E-Mail-Marketer diskutieren über die Whitelist

19.10.2004 - Umstrittene Initiative von DDV und eco

Das geplante Whitelist-Projekt der Branchenverbände DDV und eco hat in der E-Mail-Marketing-Branche völlig unterschiedliche Reaktionen ausgelöst. Während die großen Versender das Modell fast ausnahmslos begrüßen, gibt es auch kritische Stimmen, die sich an den Preisen stören und Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Aktion haben.

Der Direktmarketingverband DDV - als Vertreter der Versenderinteressen - und der Provider-Lobbyist eco wollen mit ihrer so genannten Positivliste dafür sorgen, dass erwünschte Werbe-Mails wie Newsletter stets ihre Empfänger erreichen. Hintergrund: Zurzeit bleiben bis zu 20 Prozent aller angeforderten Werbe-Mails in Spam-Filtern hängen, was den E-Mail-Marketern auf Dauer die Geschäftsgrundlage entzieht. "Spam ist zur größten Bedrohung für seriöses E-Mail-Marketing geworden", sagt der Vorsitzende des DDV-Council Digitaler Dialog, Martin Aschoff, der das Projekt auf DDV-Seite koordiniert.

Um auf die zentrale Whitelist zu kommen, müssen sich die Versender zunächst zertifizieren lassen. Dieses geschieht nur dann, wenn sie den Richtlinien für die Verbreitung von Massen-E-Mails (Ehrenkodex E-Mail-Marketing) von eco und DDV entsprechen. Die Einhaltung dieser Grundsätze erfolgt durch die bereits bestehende Internet Content Task Force (ICTF) von eco. Diese untersteht künftig einem gemeinsamen Kontrollgremium von DDV und eco, in dem je zwei Vertreter von DDV und eco sitzen. Auf DDV-Seite sind dies Rolf Anweiler, Marketingchef von eCircle, und Ralf Engler von Promio.net. Eco hat seine Delegierten noch nicht bestimmt.

Auf die Positivliste sollen dann möglichst viele Internet Service Provider (ISP) zugreifen. Dazu verhandelt eco derzeit mit den zwölf größten ISPs des Landes, die nach eco-Angaben etwa 95 Prozent des Gesamtmarkts abdecken: 1&1, Amazon, AOL, ePost, freenet, Lycos, GMX, Hotmail, Tiscali, T-Online, Web.de und Yahoo. Sven Karge, der bei eco für das Projekt zuständig ist, zeigte sich auf Anfrage zuversichtlich, dass mindestens neun Provider die Liste nutzen werden.

Bislang sei die Resonanz durchweg positiv, besonders bei Arcor, Lycos, T-Online und Web.de. Insofern sei es durchaus realistisch, dass das Projekt wie geplant im November startet. Pa-rallel führt Karge Gespräche mit mehreren Spam-Filter-Herstellern, die ebenfalls an einer Integration der Positivliste interessiert seien.

Auch die Versender stehen laut Karge bereits Schlange, darunter Agnitas, eCircle, Claritas, Optivo, Promio.net sowie mehrere große Versandhäuser und E-Commerce-Portale. "Die Whitelist wird eine Sogwirkung haben", prophezeit Karge. Uwe-Michael Sinn, Geschäftsführer von rabbit eMarketing, pflichtet ihm bei: "Unternehmen, die seriöses E-Mail-Marketing betreiben, werden um eine Teilnahme nicht herumkommen."

Diese hat allerdings auch ihren Preis: Kleine Massenversender mit einem Jahresumsatz von bis zu 500.000 Euro zahlen 300 Euro im Monat, mittlere Versender (bis zu 2,5 Millionen Euro Jahresumsatz) 625 Euro und Großversender 950 Euro. Dazu kommt eine Aufnahmegebühr von 1.250 bis 1.950 Euro. Mitglieder von DDV und eco erhalten einen Preisnachlass von 20 Prozent.

Bei kleineren Versendern stößt das Preismodell teilweise auf Widerstand. So kritisiert beispielsweise Alexander Schwarz von Koop Direktmarketing, dass sich die Gebühren nach dem Umsatz des Gesamtunternehmens richten. Seiner Meinung nach müssten die Erlöse der jeweiligen E-Mail-Marketing-Sparte als Maßstab genommen werden. Andernfalls müssten Unternehmen wie Koop, bei denen der E-Mail-Versand nur ein Nebengeschäft ist, unverhältnismäßig viel zahlen. Zudem bezweifelt Schwarz, dass die Kostenrechnung angemessen ist: "Das könnte auch günstiger zu haben sein."

Karge lässt sich dadurch nicht beirren: "Es wird keine Ausnahmeregelungen geben!" Unternehmen wie Koop müssten die Preise akzeptieren und genau prüfen, ob sich die Whitelist für sie lohnt. Die Gebühren rechtfertigt der eco-Mann mit einem jährlichen Gesamtbudget von 180.000 bis 200.000 Euro für Personal, Technik, Raummiete, Computer, Hosting und die Reisekosten des Kontrollgremiums, das sich viermal im Jahr treffen wird. Zudem betont er, dass die Preise im Fall von Überschüssen sofort gesenkt würden. Ebenso erteilt der Projektmanager den Forderungen nach einer Beteiligung der ISPs an den Gesamtkosten eine klare Absage. Nach Meinung einiger Kritiker ist es ganz im Interesse der Provider, dass erwünschte Post auch ankommt. Zudem werde beim Versand deutlich weniger Geld verdient als im Provider-Geschäft.

