Open Source: Chance oder Risiko für CRM-Anwender?

27.08.2004 - Geplante EU-Richtlinie zu Software-Patenten verunsichert die Branche

Open Source Software (OSS) ist hip: Seit der OSS-Pionier Linus Torvalds den Giganten Microsoft herausfordert und die Stadt München ihren Rechnerbetrieb auf Linux umstellen will, ist die so genannte Freie Software in aller Munde. Zunehmend drängen auch CRM-Anbieter in den Wettbewerb, die sich neben Siebel & Co eine Nische auf dem Wachstumsmarkt erhoffen. Die Freude über den günstigen Einstieg ins professionelle Relationship-Management trübt derzeit nur eines: die drohende EU-Richtlinie zu Software-Patenten.

"CRM ist momentan ein großes Thema, und das merken auch die Open-Source-Anbieter", sagt Hansjörg Schmidt, Marketingleiter der OSS-Schmiede Wice in Hamburg. Seit Anfang August hat er zwei neue Mitbewerber, die mit neuen Open-Source-Lösungen auf den CRM-Markt drängen: Die Schweizer CRIXP Corporation hat den Prototypen ihrer lizenzfreien Software openCRX gelauncht, mit der sie den Etablierten die Stirn bieten und auf dem Mietmarkt für Kundenmanagementsysteme Fuß fassen will. Das Programm kann Englisch und Deutsch, der Zugang zu allen Kundendaten erfolgt via Web.

In den USA haben unterdessen drei CRM-Experten aus dem Silicon Valley die SugarCRM.Inc gegründet und binnen weniger Monate nicht nur das OSS-Produkt Sugar.Sales entwickelt, sondern bereits an Tausende Kunden ausgeliefert. CRM-Experten aus aller Welt haben daran mitgeschrieben. Das Programm wurde komplett im Internet konzipiert, konstruiert und getestet. Anwender bekommen den Quell-Code mitgeliefert und können ihn in der Regel beliebig verändern, kopieren oder ergänzen. Sugar-Investor Josh Stein geht "fest davon aus, dass kommerzielle Open-Source-Software den etablierten Markt für Unternehmensanwendungen auf den Kopf stellen wird". Ralf Korb, Councilvorsitzender CRM beim Deutschen Direktmarketing Verband (DDV), ist weniger euphorisch, doch auch er glaubt, dass die OSS-Szene den Markt nochmal in Bewegung bringt: "Sogar Microsoft hat sich zehn Jahre Zeit damit gelassen, das Thema anzugehen."

Nicht nur in Redmond hat sich herumgesprochen, dass es für den Unternehmensalltag eine Reihe leistungsfähiger Produkte gibt, die den Siebels und Oracles dieser Welt nicht selten überlegen sind. "Gerade im Bereich der Commodity-Produkte wie für Server-Betriebssysteme, Web- und Applikations-Server oder Datenbanken macht es Sinn, Freie Software bei der Auswahl näher zu betrachten", argumentiert Stephan Richter, Geschäftsführer von freiheit.com technologies auf seiner Firmen-Website.

Der unmittelbare Vorteil liegt auf der Hand. Während viele Unternehmen nach der Anschaffung teurer CRM-Systeme mehr oder weniger geduldig auf den Return on Investment warten, tritt diese Frage bei OSS-Nutzern in den Hintergrund. Freie Software gibt es nicht umsonst, aber meist deutlich günstiger als das proprietäre Konkurrenzprodukt. Auch für kommerzielle OSS werden Gebühren fällig für Lizenzen, Installation, Schulung und Weiterentwicklung. Doch die so genannten Total Costs of Ownership (TCO) liegen meist deutlich unter dem, was Siebel & Co in Rechnung stellen. "Gegenüber einer großen Lösung reduzieren sich die Kosten um rund 60 Prozent," sagt Hansjörg Schmidt, Marketingleiter des Open-Source-Anbieters Wice in Hamburg.

