04.08.2005 - Ungewissen Zeiten sehen Unternehmen entgegen, die in Deutschland vom Postverteilen leben.
Ist die Zukunft etwa schon da? Ist das der neue Postmarkt? Bis Ende 2004 hatten die so genannten alternativen Zusteller dem gelben Riesen im deutschen Briefgeschäft gerade mal fünf Prozent vom Markt abgetrotzt: ganze 500 Millionen von rund zehn Milliarden Euro. Von effektivem Wettbewerb könne derzeit keine Rede sein, urteilt auch die Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post (RegTP) in ihrem aktuellen Jahresbericht.
Der neue Postmarkt: "Explodiert ist er nicht", resümierte kürzlich Rudolf Pfeiffer, Vorsitzender des Bundesverbands der Kurier-Express-Post-Dienste (BdKEP), auf den Mailingtagen in Nürnberg. Und obwohl der Briefmarkt nach Ansicht von Experten mittlerweile "ganz gut funktioniert", gilt dies erst recht für den Bereich Direct Mail.
Dabei hat die Deutsche Post (DPAG) mittlerweile eine beachtliche Zahl an Mitbewerbern. 1.800 Lizenzen erteilte die RegTP seit 1998, immerhin 1.100 Briefdienste befördern tatsächlich Briefe unter 50 Gramm - vornehmlich mit höherwertigen Diensten, in der Postzustellung für Behörden (PZA) oder im zurzeit viel diskutierten Bereich der Konsolidierung.
Für die Zustellung eines normalen Briefs nehmen die Privaten im Durchschnitt 42 Eurocent - einige nur 34 - was immer noch zu viel ist für den Werbebrief. Doch um den marktbeherrschenden Infopost-Tarif der DPAG von 22 Cent zu toppen, fehlen schlicht die Mengen. "Der Infopost-Tarif ist im Grunde nur ein Deckungsbeitrag", sagt Rudolf Pfeiffer, "so was kann kein privater Dienst zu diesem Preis leisten."
Konsequenz: "Die Briefdienste stellen sich auf regionalen Versand ein", berichtet Mario Beier von der WVD Mediengruppe, die in Sachsen flächendeckend Post verteilt. Bei der bundesweiten Zustellung hadern die Privaten dagegen mit hohen Lizenzauflagen, fehlender Koordination, unterschiedlichen Qualitätskriterien und Preissystemen sowie den häufig vagen Gebietsabgrenzungen der Regional- und Lokalmatadore.
Einzig die Tochter der niederländischen TPG (seit April TNT) EP Europost in Hannover positioniert sich derzeit mit der Perspektive, ein zweites bundesweites Netz aufzubauen. "Bundesweiter Zustellservice braucht eine zentrale, operative und Management-Plattform, hier sehe ich die Rolle der EP Europost", sagt Vorstandschef Axel Elgseer. "EP Europost gibt den lokalen Diensten die Volumen, die sie im lokalen Markt nicht akquirieren können."
Briefeschreiben bleibt Trend
An der Basis verteilen die Zusteller der Otto-Tochter Hermes, lokale Briefdienste und einige TPG-Zusteller. Derzeit erreicht das Unternehmen rund 72 Prozent der Haushalte, bis 2006 sollen es alle 38 Millionen Privatadressen in Deutschland sein. Die Chancen stehen gut. Nach Ansicht von Branchenbeobachtern kommt das Briefeschreiben genauso wenig aus der Mode wie das Papierverbrauchen in elektronisch vernetzten Büros. "Bis dato wächst das Briefvolumen seit Mitte der 90er Jahre kontinuierlich, und zwar vor allem im Mailing-Bereich. Es stagniert im Segment der Korrespondenz und schrumpft bei Transaktionen", berichtet Christoph Stehmann vom Post-Zulieferer Pitney Bowes. "Im Brief steckt noch viel Potenzial. Kein Medium erreicht täglich und zielgenau so viele Menschen", sagt Reinhard Pranke, Vorstandsmitglied Brief bei der Deutschen Post.
Laut DPAG-Geschäftsbericht 2004 fiel die Substitution der Briefkommunikation durch elektronische Medien wie E-Mail und SMS denn auch "moderat" aus. Vor allem beim Mailing-Versand hängt die weitere Entwicklung allerdings von den Spielräumen der Versender und von den Preisen ab.
