Qualität kann man nicht befehlen

01.04.2008 - Call-Center gehen gegen ihre Kritiker in die Offensive - und setzen auf hochwertigen Service durch motivierte Mitarbeiter.

"Ich sah überraschte Blicke, es lag Spannung in der Luft. Durch die Menge ging ein Raunen - einer fragte: Bist du`n Schuft?" So beginnt eine Strophe aus dem "Call-Center-Rap", den Mitarbeiter des NürnbergerDienstleisters Defacto kürzlich verfasst haben. Die Zeilen verdeutlichen: Wer sich als Call-Center-Agent outet, stößt mitunter nicht nur auf Kritik, sondern wird gar mit kriminellen Kreisen in Verbindung gebracht. Nach Meinung von Defacto-Chef Gerald Schreiberwird dem Image der Call-Center-Branche derzeit am meisten dadurch geschadet "dass wir unseriöse Dienstleister noch gewähren lassen". Im Hinblick auf fragwürdige Betreiber ist der Terminus "schwarze Schafe" schon lange in aller Munde. Tobias Grossecker arbeitet als Cus-tomer Experience Manager EMEA für den Call-Center-Konzern Sitel in Großbritannien; er verwendet für Kollegen, die mit unseriösen Methoden arbeiten, gern den Begriff "rotten apples" - faule Früchtchen. Denn bekanntlich ist es so: Liegen auch nur wenige angeschimmelte Äpfel zusammen mit frischen Früchten in einer Obstschale, wirkt das ganze Arrangement unappetitlich. "Die nicht angemessenen Outbound-Geschäftspraktiken einiger Call-Center erzeugen eine grundsätzlich negative Wahrnehmung unseres Industriezweigs." Zusätzliche Schäden, sagt Grossecker, verursachen negative Presse und Talkshow-Auftritte: "Günther Wallraffs Nachforschungen und die darauf basierende Berichterstattung verfestigen negative Eindrücke der Kunden." Um solchen Negativschlagzeilen entgegenzuwirken, sei es essenziell, nach außen zu transportieren, dass in Call-Centern qualitativ hochwertige Arbeit geleistet werde. "Es ist wichtig, Endverbrauchern und der Geschäftswelt Einblicke in das operative Geschäft der eigenen Mitarbeiter zu gewähren. Unsere Dienstleistungen sind ein wertvoller Bestandteil der gesamten Geschäftsinteraktion mit dem Endverbraucher." Dr. Ralf Kogeler, CEO und Vorsitzender der Geschäftsführung von Walter Services, betont: "Professionelle Anbieter halten nicht nur Standards ein, sondern sie stehen auch überzeugt zu den Standards, die der Gesetzgeber vorgibt, und respektieren vor allem, dass die Kunden großen Wert auf Seriosität legen."

Die größten Quertreiber sind Call-Center, die sich nicht an gültige Gesetze halten, darin stimmt man im Großen und Ganzen überein - auch darin, dass diese Unternehmen zu Recht an den Pranger gestellt werden. "Aber diese Art von Call-Centern mit seriösen Unternehmen zu vergleichen ist genauso, wie BMW in einen Topf mit irgendeinem Hinterhof-Autoschrauber aus Berlin-Wedding zu werfen", meint etwa Ulrike Barth, Leiterin Qualitätsmanagement bei ADM. Und Barth findet es unangebracht, dass sich die seriösen Unternehmen der Branche permanent für die "schwarzen Schafe" entschuldigen müssten. "Muss BMW sich etwa von einem Hinterhof-Autoschrauber distanzieren?"

Ein ganz anderer Aspekt schadet der Branche ebenfalls, meint Dr. Alexander Kozak, Geschäftsführer von Teleperformance Deutschland. "Die positiven Aspekte der Call-Center-Arbeit werden häufig ignoriert oder als selbstverständlich angesehen. So sind sich im Grunde alle darin einig, dass Call-Center den Umsatz ihrer Auftraggeber steigern, der Wirtschaft Wachstumsimpulse geben, den Service im Sinne der Endverbraucher verbessern und den Arbeitnehmern sichere Arbeitsplätze mit Aufstiegschancen bieten."So argumentiert auch Michael Adamsky, Bereichsleiter Geschäftsentwicklung bei Deutsche Bahn Dialog. "Wir dürfen nie außer Acht lassen, dass wir als Contact-Center in Deutschland nach wie vor eine der Boombranchen und Jobmaschinen sind." Dieses Jahr werde die Branche in Summe zirka 500.000 Mitarbeiter verzeichnen; somit habe man in etwa eine Größenordnung erreicht wie beispielsweise die Automobilindustrie. Adamsky: "Uns gelingt es leider noch nicht ausreichend, genau diesen Aspekt positiv genug in die Öffentlichkeit zu transportieren. Die Jobs sind anspruchsvoll, ordentlich und bieten exzellente Aufstiegschancen."

