Handel setzt auf mehr Dialog

18.10.2004 - Dialogkommunikation reift zur Branchenorientierung

Kein Segment gestaltet sich derzeit so turbulent und viel versprechend für den Dialog wie der Handel. Vertriebsorientierung im Kundendialog ist in diesen harten Zeiten über alle Branchen hinweg angesagter denn je. Chance für die Direktmarketingdienstleister, sich branchenspezifisch zu positionieren: Während DM-Serviceanbieter wie AZ, defacto oder meiller an Branchenlösungen wie Web-basierten Vertriebsplattformen für Autohändler, Reisebüros und Versicherungsmakler feilen, positioniert sich der Dialog über alle Medien gleichfalls in weniger klassischen Segmenten. Etwa im aufstrebenden Health-Care-Bereich. "Reife Märkte wie das Dialogmarketing entwickeln eine Branchenorientierung", kommentiert Ralf Strehlau von Anxo Management Consulting diesen Trend, der auch dem angeschlagenen Handel eine neue Wendung geben kann.

"Die Ausgaben der Konsumenten verschieben sich nach wie vor zu anderen Dingen wie Gesundheit, Altersvorsorge, Wohnen und Energie", beklagte Verbandspräsident Rolf Schäfer auf der diesjährigen Mitgliederversammlung des Bundesverbands des Deutschen Versandhandels (bvh). Da bleibe insbesondere für den Einzelhandel wenig übrig. 2003 sei ein historischer Tiefstand von 29,3 Prozent Anteil des Einzelhandelsumsatzes an den gesamten privaten Konsumausgaben in Deutschland gemessen worden, fast zehn Prozent weniger als 1993. In dieser Zeit stiegen die Ausgaben für Mieten und Nebenkosten um 49 Prozent, für Gesundheit um 52 und für Versicherungen sogar um 54 Prozent. Dagegen stagnieren die Einzelhandelsumsätze laut Schäfer auf dem Niveau von 1993.

Die Krise im Handel offenbart sich als Chance für den Dialog: 2003 pumpte der Handel satte 11,2 Milliarden Euro in diese Disziplin - zwei Drittel mehr als im Vorjahr. Die erkleckliche Summe liegt zwar unter dem Spitzenwert der Dienstleister, die mit leicht gedrosselten Investitionen 15,2 Milliarden Euro für den Dialog über alle Medien ausgaben. Dennoch: Laut Deutsche-Post-Studie Direktmarketing Deutschland 2004 entpuppt sich der Handel als Motor für den Dialog. Um die Kaufbereitschaft der Verbraucher zu wecken, investierte der Handel 2003 vor allem in Werbesendungen (42 Prozent adressiert, 11 Prozent unadressiert) sowie in Response-Anzeigen und -Beilagen (16 Prozent). Die Studie belegt zudem, dass besonders kleine und mittlere Unternehmen verstärkt auf das Internet als Dialogmedium setzten.

Trotzdem bleibt zunächst die Krise im Handel, auf die sich die Dialogmarketer strategisch einstellen müssen. "Der Handel hat es lange Zeit versäumt, Prozesse periodisch auf den Prüfstand zu stellen und Synergien nicht nur zu propagieren, sondern auch konsequent zu leben", kritisiert Patrick Palombo, Versandhandelsexperte und Berater bei Liesegang Optoelectronics. Auch derzeit profitable Versandhandelssparten - Spezialsortimenter und E-Merciants wie das Online-Auktionshaus eBay - müssten sich an die eigene Nase fassen und dürften sich nicht auf ihren Lorbeeren ausruhen. Sonst riskiere man, durch einen neuen Trend überrollt zu werden. Palombo: "Da ist der Konsument gnadenlos!"

"Wir erleben einen Verbraucher, der momentan viele Phasen durchmacht und sich überall bedient. Den einfach gestrickten Konsumenten gibt es nicht", sagt Palombo: morgens an Online-Auktionen bei eBay teilnehmen, mittags stationär shoppen bei Karstadt und abends via TV-Kanal einkaufen. Palombo: "Und jetzt versuchen Sie mal, daraus ein schlüssiges Handelskonzept zu entwickeln!" Gerade Konzerne wie KarstadtQuelle sind seiner Meinung nach ideal aufgestellt, um ganzheitliche Prozesse abzubilden. Fazit: Multikanalkommunikation, Datamining und langfristige Kundenwertorientierung sowie individuelle Konsumentenansprache über einen zielgruppengerechten Kanal stehen nicht nur im Handel höher im Kurs denn je.

Der in die Krise geratene Versender Quelle versucht zum Beispiel, sein Kundenmanagement zu optimieren und sich mit einem Relaunch des Katalogkonzepts neu zu positionieren: "Mich interessiert der Kapitalwert des Kunden", sagte Dr. Jens Kirchner, Leiter Vertrieb Neukunden von Quelle, im DIMA-Versandhandelsforum. Gerade via Internet seien die Bestellwerte vergleichsweise hoch, auch wenn die Aktivquote gering ausfalle. Dies führe unterm Strich zu einem interessanten Kapitalwert. Bei der Durchschnittsbestellung per Katalog falle die Gewichtung von Aktivquote und Bestellwert indes umgekehrt aus.

