02.01.2012 - Müssen Zusteller von unadressierter Werbung per Post künftig Sperrlisten führen, auf denen vermerkt ist, welche Haushalte welche Postwurfsendungen empfangen wollen - und welche nicht? Ein Urteil des Landgerichtes Lüneburg zur Prospektsammlung "Einkauf aktuell" der Deutschen Post aus dem vergangenen Jahr legt dies nahe. "Bei gehäuften Klagen eines Mitbewerbers oder eines Wettbewerbsvereins könnte dies in der Tat unangenehme Konsequenzen für die Deutsche Post haben - aber auch für andere Werbetreibende, die Postwurfsendungen nutzen", sagt Rechtsanwalt Ralf Rösler. ONEtoONE fragte bei dem Datenschutzexperten nach möglichen Folgen des Urteils für die Branche.
Das Landgericht Lüneburg hat entschieden, dass auch ohne Aufkleber auf dem Briefkasten eine Zustellung der "Einkauf aktuell" der Deutschen Post unzulässig sein kann. Worum geht es genau?
[f1]Rösler:[/b] Der Einwurf von nicht adressiertem Werbematerial, etwa von Postwurfsendungen, gegen den ausdrücklichen Willen des Verbrauchers verletzt dessen allgemeines Persönlichkeitsrecht. Üblicherweise wird dieser Wille durch einen Sperrvermerk am Briefkasten deutlich gemacht, etwa mit einem "Bitte keine Werbung!" Aufkleber. Das Landgericht Lüneburg lässt es jetzt auch zu, dass sich der Verbraucher unmittelbar an das werbetreibende Unternehmen wenden und einen weiteren Prospekteinwurf untersagen kann. Dieses habe den Zusteller dann entsprechend zu informieren.
[b]Das bringt im Massengeschäft aber doch einen kaum zu erfüllenden organisatorischen Aufwand mit sich?
Rösler:[/b] Richtig. Während der Zusteller einen "Keine Werbung!" Aufkleber leicht beachten kann, müsste er nach interner Anweisung für jeden Prospekt eigene Sperrlisten mit sich führen und vor Ort abgleichen. Das ist im Rahmen einer zügigen Zustellung gar nicht zu leisten. Der Verbraucher ist ja nicht schutzlos. Geht es ihm darum, Postwurfsendungen einzelner Anbieter, etwa der Deutschen Post, nicht zu erhalten, kann er einen entsprechenden Sperrvermerk für den Zusteller formulieren. Ikea ist mit seiner kreativen "Ja, ich will Post von Ikea!" Aktion zur Ergänzung des "Keine Werbung!" Aufklebers den umgekehrten Weg gegangen. Das zeigt, dass es andere - und vor allem verhältnismäßige - Möglichkeiten zum Schutz des Verbrauchers gibt.
[b]Hat sich das Landgericht nicht damit auseinander gesetzt?
Rösler:[/b] Das Landgericht hatte eine bürgerlich-rechtliche Streitigkeit zu entscheiden, bei der man grundsätzlich die unterschiedlichen Rechtspositionen gegeneinander abwägt. Das hat es sich erspart, indem es die Vorschrift des § 7 Absatz 2 Nr. 1 des UWG zur unzumutbaren Belästigung bei geschäftlichen Handlungen ohne jede weitere Interessenabwägung angewendet hat, obwohl der Kläger als Privatperson nicht nach dem UWG klagebefugt war. Seit der UWG-Novelle 2008 gibt es keine Bagatellfälle in diesem Bereich mehr. Jede danach anzunehmende Belästigung ist unzumutbar und damit nach Auffassung des Landgerichts Lüneburg auch eine Verletzung der Privatsphäre.
[b]Was besagt diese UWG-Vorschrift?
Rösler:[/b] Der Einwurf nicht adressierten Werbematerials ist eine unzumutbare Belästigung, wenn der Verbraucher hartnäckig angesprochen wird, obwohl er das erkennbar nicht wünscht. Hier gilt also anders als bei Telefonwerbung noch das Opt-Out-Prinzip. Der entgegenstehende Wille wird entweder durch einen Sperrvermerk erkennbar oder dadurch, dass sich der Verbraucher unmittelbar an das werbetreibende Unternehmen wendet und einen weiteren Prospekteinwurf untersagt.
[b]Anzeigenblätter sind von diesem Urteil nicht betroffen, weil Sie rechtlich nicht als Werbung gelten, ist das richtig?
Rösler:[/b] Ein "Keine Werbung!" Aufkleber schützt nicht vor Gratisblättern, das ist richtig. Anzeigenblätter enthalten aber Werbung, das ist entscheidend. Der Verbraucher kann daher einen entsprechend deutlichen Sperrvermerk an seinem Briefkasten anbringen. Lautet dieser etwa "Keine Werbung und keine Gratisblätter!", ist auch der Einwurf von Anzeigenblättern untersagt, obwohl diese einen redaktionellen Teil enthalten.
[b]Die "Einkauf aktuell" enthält einen redaktionellen Teil, ist sie dann ein Anzeigenblatt?
Rösler:[/b] Durch das Bündeln mit Werbeprospekten in einer Plastiktüte gilt die "Einkauf aktuell" nach der eigenen Auffassung der Deutschen Post als Werbesendung. Sie weist daher auch ihre Zusteller an, die "Einkauf aktuell" nicht in Briefkästen mit dem Vermerk "Keine Werbung!" einzuwerfen.
[b]Wie schätzen Sie die Folgen für die Branche ein?
Rösler: § 7 UWG ist kein Schutzgesetz im Sinne des § 823 Absatz 2 BGB, so dass es entgegen der landgerichtlich Auffassung grundsätzlich einer Interessenabwägung bedurft hätte. Erst eine höchstrichterliche Entscheidung kann daher Klarheit bringen, ob es bei Klagen eines Verbrauchers wegen der strengen Regeln im Wettbewerbsrecht tatsächlich nicht auf die wirtschaftlichen und organisatorischen Folgen und deren Zumutbarkeit ankommt. Das Thema wird uns auf alle Fälle noch beschäftigen, denn die wettbewerbsrechtliche Beurteilung des Landgerichts ist zutreffend.
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