Das Letzte
30.03.2005 - Möhlmann im April
Jung war ich, ein berühmter Schriftsteller wollte ich werden. Ein Haus auf einer Karibikinsel, eine dicke Limousine, einen Nobelpreis, nun ja, was man sich eben so als junger Bursche unter Glück, Glanz und Ruhm vorstellt. Die Realität sieht zurzeit anders aus: Ich muss Kataloge für Versandhäuser betexten. Das ermöglicht mir zwar auch das ersehnte Haus am Meer, allerdings nur für 14 Tage im Jahr, auf Amrum, um genau zu sein. Okay, in der Nebensaison, was soll´s ...
Wenn Sie Kataloge für Versandhäuser betexten, erhalten Sie in der Regel Fotomaterial und die relevanten Fakten. Viskose, Baumwolle, Polyamid und Seide, das ist Ihr Grundwortschatz, damit müssen Sie arbeiten. Und wenn Sie noch keinerlei Erfahrung als Texter besitzen, werden Sie sich zunächst unweigerlich von den fotografischen Eindrücken leiten lassen.
Ich erinnere mich gut daran, wie mein erster Textentwurf abgeschmettert wurde. "Eine tolle Frau ist das", schrieb ich seinerzeit neben das Bild einer Frau im Bikini. Aber relativ schnell lernte ich dann, dass es die Wirkware ist, die im Mittelpunkt der Textarbeit zu stehen hat. Und so hämmerte ich recht bald Sätze wie "Waterbra-Bikini. Die weichen herausnehmbaren Kissen sind mit einer Emulsion aus Wasser und Öl gefüllt" flüssig in die Tastatur und verkniff mir persönliche Bemerkungen wie "Was es nicht alles gibt!"
Mittlerweile geht der Trend ja zum Magalog beziehungsweise dahin, Produktofferten mit einer gewissen Emotionalität auszustatten. "Storytelling" lautet das Stichwort, was bedeutet, dass man über spannende und unterhaltsame Geschichten beim Kunden unbändige Lust auf das Produkt erzeugt. Ich möchte das mal an einem Beispiel verdeutlichen:"Was ist das? Ein Waterbra-Bikini?", fragte John. "Ja", erwiderte Ruby und griff nach dem Kleidungsstück. Aber John war an diesem Abend sehr ausgelassen. "Hol´ ihn dir doch!", lachte er und wedelte mit dem Bikini frech vor Rubys Nase herum. "Vorsicht!", rief sie, "die herausnehmbaren Kissen sind mit einer Emulsion aus Wasser und Öl gefüllt!" Übermütig verbog John die Formbügel. "Hör auf damit, der hat 35,99 gekostet", mahnte Ruby. Sie ärgerte sich, vielleicht hätte sie doch besser ein schlichtes Oberteil im Karodruck mit kontrastfarbener Paspel bestellen sollen ...
Wie finden Sie das? Liest sich doch irgendwie ganz flott, oder? Wie auch immer, jetzt muss ich nur noch schnell ein paar Herrenartikel betexten, das geht fix, denn Männer wollen keine Geschichten, die wollen Fakten, da kann man Hemd und Hose einfach beim Namen nennen. "Kapuzen-Sweatshirt mit Kängurutasche und elastischen Bündchen an Ärmeln und Saum. 70 % Polyester, 30 % Baumwolle, innen angeraut. Maschinenwäsche." Was denn, Sie meinen, dass auch Männerprodukte durchaus etwas Gefühl vertragen? Na gut, also: " ... innen kuschelweich angeraut." Brief und Siegel: Das reicht an Emotionen!
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