Doch nicht jeder Kunde soll um jeden Preis gewonnen bzw. gebunden werden: Kirchners Augenmerk gilt der Wertschöpfung. Um ein ausbalanciertes Kundenportfolio zu halten, ist das Internet dank geringer Akquisitionskosten "überlebensnotwendig" und der Kanalmix unumgänglich. Denn derzeit fragen Quelle-Kunden jeden fünften Artikel via Internet nach. Auch der RTL Shop aus dem boomenden Teleshopping-Segment will die Multikanalkommunikation ausbauen und Nischen erschließen. "Da Einkaufsfernsehen in seiner Verbreitung limitiert ist, wollen wir unser Programmheft zu einem Testkatalog ausbauen", sagte Heinz Scheve, Geschäftsführer von RTL Shop, auf seinem DIMA-Vortrag. Die Zielgruppen, die per TV-Kanal ordern, seien ihrer Dialogmarketing-Affinität wegen dankbare und nutzbringende Kunden.

Die Beispiele von Quelle und RTL Shop zeigen, dass Rezepte gegen die Probleme des Handels entwickelt werden. Entsprechende Konzepte auf Basis des Kundenwissens müssen dann jedoch auch ganzheitlich umgesetzt und Prozesse effizient gesteuert werden. Wen wundert es da, dass Jens Müller von der Unit Data Consulting von Acxiom Deutschland Daten als die "Währung des 21. Jahrhunderts" bezeichnet.

Die informationsgetriebene Chance rund um den Dialog ist greifbar. Doch wie verhält es sich mit den äußeren Kräften, die dem Handel derzeit zu schaffen machen?

Dass die Gewinne dort auf der Strecke bleiben, führt Ulrich Eggert von der Kölner BBE-Unternehmensberatung etwa auf die steigende Konsumkompetenz der Verbraucher und geänderte Nachfragestrukturen zurück. Auf seinem Mailingtage-Vortrag sagte er: "Die Bedeutung des Handels als Versorger wird weiter relativiert." Stattdessen zählten Vorsorge für den Verbraucher und Problemlösungskompetenz für den Handel. Quelle liefert etwa im Hartwarensegment nicht nur Weiße Ware, sondern schickt den Handwerker, der die Küche aufbaut und Schönheitsreparaturen erledigt, auf Bestellung gleich mit. "Ware allein ist meist zu wenig. Die traditionellen Erfolgsfaktoren reichen heute nicht mehr aus, weil sie selbstverständlich geworden sind", so Eggert. Stattdessen seien innovative Konzepte gefragt, die den Handel profilieren: Emotionalisierung, Maßarbeit oder Multikanalkommunikation, aber auch Convenience und Individualisierung.

Der Handelstrend geht hin zur Vertriebs- und Bedarfsorientierung, weg vom Waren- oder Bezugsfokus. Die Märkte entwickeln sich komplexer und polarisieren sich. Alles ist möglich, alles wird gemacht - egal ob transpondergetriebener Techno-Discount oder Konzernorganisation in Verbundgruppen wie bei der Modekette Zara. Erfolgversprechend sind Erlebniskonzepte wie bei dem Edelmöbelhaus Stilwerk, Spezialsortimente, Neue Medien, rollierende Frequenzsortimente (Tchibo und Aldi), Kundenbindungskonzepte (Miles & More) und E-Commerce (Obi@Otto).

Spätestens jetzt schlägt die Stunde des Dialogs, der dem angeschlagenen Handel durch innovative Konzepte auf die Sprünge helfen kann. Hebel sind laut Palombo "holistische Prozesse, um den Kunden von der Wiege bis zur Bahre im Alltag zu bedienen". Das fehle der Praxis komplett und sei momentan eher eine Herausforderung als ein Risiko. Palombo: "Diejenigen, die das als Erste erkennen, werden die Krise zuerst überwinden." ks

Mehr zu den DM-Trends lesen Sie in den Berichten über DIMA, omd und Versandhandelskongress.

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Vorträge zum Thema:

  • Bild: Michael Poganiatz
    Joachim Graf
    (ibusiness.de)
    Bild: Martin Nitsche
    Martin Nitsche
    (DDV Deutscher Dialogmarketing Verband e.V.)

    Man muss alles wie immer machen. Nur ganz anders.

    Was zeichnet wirklich erfolgreiches Marketing aus? Wie unterscheidet man Technologiehypes von nachhaltigem Unternehmenserfolg? DDV-Präsident Martin Nitsche und Herausgeber Joachim Graf sprechen darüber, was wahre Exzellenz ausmacht, wenn es um Dialogmarketing, Kundenkommunikation und Vertriebsoptimierung geht. Und sie erklären, warum gerade die zwei Preisträger des EDDI-Award prädestiniert sind, Marketingentscheidern zu zeigen, welche Budget- und Projektentscheidungen sie wirklich treffen müssen.

    Vortrag im Rahmen der Dialog.Konferenz.24 am 03.09.24, 09:00 Uhr

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