Schlaferlaubnis für Marken

28.09.2011 - 9 Uhr morgens in Berlin: Zeitung in der S-Bahn gelesen, Frühstück besorgt, Kaffee auf dem Tisch, Terminkalender ausreichend gefüllt - kann losgehen. Kurz noch ein Blick auf die Facebook-Seite, den Twitter-Stream, die Google-Plus-Seite und den Blog. Irgendwelche Kommentare zu den eigenen Posts und Links? Muss ich antworten? Will ich antworten? Da, wo ich will und muss, tue ich es. Und dann ab in den Agenturalltag.

13 Uhr in Berlin: Ordentlich die To-do-Liste ausgedünnt, Mittagsverpflegung organisiert - Mittagspause. Lesezeit. 15 Minuten den Reader bei Posterous durchgearbeitet, 15 Minuten Inspiration durch Stumble Upon, 15 Minuten Blogs gelesen im E-Mail-Eingang. Gute Headline, gutes Thema? Einsortiert bei Evernote. Dann noch schnell interessante Fundstücke im Plattform-Rundumschlag gepostet und gleichzeitig die jeweiligen Streams nach Wissenswertem durchsucht. Will ich kommentieren? Muss ich kommentieren? Da, wo ich will und muss, tue ich es. Und dann ab in die zweite Halbzeit.

19 Uhr in Berlin: Nicht alles geschafft, was auf der Liste stand. Aber genug. Agenda für morgen steht, Präsentation für das Kunden-Meeting ist fertig. Schnell noch mal Mail-Liste der Blogs dezimieren, 30 Minuten Plattform-Surfen, Reaktionen auf die Mittagsposts prüfen und ein letzter Blick auf den eigenen Blog. Will ich kommentieren? Muss ich kommentieren? Da, wo ich will und muss, tue ich es. Und dann ab in den Feierabend.

24 Uhr in Berlin: Guten Abend gehabt auf der Dachterrasse des Amano-Hotels. Gute Leute, gute Gespräche, gute Musik, gute Drinks. Und jetzt nichts wie ab ins Bett, noch ein bisschen lesen und dann dem nächsten Tag entgegenschlafen. Noch ein letzter Blick ins Digitale, ein letzter Abstecher ins Facebook. Und da ist er dann, der Kommentar auf meinen Mittagslink. Intelligent, ausführlich, sich auseinandersetzend, am Thema interessiert. Will ich kommentieren? Muss ich kommentieren? Eben nicht!

Vermeintliche digitale Verhaltensetikette

Wer sich in Gefahr begibt, kommt darin um, heißt es. Wer sich der digital-sozialen Welt an den Hals wirft, ist 24 Stunden on air, heißt es. Reaktionen haben sofort zu erfolgen. Mein Facebook-Freund (im realen Leben sind wir uns nie begegnet, es ist sein erster Kommentar zu einem meiner Beiträge, bisher kam nur ab und zu ein schüchternes "I like"), möchte, so sagt es das Social Media-Handbuch, einen Dialog. In Echtzeit. Tweets und Posts haben eine Haltbarkeit von zwei bis drei Stunden, danach fangen sie an zu vermodern. Und das haben mein Facebook-Freund und sein Kommentar nicht verdient. Eine Instant-Entgegnung dagegen sorgt für Freude, vermittelt meinem Facebook-Freund das Gefühl, ich nehme ihn ernst. Oder freut er sich etwa auch morgen früh noch entgegen aller vermeintlichen digitalen Verhaltensetikette über eine Replik?

Markenmacher, die sich mit ihren Marken in der digital-sozialen Welt mit ihrer Grundforderung nach Dialog auf Augenhöhe in Echtzeit tummeln, müssen sich dieselbe Frage stellen. Müssen wir jetzt 24 Stunden on air sein? Wenn einer sich um 23 Uhr die Mühe macht, mit meiner Marke reden zu wollen, oder ihr eine Frage stellt, dann erwartet der doch auch sofort eine Antwort, oder? So sind nun mal die Spielregeln, sagen die Experten. Und die müssen es schließlich wissen, oder? Community-Management im Schichtbetrieb also, um ja keinen Markenfan mit Gesprächsbedarf zu enttäuschen?

Mitnichten! Klar gibt es gerade im Service-Bereich Marken, von denen ich einen 24-Stunden-Service erwarten würde. Aber selbst "Telekom hilft" schließt um 20 Uhr seine Facebook-Pforten, obwohl meine Internetverbindung sich beim Zusammenbruch bisher selten an die offiziellen Service-Zeiten der Telekom gehalten hat. Social Media hat unser Leben beschleunigt, macht es für die, die sich darauf einlassen, aufregender, manchmal jedoch einfach nur hektischer. Aber Konsumenten (und Facebook-Freunde) erwarten deshalb noch lange nicht Antworten, die schneller kommen als bisher ein Telefonanruf oder eine E-Mail. Was sie vielmehr erwarten, ist echte Interaktion. Menschliche Interaktion. Das Netz schläft nie. Aber die Menschen, die es bevölkern, auch solche, die mit der Stimme einer Marke sprechen, müssen manchmal schlafen. Und deshalb kommt es eben nicht auf das "Wann", sondern auf das "Ob" und das "Wie" der Antwort an.

Ich jedenfalls möchte ab sofort in meiner digitalen Welt außer in Notfällen ab 20 Uhr nicht mehr geweckt werden. Nachricht hinterlassen, und ich melde mich dann morgen ...Versprochen!

Ihr Guide im New Marketing Management - ab 6,23 im Monat!

Hat Ihnen diese Beitrag weiter geholfen? Dann holen Sie sich die ONEtoONE-Premium-Mitgliedschaft. Sie unterstützen damit die Arbeit der ONEtoONE-Redaktion. Sie erhalten Zugang zu allen Premium-Leistungen von ONEtoONE, zum Archiv und sechs mal im Jahr schicken wir Ihnen die aktuelle Ausgabe.

Diskussion:

Vorträge zum Thema:

  • Bild: Thomas Lang
    Thomas Lang
    (ACTUM Digital GmbH)
    Webinar am 18.03.25, 11:00 Uhr

    M&A bei Agenturen: So verkaufen Sie Ihre Agentur

    In unserem exklusives Privat-Webinar über Strategie und Umsetzung des Agenturverkaufs erhalten Sie Insights zum Thema "Agenturverkauf".

Anzeige
www.hightext.de

HighText Verlag

Mischenrieder Weg 18
82234 Weßling

Tel.: +49 (0) 89-57 83 87-0
Fax: +49 (0) 89-57 83 87-99
E-Mail: info@onetoone.de
Web: www.hightext.de

Kooperationspartner des

Folgen Sie uns:



Besuchen Sie auch:

www.press1.de

www.ibusiness.de

www.neuhandeln.de