Die meisten OSS-Produkte sind zudem Browser-basiert. Bei diesen CRM-Systemen fallen keine Kosten für Clients an, sondern nur für den Server. Und für weniger Geld gibt es mitunter mehr Komfort. Denn die Anbieter können ihre gesamte Kernkompetenz in den Service lenken, statt immer wieder neue Versionen ihrer Produkte auf den Markt zu werfen, um Umsätze zu generieren.

Sogar bei der Performance leistet OSS nach Ansicht von Experten mitunter mehr als die etablierten CRM-Produkte der Marktführer. "Unsere Erfahrungen und Gespräche haben gezeigt, dass es nicht nur wettbewerbsfähige Open-Source-Produkte gibt, sondern dass einige den etablierten Lösungen bei Leistung, Handling und Stabilität überlegen sind", sagt Ralf Korb. Proprietäre Software kann mitunter mehr im analytischen Bereich, also bei der Aufbereitung sehr großer Datenmengen. "Der Metro-Konzern, der täglich Millionen Kundendaten sammeln und analysieren will, wäre mit einer Open-Source-Lösung schlecht beraten", bestätigt Schmidt. Im operativen Bereich jedoch, wo es darum geht, den einzelnen Vertriebsmitarbeiter bei seinen Terminen und im Kundenkontakt zu unterstützen, sei der Mittelstand bei OSS gut aufgehoben. Schmidt: "Der Grundsatz 'Keep it simple´ erweist sich als der erfolgreichere Weg, weil damit bereits nach kurzer Zeit spürbare Verbesserungen erreicht werden können."

In puncto Sicherheit bringt Open-Source meist mehr Vor- als Nachteile mit sich. Das Betriebssystem Linux etwa gilt im Vergleich mit Windows als deutlich stabiler. "Wenn bei Linux mal Viren auftreten, setzt sich sofort irgendjemand hin und löst das Problem", sagt Schmidt. "Dass man wie bei Microsoft wochenlang zuschaut, wie irgendwelche Sicherheitslücken ganze Unternehmen lahm legen, das gibt´s im Open-Source-Bereich sicher nicht."

Selbst große Bankhäuser schalten Korb zufolge mittlerweile SAP und Siebel ab, um OSS-basierte, individuelle Lösungen einzuführen. Auf dem wachsenden CRM-Markt sehen deshalb auch Nachzügler noch Chancen. Den Marktforschern von IDC zufolge werden 2004 weltweit 11,4 Milliarden US-Dollar für CRM ausgegeben. Siebel werde seine Marktführerschaft zwar ausbauen, allerdings nicht auf dem Niveau der Jahre 2000 und 2001. Die fünf führenden Anbieter bedienen derzeit 44 Prozent des Marktes.

Dass sie das Feld kampflos räumen werden, ist angesichts zahlloser Klagen gegen die Verletzung von Software-Patenten in den USA nicht zu erwarten. Lizenzstreitigkeiten gehören dort zum Firmenalltag. Und auch die Stadt München hätte nach der Umstellung ihrer 14.000 Rechner auf Linux eine Flut von Patentklagen zu erwarten. Allein in den USA sind nach Einschätzung des US-Versicherers Open Source Risk Management 283 Patente angemeldet, die sich gegen Linux ins Feld führen ließen.

Ein Szenario, das auch in Europa droht: Sollte die vom EU-Ministerrat geplante EU-Richtlinie in Kraft treten, können nicht nur Open-Source-Anbieter, sondern auch Anwender mit Klagen überzogen werden. Wegen des unkalkulierbaren Risikos haben die Münchner Behörden ihr Linux-Projekt deshalb erstmal auf Eis gelegt. Die Open-Source-Branche fürchtet vor allem Trivialpatente, etwa die Möglichkeit, sich den Download an sich, den Doppelklick oder den Online-Einkaufswagen schützen zu lassen. "In diesem Fall würden sich die großen Unternehmen massenhaft kleine Patente sichern und damit handeln", meint Hansjörg Schmidt. "Dann gehen bei vielen mittelständischen Software- Unternehmen die Lichter aus." asc

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