Auch auf dem neuen Postmarkt könnte nach Ansicht von Experten vieles beim Alten bleiben. Branchen-kenner gehen davon aus, dass die etablierten Universaldienstleister ihre dominierende Stellung in den meisten europäischen Märkten auch nach der Aufhebung aller Exklusivlizenzen verteidigen werden. Den Experten von Nera Economic Consulting zufolge haben die Neuen nur begrenzte Chancen - angesichts exzellenter Infrastruktur und hoher Markenpräsenz der ehemaligen Monopolisten. "In speziellen Segmenten können sich Wettbewerber etablieren, doch bisher haben sich die jeweiligen Universaldienstleister überall behauptet", so Eugen Pink vom DPAG-nahen Bundesverband Deutscher Postdienstleister (BVPD). Im Jahr 2010 werden die alternativen Dienste seiner Einschätzung nach nicht mehr als 25 Prozent des Briefmarkts gewonnen haben.
Womit sich durchaus profitabel arbeiten lässt. "Die lokalen Anbieter werden sich zunächst weiter formieren und durch Zusammenschlüsse ihre Position ausbauen", meint Oliver Schleiss von der französischen La Poste.
Verlage am Start
Am besten aufgestellt sind daher die großen Zeitungsverlage, die ohnehin seit Jahrzehnten die Hausbriefkästen ihrer Abo-Kunden abklappern. Schließlich werden rund 80 Prozent aller Briefe regional zugestellt. 1.500 Zusteller der Süddeutschen Zeitung verteilen Post in und um München, die Ostsee-Zeitung kooperiert zum selben Zweck mit der Schweriner Volkszeitung und dem Nordkurier, und die hannoversche Madsack-Tochter Citipost befördert mittlerweile 17 Millionen Briefe im Jahr. Die Schwäbische Verlagstochter Südmail, die vor fünf Jahren in Friedrichshafen als "Stadt Express Today" gestartet war, stellt heute mit fünf festen und rund 1.800 freien Mitarbeitern überall dort Briefe zu, wo die Postleitzahl mit 88 beginnt. "Die Tendenz zur Zusammenarbeit bei den Verlagen ist da", sagt Verlagsgeschäftsführer Udo Kolb. "Jetzt geht es um die Ausgestaltung." Um diese ringen seit Jahren die Großverlage Axel Springer, Holtzbrinck und der WAZ-Konzern beim Aufbau einer "zweiten Deutschen Post". Nach Expertenschätzung könnten sich in Deutschland mittelfristig ein oder sogar zwei deutschlandweite Zusteller neben der DPAG etablieren - wie bei den niederländischen Nachbarn schon geschehen.
Gesucht: neue Geschäftsmodelle
"Liberalisierung nützt Kunden und Unternehmen", meint selbst Reinhard Pranke von der DPAG. "Kunden erhalten eine größere Auswahl an Postdiensten und Dienstleistern, und für Unternehmen eröffnen sich neue internationale Marktchancen." Auf der Suche nach neuen Ertragsquellen im Briefgeschäft stoßen die Fantasien der Akteure derzeit jedoch schnell an Grenzen. "Nur günstiger zu sein als die DPAG ist schließlich noch kein Geschäftsmodell", sagt Rudolph Pfeiffer vom BVdKEP.
Doch in der Praxis versuchen die meisten genau dies. "Bereits jetzt zeichnet sich ein problematischer Preisverfall ab", sagt Mario Beier vom WVD. "Standardbriefe werden zum Teil für 25 Cent angeboten. Zu diesem Preis ist Zustellqualität nicht dauerhaft und flächendeckend zu garantieren."
Ohnehin hat esdie DPAG allzu leicht, sich gegenüber den Privaten als Qualitätsführer und Premiumanbieter zu profilieren. Laut Elmar Müller vom Deutschen Verband für Post und Telekommunikation (DVPT) ist die anfängliche Begeisterung der Dienstleister und Kunden bereits vielfach verflogen. "Die Qualitätsprobleme sind offensichtlich, selbst bei Netzwerken", räumt Müller ein. "Wenn Sie unter 20 Partnern nur einen haben, der Ihren Namen ruiniert, dann haben Sie verloren!" Für Schlagzeilen sorgte erst kürzlich der Frankfurter Zusteller Postmodern, der mangels Know-how an der Zustellung von Behördenpost im Rhein/Main-Gebiet scheiterte. Die Briefe waren wochenlang unterwegs, viele kamen zurück. Anfang Juli verkaufte die Muttergesellschaft, der Logistikkonzern Fiege, das Unternehmen an die Osnabrücker Firma Bridgetec. Ein Rückschlag für die gesamte Zunft.
Wo tatsächlich neue Ertragsquellen liegen, ist derzeit unklar. Dass der liberale Markt neue Produkte und Services zutage fördert, gehört in der Branche zum Bildungskanon. Wie diese aber genau aussehen, darüber gehen die Meinungen auseinander. Als heißester Tipp gilt derzeit die termingerechte Zustellung, die dem Absender ein gezieltes Nachfassen erlaubt - im Gegensatz zur Infopost-Lösung, mit der inhaltsgleiche Sendungen durch die Deutsche Post lediglich binnen vier Tagen zugestellt werden.