Karge ist gegenteiliger Meinung: "Das maßgebliche Interesse besteht auf Versenderseite. Wenn die ISPs dafür zahlen müssten, dass sie den Versendern einen Vorteil gewähren, würde das Projekt nicht klappen." Nach Ansicht von Inxmail-Chef Martin Bucher ist die Situation sehr viel profaner: "Die ISPs sitzen einfach am längeren Hebel. Da haben wir keine Möglichkeit."

Der Medienanwalt Tobias H. Strömer sieht das ganz anders. Seiner Einschätzung nach ist es ein Unding, dass die Versender bei den Providern regelrecht darum betteln müssen, dass ihre Post zugestellt wird. Dabei bestehe die Aufgabe des Providers nicht darin, Post auszufiltern, sondern im Auftrag der eigenen Kunden sämtliche Post durchzulassen. "Stellen Sie sich vor, Ihr Postbote würde Ihnen vorschreiben, welche Briefe Sie empfangen dürfen und welche nicht!"

Selbst wenn das Ausfiltern in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) festgelegt würde, wäre dies nicht rechtswirksam, da der Kunde die Tragweite seiner Entscheidung gar nicht erfassen könne. Schließlich wisse er gar nicht, welche Mails ausgefiltert werden und welche nicht. Insofern müsste streng genommen schon in den AGBs bestimmt werden, welche Post genau ausgefiltert wird. Fazit: "Wir müssen nach einer Lösung suchen, mit der Direktversender den Provider verpflichten können, wettbewerbsrechtlich zulässige Sendungen - etwa genehmigte Newsletter - durchzulassen. Egal, ob das dem Provider passt oder nicht."

Wegweisend sei in dieser Hinsicht ein Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) in einem Prozess des Fernsehsenders RTL gegen die TC Unterhaltungselektronik AG, die Geräte zum Ausblenden von Fernsehwerbung herstellt. Nach Ansicht der Richter befinden sich beide Unternehmen in einem Wettbewerbsverhältnis: Das eine will Werbung senden, das andere verhindern. Damit eröffnete der BGH den Weg zum Wettbewerbsrecht und diePrüfung auf unlauteres Verhalten. Im entschiedenen Fall hätten die Richter den Werbeblocker zwar erlaubt, aber nur deshalb, weil der Zuschauer hier selbst entscheiden könne, Werbung insgesamt zuzulassen oder zu blockieren. Bei der gängigen Bevormundung der E-Mail-Empfänger durch Provider ist das nach Ansicht Strömers anders. Ein Mandant erwäge deshalb derzeit, einen Musterprozess zu führen. Für Karge ist dies "völliger Schmarr´n": "Der Strömer hat gar nicht kapiert, was da passiert."

Ein weiteres Problem der Whitelist besteht darin, dass fast alle großen Versender bereits Teams aufgebaut haben, die sich um die Whitelists der Provider kümmern und somit bei den meisten Providern bereits gelistet sind. Hier muss sich erst noch zeigen, ob die zentrale Positivliste so viel Entlastung bringt, dass die Kosten in diesen Bereichen gesenkt werden können. Ansonsten bezahlen die Versender doppelt.

Buongiorno und Inxmail nehmen das gerne in Kauf, um die größtmögliche Wirkung zu erzielen, Buongiorno ist allerdings in Bezug auf die Durchführung noch etwas skeptisch: "Wir halten die Positivliste für eine sehr gute Maßnahme. Es ist aber fraglich, ob sie Früchte trägt", sagt Buongiorno-Deutschland-Chef Carsten Diepenbrock. Schließlich habe es in der Vergangenheit schon viele Ideen gegeben, die letztendlich an der Umsetzung scheiterten. Inxmail beteiligt sich hauptsächlich aus Marketinggründen an dem Projekt. "Sonst könnte ein Konkurrent behaupten, dass seine Mails besser durchkommen als unsere", erklärt Geschäftsführer Martin Bucher. Mehrere Mitbewerber argumentierten bereits auf diese Weise.

Unklar ist indes, was mit den Aussendungen kleinerer Anbieter passiert. Branchenbeobachter fürchten, dass die Provider ihre Spam-Filter infolge der Positivliste noch strenger einstellen. Dadurch könnten Agenturen und Unternehmen, die nur gelegentlich und in kleineren Mengen Serien-Mails verschicken, gezwungen werden, ihre Mails über die großen Versender zu verschicken. Dies würde zwangsläufig zu einer Art Kartell führen.

Fraglich ist zudem, ob die Überprüfung der Whitelist-Mitglieder wirklich so unkompliziert ist, wie bisher angenommen. So weiß man laut Uwe-Michael Sinn beispielsweise noch nicht, wie mit unberechtigten Beschwerden umzugehen ist.

Ferner bezweifelt er, dass unseriöse Unternehmen immer erfolgreich von der Liste ferngehalten werden können: "Wer partout auf die Liste will, wird das auch schaffen." Schließlich habe das Kontrollgremium keine staatsanwaltschaftlichen Befugnisse, um alles zu überprüfen. Insofern seien unseriöse Anbieter vermutlich nur über den Preis abzuschrecken. Auf der Strecke bleiben auf jeden Fall diejenigen, die sich für die "zweifelhaften Produkte" dieser Unternehmen interessieren. "Die haben dann verloren und müssen wieder in die Apotheke gehen, um ihre Viagra-Pillen zu kaufen", sagt Bucher. brö

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