01.02.2005 - Das Fernsehen gab bei den Tsunami-Spendenaktionen das Tempo vor - Telefon erzielte hohe Erlöse
Wenige Wochen nach der Flutkatastrophe in Südostasien ziehen Fundraising-Experten bereits Bilanz: Nie zuvor gaben die Deutschen so hohe Summen für humanitäre Zwecke in einem Katastrophengebiet. "Das Seebeben im Indischen Ozean war zweifellos ein überspendetes Ereignis", urteilt Dr. Christian Müllerleile vom Büro für Öffentlichkeitsarbeit und Fundraising. Erste Lehre aus einem mitunter skurrilen Wettbewerb der Medien und Charity-Aktivisten: Der Faktor Zeit entscheidet mehr denn je über den Erfolg der Aktion. Schrittmacher war das Fernsehen. "Die sofortige Verfügbarkeit der Bilder aus deutschen Urlaubsgebieten nahmen dem Ereignis die Anonymität", sagt Müllerleile. Aber auch Online-, Telefon- und SMS-Aktionen erzielten beachtliche Response-Quote. Binnen zwei Wochen nach dem 26. Dezember hatten die deutschen Privathaushalte bereits mehr als 350 Millionen Euro gespendet - und das über alle Kanäle.
Der Fernsehsender Sat.1 veranstaltete am 3. Januar eine Spendengala mit zahlreichen deutschen Prominenten, die zu telefonischen Spenden für die Aktion "Deutschland hilft" aufriefen. Erlös:10,5 Millionen Euro. Die ZDF-Spendengala in Kooperation mit der "Bild"-Zeitung erbrachte einen Tag später rund 40,7 Millionen Euro für die Flutopfer.
Die Deutsche Post rief eine Spenden-Kooperation mit dem Internet-Auktionshaus eBay ins Leben. 200.000 Pakete wurden zwischen dem 5. und 17. Januar in den Postfilialen angenommen und bis Ende Januar bei eBay versteigert. Erlös (Stand: 17.Januar): 570.000 Euro.
Die Verlagsgruppe Handelsblatt gründete die Initiative "Wirtschaft hilft". Seit dem dritten Januar rief sie deutsche Unternehmen via Pressemitteilung und Anzeigen in allen Printtiteln zum Spenden auf. Erlös (Stand: 18. Januar): 2,8 Millionen Euro.
Das Spendenportal HelpDirect.org vermittelte bis zum 5. Januar 1,2 Millionen Euro an 25 Hilfsorganisationen. In einer Kooperation mit dem Bonussystem HappyDigits konnten die Teilnehmer via Internet Bonuspunkte spenden. Statt einer Prämie wählten sie dafür den Online-Button "Helfen". Binnen zwei Wochen kamen Digits im Wert von 300.000 Euro zusammen.
Der Online-Buchhändler Libri.de spendete pro 100 Euro, die über Lesen-hilft.de umgesetzt wurden, 5 Euro an das Kinderhilfswerk UNICEF. Zahlreiche Telekom- und Finanzdienstleister verzichteten für Überweisungen ins Katastrophengebiet auf die üblicherweise anfallenden Gebühren, womit sie die Seriositätskriterien des Deutschen Zentralinstituts für soziale Fragen mehr als erfüllten.
"Die Hauptinitiative lag bei den elektronischen Medien", beobachtete Müllerleile. "Das Tempo war enorm wichtig", so Harald Meurer, Initiator von HelpDirect.org. "Wir haben am 26. Dezember um 19.14 Uhr den Link geschaltet, und um 20.30 folgte die erste Spende." Auch das Kinderhilfswerk UNICEF hat schnell reagiert. Bereits zu Silvester hatten die Mitglieder ihr Spenden-Mailing auf dem Tisch. Einige kirchliche Hilfswerke, die keine Bündnispartner der beiden großen Initiativen waren, haben erst zum Jahreswechsel Mailings versandt - "und sicher nicht mehr viel bewirkt", schätzt Müllerleile. Nachzügler waren am 10. Januar auch die deutschen Anzeigenblätter. Der Verlag Blitz-Tip in Egelsbach überzeugte die Telekom von der kostenlosen Schaltung einer Spenden-Hotline: Wer die 0900 111 33 77 anwählt, dem werden vollautomatisch fünf Euro von der Telefonrechnung abgebucht. "Die Aktion läuft eher langsam an", berichtet eine Verlagsmitarbeiterin.