Aufstiegschanchen gibt es derzeit zwar zur Genüge, doch die Branche beklagt einen akuten Fachkräftemangel. Dies belegt beispielsweise die aktuelle Studie "Mitarbeiterorientierung in Call-Centern", die Management Circle, Veranstalter der Call Center World, Ende 2007 unter 4.100 Call-Center-Führungskräften aller Branchen gestartet und jüngst veröffentlicht hat. Demnach befindet sich die Branche im Wachstum. So gaben 63 Prozent der teilnehmenden Entscheider an, in den vergangenen zwölf Monaten Personal aufgestockt zu haben. Weitere 75,5 Prozent planen, dieses Jahr neue Mitarbeiter einzustellen. Vor allem zeigt die Umfrage aber, dass gute Mitarbeiter schwer zu finden sind - 71 Prozent der Befragten sehen einen Fachkräftemangel. Bei den Begründungen für den Missstand liegen gleichauf mit jeweils 24 Prozent das Gehaltsgefüge und die öffentliche Wahrnehmung des Tätigkeits- und Berufsbildes. Auch das Image und die Karriereperspektiven werden mit jeweils 20 Prozent als Gründe genannt. Nur 11,3 Prozent relativieren den Mangel durch einen allgemeinen Rückgang von Fachkräften in allen Branchen. Zurückhaltung herrscht allerdings bei der Frage nach den Ausbildungsberufen zur Servicekraft für Dialogmarketing und zum Kaufmann- oder zur Kauffrau für Dialogmarketing. Bisher bilden lediglich 18 Prozent der befragten Unternehmen in den genannten Berufen aus. Die gleiche Anzahl der Befragten plant jedoch, dies in Zukunft zu tun. 42 Prozent wollen davon abgesehen verstärkt in die Schulung vor allem neuer Mitarbeiter investieren.

Der Call-Center-Dienstleister Vivento Customer Services (VCS), eine Tochter der Deutschen Telekom mit insgesamt 21 Standorten in Deutschland, setzt nach eigenen Angaben seit der Gründung des Unternehmens vor rund vier Jahren auf Mitarbeiterqualifizierung. "Jeder geeignete Agent kann sich bei uns in einem siebenstufigen Programm zum Teamleiter ausbilden lassen", sagt Dr. Karl-Heinz Moergel, Geschäftsführer Personal bei VCS. "Er oder sie erlernt in Seminaren und in der Praxis alle Module, die für diese entscheidende Schlüsselfunktion in der operativen Praxis gebraucht werden: Fachwissen, Ergebnisorientierung und Führungskräftetraining genauso wie Gesprächsführung, Kommunikationsskills und Coachingkompetenzen." Zudem sei es möglich, die Mitarbeiter durch die IHK zertifizieren oder zu Abteilungsleitern weiterbilden zu lassen. Moergel: "Durch diese Angebote werden sie zusätzlich motiviert, was die Servicequalität noch weiter steigert." Im Januar dieses Jahres hat Vivento - eigenen Angaben zufolge als erstes Unternehmen in Deutschland - den European Quality Award (EQA) für exzellente Coaching-Ausbildung erlangt. Und damit Call-Center-Agents Freunden und Familie anschaulich näher bringen können, was sie bei ihrer alltäglichen Arbeit so alles bewältigen müssen und welche Begrifflichkeiten sie verwenden, hat Vivento kürzlich das Brettspiel "Das große Spiel um König Kunde" he-rausgebracht - quasi eine Art "Agent ärgere dich nicht". Zu Themen wie Marketing, Vertriebsmanagement, Kündigerprävention oder Teamgeist gibt es diverse Karten mit Fragestellungen wie "Was bedeutet SLA?" oder Ereigniskarten wie "Dein Mailing hat die Zielgruppe verfehlt. Gehe drei Felder zurück".