"Echte Unterscheidungsmerkmale können die Unternehmen erst nach 2008 entwickeln", meint Rudolph Pfeiffer. Die Möglichkeiten im Postmarkt seien eingeschränkt, meinen die einen. "Letztlich geht es darum, eine Sendung von A nach B zu befördern", sagt Axel Eglseer von EP Europost.
Mehrwertdienste im Fokus
Ganz im Gegenteil, meinen die anderen. "Es geht überhaupt nicht darum, den Brief von A nach B zu tragen, sondern um die Frage, wie der Kunde seine Auftragszahlen hochbekommt", so Christoph Stehmann vom Postdiensteausrüster Pitney Bowes.
Dieser Maxime folgend entwickelt etwa die Deutsche Post derzeit Systemlösungen rund um den Brief für ihre Business-Kunden. "Wir bieten zahlreiche branchenspezifische Dialoglösungen für unterschiedliche Ziele der Unternehmen, von Neukundengewinnung über Kundenbindung bis hin zur Kundenentwicklung", berichtet Pranke.
Das Unternehmen baut seine Kompetenzen im Bereich Adressenmanagement und Zielgruppenselektion aus, konzipiert Kampagnen, druckt die Mailings, wertet den Response aus und erledigt das Fulfillment. Der Trend geht zum Outsourcing. "Wir nehmen unseren Kunden volständige Prozessketten ab", so Pranke. Ganz am Ende stellt die DPAG dann auch noch den Brief zu.
Auch Springer-Tochter Punkt Direkt setzt auf zusätzliche Services. "Wir wollen durch Added Values überzeugen - etwa besondere Gewichtsklassifizierungen oder Track and Tracing", sagt Rolf Schlosser. Auch Lettershop-Funktionen hat der Verlagsspezialist im Visier. "Vor allem im Dokumenten-Management für regionale Kunden ist noch Musik drin." Den Lettershops, die zurzeit mit steigendem Aufwand für Individualisierung und Personalisierung bei sinkenden Auflagen kämpfen, eröffnen neue Document-Management-Technologien auch neue Perspektiven im Versand. Lettershops verlegen sich zunehmend auf die dezentrale Produktion, Kuvertierung und Einlieferung bei der DPAG, berichtet Rudolph Pfeiffer. "Es ist sehr lukrativ, 83 Briefdienste zusammenzubekommen, um bei 83 Briefzentren einzuliefern." Die DPAG biete in diesem Fall Rabatte von bis zu 21 Prozent bei Mindesteinlieferungsmengen von nur 500 Stück.
Wer dagegen gesammelte und vorsortierte Sendungen bei nur einer Großannahmestelle der Deutschen Post einliefern, also konsolidieren will, macht damit praktisch keine Gewinne mehr. Der so genannte Teilleistungszugang zum Netz der DPAG, der seit Wochen die Schlagzeilen der Fachpresse dominiert, spielt im Alltag der Postdienste fast keine Rolle. "Konsolidierung funktioniert nur unter großen Vorbehalten", sagt Mario Beier. Nach wie vor krankt das Modell an der Mehrwertsteuerbefreiung der DPAG und an der bestehenden Rechtsunsicherheit. Erstere macht die eventuell durch Rabatte zu erzielenden Preisvorteile der Konsolidierer wieder zunichte.
Konsolidierer leben gefährlich
Letztere behaftet das Geschäftsmodell mit hohen finanziellen Risiken; denn was mit dem deutschen Postgesetz offenbar vereinbar ist, verstößt unter Umständen gegen europäisches Recht, das die Konsolidierung nicht eigens geregelt hat. Wer Pech hat, zahlt die Rabatte in ein bis zwei Jahren an die DPAG zurück. "Zurzeit ist überhaupt nicht absehbar, ob sich Konsolidierung als Geschäftsmodell durchsetzt oder weitere Netze entstehen", meint Rudolph Pfeiffer.
Führende DM-Dienstleister schießen sich unterdessen auf das Modell Genossenschaft ein. Ende vergangenen Jahres haben einige Mitglieder des DM-Dienstleisters GHP in Bamberg die Briefgenossenschaft Deutschland eG gegründet, die die Sendungen ihrer Mitglieder bündelt und in den Großannahmestellen der DPAG einliefert. Im April dieses Jahres zog die Bertelsmann-Tochter Arvato nach und hob die Brief Union aus der Taufe. Für fünf Euro Mitgliedsbeitrag im Monat wird bei GHP auf hauseigenen Maschinen vorsortiert und durchnummeriert, nach Abzug aller Kosten werden den GHP-Kunden immerhin bis zu acht Prozent Porto zurückerstattet.
Visionen sehen anders aus. Doch möglicherweise beginnt die Zukunft ja am 1. Januar 2008. asc
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