Barrierefreiheitsstärkungsgesetz

Millionengrab: Digitale Barrieren kosten Handelsunternehmen KundInnen und Umsatz

04.09.2025 - Acht von zehn Menschen in Deutschland haben bereits digitale Prozesse wie Online-Käufe, Produktsuchen oder Formularausfüllungen abgebrochen, weil Websites, Apps oder digitale Inhalte nicht zugänglich oder verständlich waren.

von Susan Rönisch

Dies zeigt der aktuelle Report "Barrierefreiheit im Netz: Wie digitale Hürden Kunden kosten" von AccessiWay   , für den 2.500 KonsumentInnen repräsentativ befragt wurden. Die Studie macht deutlich, dass digitale Barrierefreiheit kein Nischenthema ist. 80,1 Prozent der Befragten erleben demnach digitale Angebote wie Websites, Apps oder Videos als teilweise unzugänglich. 27,2 Prozent berichten sogar von häufig auftretenden Barrieren. Betroffen sind alle Altersgruppen: Bei den 18- bis 29-Jährigen stoßen 61,8 Prozent regelmäßig auf Barrieren, bei den 30- bis 39-Jährigen sind es 65,8 Prozent, bei den 40- bis 49-Jährigen 74,3 Prozent und ab 50 Jahre sogar 85,2 Prozent. Männer (82,4 Prozent) und Frauen (79,6 Prozent) sind gleichermaßen betroffen.

Die Konsequenzen für Unternehmen sind direkt spürbar: Jeder Abbruch im digitalen Raum kann zu Umsatzverlusten führen. Besonders betroffen sind kaufkräftige KundInnen ab 50 Jahren: 84,3 Prozent der 50- bis 64-Jährigen und 83,1 Prozent der über 65-Jährigen brechen digitale Prozesse ab. Auch die digital-affinen 18- bis 39-Jährigen zeigen hohe Abbruchraten (73,7 Prozent bis 79,8 Prozent).

Jan Stedul, Managing Director Germany bei AccessiWay, betont: "Digitale Barrierefreiheit ist nicht allein eine gesetzliche Verpflichtung, sondern ein entscheidender Faktor für Umsatz, Kundenzufriedenheit und Markenwahrnehmung. Wer Barrieren abbaut, öffnet Türen - für alle NutzerInnen und für nachhaltiges Wachstum."

Barrierefreiheit vereint soziales Gebot und wirtschaftlichen Nutzen

Seit Juni 2025 gelten verbindliche Vorgaben durch den European Accessibility Act (EAA) und das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG)   . Handelsunternehmen müssen digitale Angebote barrierefrei gestalten, um Bußgelder, Rechtsstreitigkeiten und Imageschäden zu vermeiden.

Innerhalb der EU leben laut EU-Kommission 87 Millionen Menschen mit Behinderungen. Weltweit verfügen 1,85 Milliarden Betroffene über ein jährliches Einkommen von 1,9 Billionen Dollar. Daher stellt die Investition in digitale Zugänglichkeit nicht nur eine Erfüllung rechtlicher Verpflichtungen dar, sondern bietet auch die Chance, die Zielgruppe signifikant zu erweitern und die Wettbewerbsfähigkeit auf globalen Märkten zu stärken. Statistiken zeigen, dass 71 Prozent der Nutzer mit Handicaps eine schwer bedienbare Website verlassen und 82 Prozent sogar bereit sind, mehr auszugeben, wenn eine Konkurrenzwebseite leichter zugänglich ist.

Viele Händler glauben jedoch immer noch, dass die neuen Anforderungen sie nicht betreffen, ergänzt Elisa Rudolph , Justiziarin des bevh   . "Das ist ein großer Irrtum! Grundsätzlich betrifft das BFSG alle Onlinehändler; ob klein oder groß, ob mit eigenem Webshop oder auf Marktplätzen tätig, und unabhängig von den angebotenen Sortimenten."

Wer sich bis jetzt nicht um die Einhaltung des BFSG gekümmert hat, muss damit rechnen, dass dies früher oder später rechtlich geahndet wird, inklusive der damit verbundenen Kosten. Auch eine "Marktüberwachungsstelle der Länder für die Barrierefreiheit von Produkten und Dienstleistungen" (MLBF) ist derzeit im Aufbau. Zu beachten ist Elisa Rudolph zufolge auch, dass "Barrierefreiheit keine Einmalleistung und nie ganz abgeschlossen (ist). Sie erfordert permanente Anpassung, bei der neue technische Hürden überwunden werden müssen. Eine hundertprozentig barrierefreie Website ist daher nur schwer umzusetzen und muss zwingend auf dem neuesten Stand der Technik gehalten werden."

