Hört auf mich zu nerven!

19.06.2009 - "Ich wünschte mir, es wäre der 1.1.2010. Ich würde aufwachen, hätte ein ordentliches Budget, könnte meine Werbegelder einfach auf zwei oder drei Kanäle verteilen und alles wäre wieder gut." So oder zumindest so ähnlich äußerte sich am Rande des DMMK der Marketingverantwortliche eines international operierenden Konzerns mit Stammsitz in der baden-württembergischen Landeshauptstadt. Trotz der allgemein anerkannten Online-Affinität dieses nicht näher genannten Werbetreibenden schwang in dieser Aussage nicht nur der Wunsch nach einem Vorüberziehen der Krise mit, sondern auch nach einem Zurückdrehen des Rades Richtung klassische Werbung. In der Tat ist die Komplexität und das Ausfransen der Kommunikations-(nicht Werbe-!)Kanäle nicht Jedermanns Sache und wird von denjenigen, die den Erfolg von Marken und Produkten verantworten, nur mit sehr großen Bauchschmerzen akzeptiert oder wenigstens zur Kenntnis genommen.

Amir Kassaei, streitbarer Sprecher des Art Director's Club, reist derzeit durch die Lande und mahnt Kreative und Werber gar zu einer Anpassung ihres Geschäftsmodells. Abschied von der Währung Aufmerksamkeit und Hinwendung zu Relevanz und Problemlösung. Die Frage muss an dieser Stelle erlaubt sein, wie reif Unternehmen und Markenartikler hierfür tatsächlich schon sind. Fakt ist: Die aktuelle Krise, hier stärker bezogen auf die Krise der klassischen Medien denn auf die Finanz- und Wirtschaftskrise, liefert den Anlass ein Umdenken einzuleiten. Weckrufe á la Kassaei, für den 95 Prozent der Kreativwerbung nichts mit der realen Welt zu tun haben, finden daher in dieser Phase stärkeres Gehör als in den "fetten Jahren". Dass dabei nicht nur diejenigen zuhören, die sich - wie ich - seit Jahren vom Trommelfeuer lauter, schriller und bunter Werbung genervt fühlen, liegt in der Natur der Sache. Es gibt eine Vielzahl von Werbern, die Kassaei - angesichts der Anwürfe gegen das scheinbar funktionierende Prinzip der möglichst ausgefallenen Belegung von möglichst großen Reichweiten - Selbstinszenierung und Nestbeschmutzung vorwerfen. Das ändert aber nichts am derzeit allerorten zu beobachtenden Paradigmenwechsel.

"Trägermedium Mensch" - das allein ist die Grundlage funktionierender Unternehmenskommunikation. Denn nur, wer Menschen von sich überzeugt, kann langfristig auch erfolgreich sein. Diese Form der Kommunikation, bei der die Grenzen zwischen Marketing, PR und Content nahezu aufgehoben sind, wird sich künftig vor allem an den Messgrößen Relevanz und Echtheit messen lassen müssen. Noch ist dieser Wechsel lange nicht vollzogen, denn schließlich darf die Generation der Digital Natives nicht als repräsentative Grundlage für die allgemeine Mediennutzung gesehen werden. Aber: Stärker als alle anderen Generationen hat sie sich angeeignet, selbst Content-Produzent zu sein. Und stärker als alle anderen Generationen versteht sie es, den Unmut über unzumutbare Werbung zu kanalisieren, ja sich dagegen zu wehren. Alle anderen sehen sich nichtsdestotrotz der gleichen Reizüberflutung ausgesetzt. Stillschweigendes Hinnehmen sollte dabei jedoch nicht selbstverständlich als Zustimmung gewertet werden. Interaktive Medien bilden das ab, was die wahre Welt zu bieten hat - im Guten wie im Schlechten. Sie decken schonungslos auf, was Menschen über Unternehmen, Marken, Produkte und Werbung denken. Das ist der Kern des Medienwandels, der nicht die Wirklichkeit verändert, sondern diese lediglich transparenter macht.

"Ich möchte nicht mehr, dass mir irgendwelche Leute erzählen, warum ich bestimmte Produkte kaufen soll, die ich nicht brauche." Das hat Kassaei in seiner Keynote beim DMMK gesagt und im anschließenden Interview mit Michael Wurzer (very.tv, s.o.) noch einmal erläutert. Dem ist eigentlich nicht viel hinzuzufügen. Das ist der Ausgangspunkt des sich vollziehenden Paradigmenwechsels, der - und das muss zur Ernüchterung aller Werbetreibenden festgehalten werden - es Marketingverantwortlichen und rein auf Kreativität beschränkten Werbern künftig nicht einfacher machen wird. Sie all stehen in der Pflicht, Konsumenten das Produkt und das Umfeld zu bieten, das mit den Werten der Marke und des gesamten Unternehmens harmonisiert. Eingriffe in die Produktentwicklung, die Unternehmenskultur und die Konsumentenbeziehung werden dabei nicht nur in Kauf genommen, sondern sind vorprogrammiert und sollten schon allein deswegen zentraler Bestandteil der Unternehmensplanung sein.

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