht zu realisieren sein. asc

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