"Gut qualifizierte Mitarbeiter sind einer der wichtigsten Qualitätsfaktoren eines Unternehmens", betont Gerald Schreiber von Defacto. "Aber Qualität kann man nicht einfach befehlen." Die Defacto-Gruppe setze deshalb auf eine individuelle Aus- und Weiterbildung ihrer Mitarbeiter. "Bereits 2003 wurde eine eigene Akademie ins Leben gerufen, die seitdem stetig gewachsen ist und ihr Angebot auf über 100 Kurse erweitert hat." 2007 zählte das Weiterbildungsinstitut 1.563 Seminarteilnehmer. "In der Defacto-Akademie werden Kurse für die berufliche, aber auch persönliche Weiterentwicklung angeboten", erklärt Schreiber. Dazu zählen beispielsweise Sprachkurse, Kurse zu Kunst und Kultur sowie Persönlichkeitsentwicklung. "Wir haben es uns zum Ziel gesetzt, unsere Mitarbeiter so zu schulen, dass sie auch in anderen Unternehmen Karrierechancen haben", sagt Schreiber. "Die Schulung, die deutlich über den Eigenbedarf hinausgeht, ist eines von mehreren Beispielen für die viel diskutierte Corporate Social Responsibility."

Der Call-Center-Dienstleister Wirecard, ein Unternehmen des Technologie- und Finanzdienstleistungskonzerns Wirecard, setzt auf eine so genannte hybride Call-Center-Struktur. "Ein Teil ist klassisch stationär, das heißt, die Agents arbeiten vor Ort", erklärt Geschäftsführer Heiner Bauer. Der andere Teil sei komplett virtuell, die Agenten sind im Home Office und on demand verfügbar. "Hier arbeiten wir ausschließlich mit Experten auf den unterschiedlichsten Gebieten, also beispielsweise mit Bilanzbuchhaltern oder Steuerfachgehilfen. Als selbstständige Subunternehmer sind sie sehr motiviert und liefern daher eine hohe Beratungsqualität." Bauer ist der Meinung, dass Call-Center beim Thema Qualität in die Offensive gehen und auch unter Beweis stellen müssten, dass sie aktiv etwas tun - dies beginne bereits beim Rekrutierungsprozess der Mitarbeiter. "Unsere Mitarbeiter sind größtenteils mehrsprachig und absolvieren eine Reihe von Qualitätstests, die beispielsweise auch die Übersetzung von komplexen Fachtexten beinhalten." Dazu kommen turnusmäßige Schulungen. "Sollte der Kunde zusätzliche Maßnahmen wünschen, bringen wir diese schnellstmöglich ein."

Mitarbeiterqualifizierung definiert Markus Frengel, Bereichsvorstand Kundenservice bei D+S Europe, als "den wichtigsten Bestandteil des gesamten Qualitätsmanagements". Neben der Mitarbeiterqualifizierung in direktem Bezug zur täglichen operativen Arbeit, die auf den Ergebnissen von Mystery Calls, Feedback Calls (Anrufe bei Agents, in denen sich der Prüfer zu erkennen gibt und spezielle Fachfragen abprüft) und Silent Monitoring (Analyse und Bewertung von aufgezeichneten Gesprächen) beruht, hat D+S ein Schulungsprogramm aus E-Learning und Seminaren aufgebaut, das es den Agents ermöglicht, sich über interne Zertifizierungen bis zum IHK-anerkannten Communication Center Agent weiterzubilden. Frengel: "Darüber hinaus haben wir mehrmonatige Förderprogramme installiert, mit denen wir unseren Nachwuchs systematisch aufbauen und Führungskräfte weiterentwickeln."

Außerdem hat das Unternehmen aktuell ein neues Tool für Qualitätsmonitoring entwickelt und kürzlich auf der Call Center World vorgestellt. Frengel: "Bei der QX-Base (Quality excellence Base) handelt es sich um eine Web-basierte Lösung, die die qualitative Entwicklung der Mitarbeiter auf Personen- sowie auf Team- und Projektebene zentral beobachtet, analysiert und Schulungsbedarfe erkennt." Dass dabei alle Mitarbeiter ihre persönliche Leistungsbeurteilung und den Teamvergleich einsehen können, sei ein Motivationsmittel. Für die Leistungsmessung fließen diverse Informationen ein, wie etwa die Anzahl der bearbeiteten Kontakte, die durchschnittliche Bearbeitungsdauer, aber auch qualitative Aspekte wie Freundlichkeit und Kundenansprache oder fachliche Sicherheit. "Regelmäßige Kundenzufriedenheitsbefragungen, die in die Teams zurückgespiegelt werden" setzt der Dienstleister Burda Direct laut Kathrin Stapel, Unitleiterin Communication Services, ein, um die Motivation der Agents zu steigern. "Außerdem werden unsere Mitarbeiter regelmäßig theoretisch und praktisch in den Bereichen Beschwerdemanagement, Cross- und Upselling, Kundenzufriedenheit und Empathie im Servicegespräch geschult."

