29.12.2005 - Das Image von Call-Centern ist miserabel. Die Branche versucht deshalb, einen Weg zu einer angemessenen Wahrnehmung in der Öffentlichkeit zu finden.
Wenn ich erzähle, wo ich arbeite, dann ist die Reaktion immer dieselbe", sagt Thomas-Marco Steinle. "Die Leute sind entsetzt und erzählen sofort Horrorgeschichten, die sie von irgendwelchen Bekannten gehört haben." Steinle ist seit anderthalb Jahrzehnten in der Call-Center-Branche tätig, derzeit als Geschäftsführer des Call-Center-Betreibers ADM in Berlin. Wie ihm geht es vielen Kollegen. Wer nicht nur übergangsweise dort arbeitet, nimmt den Begriff Call-Center lieber nicht in den Mund. Das Image der Branche ist - vorsichtig ausgedrückt - nachhaltig ramponiert.
Auf den ersten Blick nicht ganz ohne Grund. Immer wieder ist in den Publikumsmedien davon die Rede, wie schlecht Call-Center-Mitarbeiter mit Endkunden umgehen. "Diskriminierende Warteschleifen", "Abzocke am Telefon", "Arglistige Täuschung", "Einschüchterung älterer Menschen" lauten häufig die Schlagworte. Jüngster Fall: Kabel Deutschland (Seite 12). Deutschlands größter Kabelnetzbetreiber hat offenbar zahlreiche Hamburger zunächst per Mailing und dann via Call-Center aufgefordert, Kabelgebühren zu zahlen oder einen Decoder zu kaufen - auch wenn sie gar keine Kunden des Unternehmens waren. Nach Recherchen des "Hamburger Abendblatts" wurde Einzelnen am Telefon sogar damit gedroht, nach und nach sämtliche Fernsehprogramme abzuschalten.Matthias Winter, Sprecher von Kabel Deutschland, erklärt den Fauxpas mit einem "Datenbankfehler". Das Unternehmen verfüge zwar über ein eigenes Call-Center, arbeite aber auch mit einem externen Dienstleister zusammen. Und dort, beim Externen, sei nun mal der bedauerliche Fehler aufgetreten. Man habe sich bei den Kunden entschuldigt und den Schaden behoben. Den Unternehmensnamen des beauftragten Call-Centers will Winter übrigens nicht verraten.
ADM-Chef Steinle hält dieses Verhalten grundsätzlich für falsch. "Wir müssen endlich Ross und Reiter nennen - die schwarzen Schafe identifizieren und der Öffentlichkeit preisgeben", fordert er. Grund: Es könne doch nicht sein, dass einige wenige schlechte Dienstleister das Bild einer ganzen Branche prägten. Die in die Öffentlichkeit getragenen Fälle seien absolute Ausnahmen.
Allerdings publikumswirksame Ausnahmen. Die "Stern"-Titelgeschichte über Call-Center ist allen noch in Erinnerung (ONEtoONE 11/05). Von technischen Schikanen, Kundenab zocke, inkompetenten Agents, miesen Arbeitsbedingungen und aggressivem Geschäftsgebaren war dort zu lesen. In dieses Öffentlichkeitsbild passt auch eine aktuell vor dem Landgericht Bonn anhängige Klage der Verbraucherzentrale Bundesverband (VZBV) gegen die Deutsche Telekom. Betroffene hatten den Verbraucherschützern gleichlautend von unerbetenen Anrufen im Auftrag der Deutschen Telekom berichtet, mit denen sie als Kunden für einen angeblich günstigeren Telefontarif geworben werden sollten. Bei Ablehnung wurde den Kunden die Zusendung von Infomaterial angeboten, um das Angebot in aller Ruhe prüfen zu können. Statt bloßer Information erhielten sie allerdings eine Auftragsbestätigung, obwohl sie ausdrücklich keine Zustimmung zu einem neuen Vertrag erteilt hatten. Erst vor ein paar Wochen zitierte das ARD-Politmagazin "Panorama" Verfahren, wie weniger zahlungskräftige Anrufer im Call-Center über die Telefonnummer in der Kundendatei identifiziert und in die kostenpflichtige Warteschleife geschickt werden. Geschäftsmodelle, wonach Kunden zunächst über vermeintliche Gewinne informiert werden, die sie dann unter einer 0190er Nummer anmelden sollen und dann so lange mit Musik berieselt werden, bis mehrere Euro den Besitzer wechseln, sind ebenfalls in aller Munde.