Die Stunde des Telefons
Insgesamt messen die Experten vor allem dem Spendenkanal Telefon hohe Bedeutung bei, hier insbesondere im Zusammenspiel mit dem Medium Fernsehen. "Die starke Entwicklung der Call-Center in den letzten Jahren hat dazu geführt, dass die Logistik sofort bereitstand", so Müllerleile. Effizient ist das Spenden via Telefon auch deshalb, weil die Spender keine Zahlscheine ausfüllen müssen - die dann doch gern mal liegen bleiben. "Die telefonisch zugesagten Spenden können in der Regel tatsächlich realisiert werden. Bei dem auf diesem Kanal üblichen Lastschriftverfahren haben Sie sehr geringe Stornoquoten", berichtet Müllerleile. "Gut funktioniert" haben seiner Ansicht nach auch Spenden-Hotlines und automatische Verfahren wie SMS-Aktionen. "Das hat mit wenig Aufwand sehr viel Geld gebracht."
Schattenseite der Methode: Die Agents gerieten überall schnell an ihre Kapazitätsgrenzen. Der Call-Center-Dienstleister Dialog Frankfurt, der für Sat.1 telefonierte, verzeichnete in zweieinhalb Stunden 600.000 Zuschaueranrufe. 2.000 Call-Center-Agents hatten auch mit Unterstützung des prominent besetzten Studio-Panels zeitweise keine Chance, den Ansturm zu bewältigen - eine Erfahrung, die sie mit allen anderen Kontaktstellen teilten. Roland Jeanneret, Moderator des Schweizer Sammelsystems Glückskette, resümiert: "Dieses Vorgehen war kein Musterbeispiel einer aktiven Kommunikationsstrategie, sondern einer typischen Reaktionskommunikation." Mit ihren drei Mitarbeitern geriet die Glückskette sofort an ihre Kapazitätsgrenze und war mit dem gewaltigen E-Mail-Aufkommen komplett überfordert.
Dem Internet als Spendenmedium wird im Zusammenhang mit der Tsunami-Katastrophe wieder einmal steigende Bedeutung attestiert. Auch gefälschte Spendenaufrufe und dubiose Ketten-Mails machten schnell die Runde und nährten das geläufige Vorurteil, dass das Internet die Goldgrube für windige Geldeintreiber sei. Explizit warnte das Deutsche Zentralinstitut für soziale Fragen im Zusammenhang mit dem Seebeben in Südostasien vor Trittbrettfahrern und Spendenappellen ungewisser Herkunft.
Dabei ist die Internet-Community aus Sicht der Spendenmarketer keineswegs die interessanteste Adressatengruppe. "Gemeinhin spenden die Nutzer auf diesem Kanal eher kleinere Summen", berichtet Christian Müllerleile. Die große Reichweite des Mediums fing einen anderen Nachteil im Fall der Flutkatastrophe nur bedingt auf: Die Server waren schnell überfordert, die Sat.1-Homepage brach zeitweise unter dem Ansturm der Spendenwilligen zusammen. Immerhin: 65.000 Schweizer hatten bis zum 5. Januar über das Internet für die Glückskette gespendet. UNICEF lockte bis zum 17. Januar 440.000
Besucher auf die Website, von denen 20 Prozent gespendet haben. Gemeinhin werden Spenden-Sites weniger frequentiert als die Internet-Auftritte der Organisationen. Vermutlich wegen der großen Öffentlichkeitswirkung des Er- eignisses konnte Meurer mit Help- Direct.org ein Gegenexempel statuieren: Der HappyDigits-Betreiber Deutsche Telekom kooperierte laut Meurer mit SOS Kinderdorf und mit Help-Direct.org, wobei HelpDirect.org mit Kontaktinformationen über 29Hilfs-organisationen kurzfristig doppelt so viele Spenden akquirierte wie der Internet-Auftritt von SOS Kinderdorf.
Erfolg mit Schattenseiten
Trotz der starken Impulse, die das Fernsehen gab, stehen die Fundraiser und Hilfsorganisationen den Effekten auch kritisch gegenüber. "Mitunter schien in den Medien der gute Zweck hinter dem Erfolg der Aktion zurückzutreten", meint Müllerleile. Prompt wandten sich Anfang Januar Kirchen und Hilfsorganisationen an die Öffentlichkeit und mahnten zu mehr Vernunft bei der Spendenvergabe. Denn langfristig angelegte Spendenappelle für weniger spektakuläre Projekte wie die Krebs- und Obdachlosenhilfe finden derzeit wenig Gehör. "Das Problem besteht darin, dass die Bilder von der Flutkatastrophe nicht zu überbieten sind", so Müllerleile. "Da tritt schnell eine gewisse Ermüdung ein." Der Anstieg der Tsunami-Opferzahlen auf über 200.000 rückte bereits drei Wochen nach dem Ereignis auf die hinteren Zeitungsseiten. Die Unterstützung humanitärer Projekte, die sich in aller Regel um weniger mediale Leiden der Menschen kümmern, lebt nicht von Ausnahmesituationen. Dies ist und bleibt die Aufgabe der Brot-und-Butter-Mailings von Hilfsorganisationen. asc
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