Nur motivierte Mitarbeiter sorgen auch für zufriedene Kunden, das ist eine Binsenweisheit. Zahlreiche Unternehmen der Branche haben gute Ansätze im Qualitätsmanagement entwickelt, wissen aber, dass es gilt, an diesem Punkt ständig weiterzuarbeiten. "Um exzellent zu sein, ist es essenziell, Erfolge ganzheitlich zu messen. Services können dadurch besser werden, dass Dienstleister und deren Mitarbeiter auch in Massenmärkten die genauen Kundenerwartungen in Bezug auf Schnelligkeit, Kommunikationskanäle, Arbeitsabläufe und Endergebnis erfüllen", sagt Tobias Grossecker von Sitel. Mobilität und Wendigkeit seien dafür Grundvoraussetzungen, die man verinnerlichen müsse. "Die Revolution der Industrie wird weiterhin durch den Technologiewandel angetrieben", betonte beispielsweise Steve Ballmer von Microsoft kürzlich auf der Cebit. Sie wird geprägt sein von enormen Rechenkapazitäten, Speicherplatz, Hochgeschwindigkeitsverbindungen und intelligenten Systemen. Diese Entwicklung werde wiederum neue Wege für Dienst-leister ebnen: "Kommunikation wird immer und überall stattfinden. Totale globale Mobilität und Service rund um die Uhr werden die Regel sein." Während das klassische Call-Center sich als isolierte Organisationseinheit begreife, verarbeiten heutige Customer Care Center nicht nur alle Arten von Kontaktformen wie Telefon, Chat, Brief, Fax und SMS, betont Dr. Alexander Kozak von Teleperformance. "Sie übernehmen auch immer umfassendere Aufgaben. Dabei arbeiten sie immer weitgehender eigenständig, zugleich aber in einer starken Vernetzung mit den Auftraggebern." Der Service lasse sich in Zukunft durch integriertes Kundenmanagement und eine konsequente Ausrichtung an den Kundenbedürfnissen noch weiter verbessern. Kozak: "Das bedeutet, dass alle relevanten Kundeninformationen durch informationstechnologische Vernetzung dort verfügbar gemacht werden, wo sie aktuell benötigt werden, und dass sie für zielgerichtete Angebote genutzt werden."

Die fortschreitende Call-Center-Industrialisierung münde in die Entstehung einer intelligenten Service Performance Organisation, sagt Marcus Frengel (D+S). Wesentliche Kennzeichen dieser Form der Dienstleistungsindustrialisierung seien Produktivitätszuwächse, die aus der massenhaften und zugleich hoch selektiven Verarbeitung und Veredelung von Daten zu Informationsbeständen resultierten, die Mehrwert stifteten. "Während die Fabrik der klassischen Generation ein Ort ist, an dem durch die Zusammenführung von Kapital und Arbeit Mehrwert geschaffen wird, ist die Service-Performance-Organisation der Ort, an dem durch die Kombination von Information und Wissen ideeller Kundenmehrwert generiert wird."Ein viel diskutiertes Thema im Rahmen technologischer Neuerungen in der Call-Center-Dienstleistung ist die Sprachautomatisierung. Doch Michael Adamsky von DB Dialog ist sich dessen sicher: "Guter Service wird immer noch von Menschen geleistet. Wir gehen zwar die technischen Herausforderungen an, achten aber auf einen ausgewogenen Mix." Hightech werde nur da, wo er Sinn ergebe, und lediglich als Ergänzung zum Live-Agent implementiert.

"Ich sah überraschte Blicke, es lag Spannung in der Luft. Durch die Menge ging ein Raunen - einer fragte: Bist du`n Schuft?" So lautete eingangs die vorwurfsvolle Frage an den Agent im Defacto-Rap. In der letzten Strophe allerdings kommt der Fragende zu einer anderen Einsicht: "Du hast ein feines Gehör und brauchst ein dickes Fell. Berätst uns intensiv und äußerst professionell. Du bist der heiße Draht, gibst mir, was ich will - ohne dich steht unser Leben still."

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