Anne Stahl-Weiß, Chefin von Viafon, kann die Negativbeispiele schon nicht mehr hören. "Schwarze Schafe gibt es doch in jeder Branche", sagt sie. "Man muss sich nur einmal vorstellen, was wäre, wenn wir keine Call-Center hätten." Von der Zeitungsumbestellung über die Telefonseelsorge bis hin zu medizinischer Beratung: "Jeden Tag finden 20 Millionen Kontakte mit Call-Centern statt", sagt Stahl-Weiß. In der Branche seien bald 400.000 Menschen tätig. Deren Arbeit müsse doch anerkannt werden. Statt in die Defensive geht die Viafon-Chefin lieber in die Offensive und fordert von der Bundesregierung die Liberalisierung des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG): "Das UWG, so wie es jetzt ist, brauchen wir nicht." Im Kern geht es ihr darum, die Kontaktaufnahme mit Neukunden zu erleichtern.
"Wenn wir keine Neukundenwerbung mehr machen dürfen, bricht ein ganzer Wirtschaftszweig zusammen", ergänzt Ralf Tiedemann, Geschäftsführer des Hamburger Call-Centers Getaline. Genau wie Stahl-Weiß glaubt er nicht, dass schwarze Schafe mit scharfen Gesetzen bekämpft werden könnten.
Tiedemann sorgt sich eher um die "grauen Schafe". Jene, die zwar qualifizierte Dienstleistung anbieten, aus Kostengründen aber auch Lotterien zu ihren Kunden zählen. "Es gibt halt genug Überkapazitäten", sagt Tiedemann. "Solche Projekte nehmen auch die Branchenführer an. Das will bloß niemand zugeben." Tiedemann arbeitet mit Lotterien zusammen und weiß dabei sehr wohl, dass dieses Geschäft immer mal wieder in die Kritik gerät.
Noch einen Schritt weiter als Anne Stahl-Weiß und Ralf Tiedemann geht Matthias Massier. Der Direktor des Geschäftsbereichs Telegate Call-Center-Services sagt klipp und klar: "Die Branche muss sich selbst regulieren." Strengere Gesetze schadeten dem Standort Deutschland und schützten den Verbraucher nicht vor Missbrauch.Tausende neue Stellen möglich Manfred Stockmann, Präsident des Branchenverbands Call Center Forum Deutschland (CCF), ist zwar nicht der Meinung, dass hierzulande durch das UWG Arbeitsplätze verloren gehen, glaubt aber, dass bei liberaleren Gesetzen "ein paar tausend Stellen" zusätzlich geschaffen werden könnten. Zum Vergleich: In Deutschland arbeiten laut Stockmann 1,2 Prozent der erwerbstätigen Bevölkerung in Call-Centern; in Großbritannien sind es 3,5 Prozent. Anders ausgedrückt: In Deutschlands Call-Centern sind 350.000 Agents zu finden, in Groß britannien eine Million.
Dennoch gilt auch in Deutschland die Call-Center-Branche insgesamt als Jobmotor. In fünf Jahren, schätzt Stockmann, dürfte die Zahl der Beschäftigten in diesem Bereich auf 500.000 angewachsen sein. Der Verbandspräsident geht pro Jahr von einem Beschäftigungswachstum von etwa zehn Prozent aus. Das jährliche Umsatzwachstum beziffert er mit sechs bis sieben Prozent - "vorausgesetzt, die Branche erweist sich als lernfähig".
Stockmann: "Wir müssen unsere Vorteile plakativer darstellen." Wer zum Beispiel bei der Bahn telefonisch eine Fahrplanauskunft einhole, müsse dafür zwar Geld bezahlen, spare aber auch die Zeit, die er früher auf dem Weg zum Schalter verloren habe. Dabei wüssten im Schnitt nicht einmal 50 Prozent der Anrufer oder Angerufenen, dass sie es mit einem Call-Center zu tun hätten.