BFSG: Sofort tätig werden

Handelsunternehmen, die bis dato nichts unternommen haben, müssen sofort tätig werden und umgehend an die wichtigsten Grundlagen Hand anlegen und nach außen guten Willen zeigen. Haupthandlungsfelder für Online-Unternehmen umfassen klare und präzise Seitennavigation, einfaches und sauberes Design sowie eine sinnvolle Inhaltsstruktur mit klaren Überschriften.

Weitere wichtige Maßnahmen umfassen ein angemessenes Kontrastverhältnis und Gebärdensprachoptionen für Videoinhalte. Darüber hinaus merkt der Bericht die Bedeutung regelmäßiger Tests und Evaluierungen an, um die Zugänglichkeit digitaler Produkte und Dienstleistungen fortwährend sicherzustellen.

Ebenso wichtig ist es, die Teams im Bereich der digitalen Barrierefreiheit zu schulen und deren Bewusstsein dafür zu schärfen. Nur so werden die technischen Anforderungen effektiv umzusetzen sein. Mitarbeitenden-Schulungen erlauben zudem, Barrierefreiheit in den Arbeitsalltag zu integrieren, was die Einhaltung sicherstelle und eine inklusive Kultur fördere.

Hintergrund-, Schrift- und Menüfarben
Neben der einfachen Sprache für die Hauptzielgruppe musste die Website auch das Kriterium der Barrierefreiheit erfüllen, d.h. Hürden für alle Formen der Behinderung beseitigen oder zumindest so gering wie möglich halten: für Menschen mit Seh- oder Hörschäden genauso wie für Menschen mit anderen physischen, psychischen oder geistigen Beeinträchtigungen. Weiterhin gehört dazu, die technischen Voraussetzungen dafür zu berücksichtigen, dass Bedienhilfen, wie Vorlesesoftware, mit einer Website zurechtkommen. Bei der Auswahl von Hintergrund-, Schrift- und Menüfarben gilt es, einen Kontrast zu beachten, der auch für Menschen mit Seheinschränkungen lesbar ist. Bei der Struktur der Website ist es wichtig, ein lineares Design vorzusehen, sodass Vorlesesoftware und deren Zuhörer eindeutig den Ablauf der Seite nachvollziehen können, mehrspaltiges Design oder viele Kästen werden damit schwierig.

Keine Elemente, die von selbst starten
Selbststartende animierte Bilder, Filme oder Slider sind generell schlecht, da sie für Menschen mit bestimmten Behinderungen zu viele unerwartete Reize setzen, die wiederum Symptome triggern oder das Lesen der Website verhindern können. Beim Design des Menüs gilt es zu beachten, dass die Farben für die angezeigte und aktivierte Auswahl gleich kontrastreich sind. Dass die Bilder eine Beschriftung benötigen, war dabei die kleinste Herausforderung. Und das alles muss natürlich nicht nur am Desktop, sondern auf allen Endgeräten funktionieren.

Formulare und Linktexte
Susanne Baumer, Leiterin des Test.Labor Barrierefreiheit im Webwerk der Pfennigparade   , hat die Website von input inklusiv   umgesetzt. Ihre Lieblingstipps: "In Formularen müssen die Fehler konkret benannt werden. Also 'Füllen Sie alle Felder aus' reicht nicht, es muss vielmehr stehen 'Tragen Sie Ihre Telefonnummer mit Vorwahl und ohne Leerzeichen ein.' Dazu muss dann das falsch ausgefüllte Feld markiert werden. Als Zweites ist es wichtig, dass der Linktext konkret angibt, wo es hingeht. Also 'Finden Sie hier' ist nicht wirklich hilfreich, sondern eher 'Finden Sie auf der Website von XXX'. So weiß man schon vorher, wo der Link hinführen wird."

Checkliste für inklusive digitale Erlebnisse

✔ Einfache, konsistente und logisch aufgebaute Seitennavigation
✔ Einfaches und sauberes Design
✔ Sinnvolle Inhaltsstruktur samt klaren Überschriften
✔ Kontrastverhältnis von 4,5:1 für Text und Elemente
✔ Schriftgröße von mindestens 14pt auf allen Seiten
✔ Keine Kursiv- und Majuskelschrift
✔ Links oder zentral ausgerichteter Text, jedoch kein Blocksatz
✔ Barrierefreie Formulare und Links
✔ Alternativtext bei allen Bildern
✔ Klare Sprache mit ausgeschriebenen Abkürzungen und Akronymen (mindestens einmal pro Seite)
✔ Untertitel oder Bildunterschriften bei allen Videoinhalten
✔ Visuelle Benachrichtigungen, die sich nicht nur auf den Ton verlassen
✔ Gebärdensprachoptionen für Videoinhalte
✔ Klare Fokusindikatoren
✔ Volle Tastaturunterstützung für eingebettete Inhalte
✔ Hilfreiche Bilder, wo immer möglich
✔ Korrekt großgeschriebene Hashtags bei Social Media

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