"Der Rest der Welt wird wichtiger"

01.10.2008 - Mehr als 28.200 Einreichungen, über 10.000 registrierte Besucher und fast 600 vergebene Löwen - so groß wie dieses Jahr wurde in Cannes noch nie gefeiert. ONEtoONE sprach mit Cannes-CEO Philip Thomas bei der Europa-Premiere der Cannes-Rolle in Hamburg über die Zukunft des internationalen Werbefestivals.

Sie wurden 2006 zum CEO der Festivals Cannes Lions, Eurobest und Dubai Lynx ernannt. Welche dieser Veranstaltungen ist Ihr Favorit?Philip Thomas: Der Vergleich ist schwierig. Cannes ist international: Dieses Jahr waren 95 Nationen vertreten und die Veranstaltung ist seit 55 Jahren eine feste Institution. Eurobest und Dubai Lynx sind dagegen neue, wichtige regionale Festivals. Nächstes Jahr wollen wir übrigens ein weiteres in Asien, Singapur, launchen.

Warum halten Sie die regionalen Festivals für wichtig?Philip Thomas: Global gesehen, hat der Wettbewerb deutlich zugenommen. Die Anzahl der Cannes-Löwen, die dieses Jahr nach Europa gegangen sind, ist deutlich rückläufig im Vergleich zu früheren Jahren. Der Rest der Welt wird wichtiger: Indien hat diesmal erstmals einen Grand Prix gewonnen, China erstmals einen Gold-Löwen. Katar, Vietnam, Puerto Rico und Costa Rica - all diese Länder haben zum ersten Mal gewonnen. Deshalb ist es Zeit für die europäischen Länder, sich untereinander mehr auszutauschen. Jeder sagt, Europa bildet eine Einheit, aber de facto haben wir dort doch eine Viefalt an Kulturen und Sprachen. Das kommt in einem eigenständigen Wettbewerb wie dem Eurobest viel besser zur Geltung. Aus demselben Grund haben wir das Dubai Lynx gestartet: Die Länder haben eine Menge kreatives Potenzial, das sie unter Beweis stellen wollen. Cannes ist global, die regionalen Festivals öffnen den Blick auf das Spezielle.

Wie hat sich das Cannes-Festival in den vergangenen Jahren mit Blick auf die Gewichtung von klassischer Werbung im Verhältnis zu den neuen Medien verändert - gibt es Kategorien, die wichtiger geworden sind als andere?Philip Thomas: Derzeit sagt jeder: Mobile ist sexy, vergiss alles andere! Doch man beachte die Einreichungen in Cannes: Von mehr als 28.000 Arbeiten kamen lediglich 69 aus dem Mobile-Bereich. Was mir klar sagt: Über Mobile wird zwar viel geredet, aber wenig gemacht. Es heißt oft, die Klassik stirbt, aber das stimmt nicht. Nicht das Internet hat Priorität, sondern integrierte Kommunikation als solche. In einigen Ländern ist das Web extrem wichtig, in anderen nicht. Nehmen wir den Nahen Osten - dort ist Online-Werbung noch wenig populär. Ich sage, keine Kategorie ist wichtiger als eine andere.

Darf man auf Veränderungen beim Cannes-Festival im kommenden Jahr gespannt sein?Philip Thomas: Ja. Wir werden Public Relations als neue Kategorie launchen, denn Cannes wächst: Was eigentlich als ein Werbefilmfestival begonnen hat, hat sich als vielfältiges Kommunikationsfestival etabliert. Außerdem werden wir strenger sein als je zuvor, was die Formalitäten betrifft. Wer die Einreichungskriterien nicht genau befolgt, hat keine Chance auf einen Löwen. Der dritte Punkt: Wir wollen den Nachwuchs stärker einbeziehen - deshalb bemühen wir uns um mehr Kooperation mit Universitäten.

Dieses Jahr brach die Zahl der Einreichungen alle Rekorde. Ist dies ein Indiz dafür, dass das Festival nicht nur bei Agenturen, sondern auch in der Industrie insgesamt an Bedeutung gewinnt?Philip Thomas: Auf jeden Fall! Vor ein paar Jahren kam nur eine Hand voll Kundenunternehmen nach Cannes. In diesem Jahr hatten wir mehr als 350. Jahrelang haben Unternehmen Cannes als ein Festival gesehen, bei dem sich eine Menge Kreativer gegenseitig feiern. Heute kommen Unternehmen, weil die Marktforschung und die Betriebswirtschaft sie zu der Erkenntnis bringen: Das Einzige, was wirklich Ausschlag über Erfolg oder Misserfolg gibt, ist Kreativität in der Werbung. In Cannes suchen sie nach kreativen Durchbrüchen. Procter & Gamble hat damit vor ein paar Jahren begonnen, und alle haben sich gefragt: Was wollen die in Cannes? Und P & G hat gesagt: Wir wollen hier etwas lernen. Und dieser Lernprozess ist dem Rest der Welt durchaus nicht entgangen.

Lee Clow, der CCO von TBWA, hat vor einigen Monaten angeregt, dass es einer kreativen Revolution in der Werbung bedürfe, da Werbung bislang nicht ausreichend als Kunst gewürdigt werde. Er kündigte deshalb an, ein weiteres internationales Werbefestival zu starten. Ist das notwendig?
Philip Thomas: Notwendig? Nein. Einmal im Jahr gibt es einen fixen Termin im Juni in Cannes - das ist das Datum, an dem sich die Welt trifft, um sich ausführlich mit Werbung und Kommunikation auseinander zu setzen.

Nach 20 Jahren wird der Eurobest erstmals als richtiges, dreitägiges Festival ausgetragen - Ende des Jahres in Stockholm. Warum wurde die schwedische Hauptstadt für dieses Event gewählt?Philip Thomas: Beim Eurobest liegen viele Themenschwerpunkte auf Digital - und Schweden hat einige der besten Interactive-Agenturen der Welt. Außerdem wollten wir einen absoluten Gegensatz zu Cannes schaffen: Der Eurobest findet im Winter statt, in einem Land voller Eis und Schnee.

Deutschland hat diesmal im Vergleich zu den Vorjahren in den Kategorien Direct und Cyber nicht gut abgeschnitten. Kann man hier von einem Abwärtstrend sprechen, oder war die Jury zu streng?Philip Thomas: Keins von beidem. Es ist gefährlich, ein Jahr isoliert zu betrachten und darauseine Schlussfolgerung zu ziehen. Wenn es drei Jahre am Stück schlecht laufen würde, dann könnte man von einem Trend sprechen. Ansons-ten gab es vielleicht diesmal einfach nicht die entsprechenden Möglichkeiten für Deutschland, in diesen Kategorien etwas so Großes zu reißen wie etwa mit Ron Hammer oder Horst Schlemmer im Vorjahr. Was ich mir von Deutschland für nächstes Jahr allerdings wünsche, sind mehr Repräsentanten vor Ort: Deutschland hatte nach den USA die meisten Einreichungen, aber nur 350 Deutsche kamen nach Cannes. Im Vergleich: Aus Großbritannien kamen 600 Leute. Ich kann deutschen Agenturen nur raten: Wenn ihr könnt, dann kommt - und schickt vor allem euren Nachwuchs nach Cannes!

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