Das relativ schnelle Wachstum der Call-Center-Branche hat aber auch seine Tücken. "Der Markt boomt", sagt Stockmann, "also denken viele, sie könnten hier rasch noch was mitnehmen. Die Zahl der schwarzen Schafe wird wohl eher noch zunehmen." Allerdings verweist der CCF-Präsident immer wieder darauf, dass die ungesetzlichen Telefonanrufe nur ein Prozent der täglich 20 Millionen Kundenkontakte ausmachten. Folgt man dieser Rechnung, sind das allerdings immer noch 200.000 nicht ganz saubere Anrufe jeden Tag. Das klingt nicht mehr ganz so drastisch, wenn man berücksichtigt, dass eine Anrufmaschine pro Stunde 100.000 Kontakte herstellen könnte und in Deutschland rund 50 Millionen Haushalte registriert sind.
Allen Zahlenspielen zum Trotz, die die Call-Center-Branche als Wachstumsmotor mit hohem qualitativen Potenzial darstellen, bleiben die Endkunden gegenüber dem nicht mehr wegzudenkenden Service skeptisch. "Es scheint, als hätten viele Contact-Center ihre Hausaufgaben nicht im Sinne ihrer Kunden gemacht: Die von den Verbrauchern ausgestellte Gesamtnote für Contact-Center-Leistungen ist eine vier plus (bei einer Benotung von eins bis sechs)." Das ist das Ergebnis des "Aspect Contact Center Satisfaction Index", der gerade in den USA veröffentlicht worden ist. Die Marktstudie vergleicht die Erfahrungen von Call-Center-Kunden in Nordamerika mit ihrer Erwartungshaltung. Befragt wurden mehr als 1.000 Endverbraucher und 150 Entscheidungsträger aus der Branche. Interessant: Während 23 Prozent der Verbraucher zu Protokoll geben, dass Gespräche mit Call-Centern hinter ihren Erwartungen zurückblieben, meinen 90 Prozent der Call-Center-Manager, dass sie die Erwartungen ihrer Kunden erfüllen.
Eine derart umfassende Studie ist auf dem deutschen Markt kaum zu finden. Eine repräsentative Umfrage des Software-Herstellers SER unter 500 Handels- und Dienstleistungsunternehmen kommt immerhin zu dem Ergebnis, dass die Verbraucher bei zwei von fünf telefonischen Kundenanfragen keine ausreichende Antwort auf ihre Probleme erhalten. Lediglich bei einem Viertel der Firmen konnten mindestens 80 Prozent der Kundenanfragen unmittelbar geklärt werden. Jedes fünfte Unternehmen schaffte es nur in 50 Prozent der Fälle, auf die Informationswünsche der Kunden korrekt zu antworten. SER führt die geringe Qualität in der telefonischen Kundenbetreuung darauf zurück, dass die Mitarbeiter in Call-Centern nicht über alle notwendigen Informationen verfügen. Weniger als jedes zehnte Unternehmen verfügt über elektronische Kundenakten, die auf Knopfdruck alle aktuellen und historischen Daten zum Kundenkontakt einschließlich der Brief- und E-Mail Korrespondenz enthalten. Bei zwei Drittel der Unternehmen werden die Kundendaten nicht regelmäßig aktualisiert.
Für die Verbraucherzentrale sind solche Zahlen auch ein Beleg mangelnden Vertrauens. Christian Fron czak, Sprecher der Verbraucherzentrale Bundeszentrale und derzeit besonders über die gerichtliche Auseinandersetzung mit der Telekom verärgert, behauptet sogar, ein Großteil der Outbound-Aktivitäten der Call-Center sei illegal. Er fordert deshalb eine Verschärfung des Datenschutzes. "Wir brauchen klare Gesetze", sagt Fron czak. "Unternehmen sollten Kundendaten nur weitergeben dürfen, wenn eine aktive Einwilligung vorliegt." Andernfalls müsse es spürbare Sanktionen geben. Der Verbraucherschützer hofft auf die neue Regierung, die in seinem Sinne Klarheit schafft.
Auf das schwarz-rote Kabinett in Berlin setzt auch die Call-Center-Branche. Wie manch einer richtig vermutet, allerdings mit einem ganz anderen Vorzeichen. Wie die Branchenvertreter im Gespräch mit dieser Zeitung deutlich machen, schränkt sie das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) zu sehr ein. Sie sind mehrheitlich der Meinung, dass die geplante EU-Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken (UCP-Directive) liberaler ist und unlautere Werbung nur erkennt, wenn die Einwilligung des Angerufenen fehlt und(!) - im Unterschied zum deutschen UWG - die Kontaktaufnahme wiederholt stattfindet. Außerdem sehen Juristen wie der Hamburger Medienanwalt Dr. Stefan Engels von der Kanzlei Lovells in der geplanten EU-Richtlinie auch die Möglichkeit zur Einrichtung von Selbstkontroll instanzen (ONEtoONE 02/05).
Diesem Begehren hat die Bundesregierung nach einer Anfrage von ONEtoONE allerdings eine klare Absage erteilt (siehe Dokumentation unten auf dieser Seite). "Maßnahmen der Selbstregulierung erscheinen nicht geeignet, die Belästigungen in Grenzen zu halten", heißt es aus dem Bundesjustizministerium mit Brigitte Zypries (SPD) an der Spitze, "da das Telefonmarketing erfahrungsgemäß gerade auch von Unternehmen mit sehr aggressiven Werbemethoden genutzt wird, die sich von einer Selbstkontrolle kaum beeindrucken lassen würden." Patrick Tapp, Vizepräsident des Deutschen Direktmarketing Verbands (DDV), will sich zwar gleich im neuen Jahr mit einem Schreiben direkt an Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) wenden, dürfte nach dem Abwinken aus dem Justizressort aber kaum offene Türen einrennen.
Wem Verbraucherschützer illegale Handlungen unterstellen und wem der Gesetzgeber aggressive Methoden attestiert, dem kann nur geraten werden, die Flucht nach vorn anzutreten - um das Ansehen bei den Kunden und damit letztlich auch bei der Regierung zu verbessern. Und genau das haben die Call-Center-Betreiber vor. Sie starten 2006 nicht nur eine Qualifizierungsoffensive (Bericht und Infokasten Seite 10), sondern auch eine Image-Kampagne in eigener Sache.
"Wir haben es offensichtlich versäumt, zum Beispiel Journalisten mit ausreichend Informationsmaterial zu versorgen", räumt Anne Stahl-Weiß (Viafon) ein. Nach Angaben von Patrick Tapp will der DDV daher künftig stärker das Gespräch mit Pub likumsmedien suchen. ADM-Chef Thomas-Marco Steinle geht bei der Fehlersuche noch weiter ans Eingemachte: "Anstatt eine transparente Kommunikation aufzubauen, haben wir uns viel zu lange und viel zu sehr mit uns selbst beschäftigt." Steinle empfiehlt, die Kunden in die Call-Center einzuladen. Der Tag der offenen Tür bei den Call-Center-Tagen in Berlin-Brandenburg hätte Tausende Besucher angelockt.
Patrick Tapp reichen diese Maßnahmen noch nicht. Der DDV-Vize will im beginnenden Jahr Anzeigenserien schalten, die analog zu der Forderung von CCF-Präsident Stockmann die Vorteile von Call-Centern aufzeigen. Die PR-Beraterin Nana Schulze sei bereits beauftragt, ein entsprechendes Konzept zu erarbeiten.
Bessere Ausbildung, bessere Öffentlichkeitsarbeit, bessere Presse: "Alles schön und gut", sagt Thomas-Marco Steinle. "Man darf aber auch nicht vergessen, dass die Möglichkeiten des DDV begrenzt sind." Von der Beschäftigung mit sich selbst einmal abgesehen, mangele es dem Verband an Geld. "Die Verbraucherschutzverbände geben jedes Jahr 20 Millionen Euro aus", meint der ADM-Geschäftsführer. "Und wir bräuchten für eine gute Kampagne mindestens vier bis fünf Millionen Euro." Aber dafür werde es beim DDV wohl nicht reichen.
Den Optimismus - auch dies ja ein fester Bestandteil der Branche - wollen sich die Telemedien-Dienstleister dennoch nicht ausreden lassen. Oder wie Patrick Tapp es nicht ohne Ironie ausdrückt: "Die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt." te
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