28.06.2004 - Die Neufassung des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG), das unter anderem das Telemarketing stark reglementiert, ist nach monatelangem Tauziehen unter Dach und Fach.
Mit den Stimmen der rot-grünen Regierungskoalition wies der Bundestag den Einspruch des unionsdominierten Bundesrats zurück. Damit kann die Anfang Mai 2002 vom Bundeskabinett beschlossene Novelle in Kraft treten.
Das Gesetz schreibt vor, dass Werbung über Telefon nur nach dem ausdrücklichen Einverständnis des Verbrauchers zulässig ist, bei Geschäftskunden muss zumindest eine "mutmaßliche Einwilligung" vorliegen. Bei Zuwiderhandlung droht dem Unternehmen die Herausgabe der durch die Aktion erwirtschafteten Gewinne.
Im Großen und Ganzen wird durch die Novelle die bisherige Rechtsprechung in Gesetzesform gegossen. Allerdings ist sie dadurch auch zementiert, während die Rechtsprechung bislang variabel war. Nach Schätzung der Branchenverbände DDV und Call Center Forum (CCF) sind infolge der Neuregelung mehr als 100.000 Arbeitsplätze gefährdet - entweder durch Stellenstreichungen oder Verlagerungen ins Ausland. Der Verband Deutscher Zeitschriftenverleger (VDZ) befürchtet sogar einen Verlust von bis zu 400.000 Jobs.
DDV-Angaben zufolge haben bereits im Laufe der Diskussion über die UWG-Novelle die ersten Unternehmen ihre Standorte ins Ausland verlegt, unter anderem nach Istanbul. Zudem drohte der VDZ-Präsident Dr. Hubert Burda kurz vor der Verabschiedung des Gesetzes mit der Verlagerung der Burda-Call-Center in Schwerin und Schutterwald nach Polen und Frankreich.
Der Medienkonzern Bertelsmann hat ähnliche Pläne. Wie CCF-Präsident Manfred Stockmann mitteilte, wollen die Gütersloher aber - wie viele andere große Unternehmen auch - erst einmal abwarten, ob die Europäische Kommission im Herbst via EU-Richtlinie das so genannte Herkunftslandprinzip einführt. Die Unternehmen müssten dann nur noch das Recht des Landes beachten, in dem sie ihren Call-Center betreiben. Die Folge: "Die deutschen Call-Center werden klar benachteiligt", erklärt Stockmann.
Außerdem wollen die Unternehmen Stockmanns Angaben zufolge in den nächsten sechs Monaten beobachten, wie viele Prozesse in Folge des UWG angestrengt werden. Erst dann würden sie ernsthaft über Standortverlegungen nachdenken.
Für die Verbände VDZ und DDV steht dagegen jetzt schon fest, dass die Telemarketer in Scharen abwandern: "Die Politik trägt mit ihrer Ignoranz die Verantwortung für Arbeitsplatzabbau und wirtschaftliche Stagnation, gerade in den Neuen Bundesländern, in denen die Call-Center-Branche in den letzten Jahren für Ausbildungsplätze und Perspektiven gesorgt hat", kritisiert der Vorsitzende des DDV-Council Telemedien und Call-Center-Services, Michael Martin (Foto).
Außerdem wirft er - ebenso wie die Unionsfraktion im Bundestag - der Regierung vor, das Gesetz nicht klar genug formuliert zu haben. Bemängelt wird dabei insbesondere den Begriff "mutmaßliche Einwilligung". Gerichte könnten die Textstelle dahingehend interpretieren, dass bestehende Kunden nicht mehr kontaktiert werden dürfen.
Gleichzeitig beschuldigt der DDV die Unionsparteien, sich entgegen vorheriger Versprechungen nicht genügend im Vermittlungsausschuss für eine Änderung des UWG eingesetzt zu haben. Laut Martin wurden die diesbezüglichen Verhandlungen "im Rahmen anderer Zugeständnisse gar nicht erst geführt". Soll heißen: Die Union hat das Gesetz im Tausch gegen Kompromisse in anderen Sachfragen durchgewunken. Die Union weist dies strikt zurück. Die Abgeordneten von CDU und CSU hätten sich sehr wohl für eine Änderung des Entwurfs engagiert, seien aber am unerbittlichen Widerstand von SPD und Grünen gescheitert, die im Vermittlungsausschuss über genauso viele Stimmen verfügen wie die Oppositionsparteien CDU/CSU und FDP.
Letztere bezeichnete die Neuregelung als "ein bürokratisches Monster", das zu einer "Amerikanisierung des deutschen Rechts" führe. Die Marktteilnehmer würden unzumutbaren Prozessrisiken ausgesetzt, ohne dass der Verbraucher einen Vorteil davon habe. Insofern sei die Novelle "eine Beruhigungspille für Verbraucherschutzverbände". Der VDZ spricht von einem "gesetzgeberischen Schildbürgerstreich" und fordert die Politik auf, stattdessen die so genannte Robinsonliste zu verankern. Schließlich sei diese "ein zuverlässiges Verfahren, das von Verlagen, der gesamten Wirtschaft und vom Kunden respektiert" werde.
Ebenso zeigte sich der Direktmarketing Verband Österreich (DMVÖ) enttäuscht über die Entscheidung im Nachbarland und wies darauf hin, dass eine ähnliche Regelung in Österreich bereits zu Standortverlagerungen in die Schweiz, Slowakei und Tschechien geführt habe. Der Personalberatung Kirch zufolge sind deutschsprachige Call-Center-Dienste genauso gut in Argentinien und Südafrika möglich.
Auch bei den E-Mail-Marketern kommt inzwischen Missmut auf. Der Grund: Nachdem die Novelle mehrmals geändert wurde, ist die Branche stärker betroffen als bisher erwartet. Besonders viel Kopfzerbrechen bereitet den Unternehmen die Neufassung des Paragraphen sieben, wonach selbst Bestandskunden bei der Erhebung der Adresse klar und deutlich auf ihr Widerspruchsrecht hingewiesen werden müssen. Laut Martin Aschoff, Vorsitzender des DDV-Council Digitaler Dialog, werden dadurch zahllose E-Mail-Listen wertlos.
Die Strafsummen durch den neu eingeführten Gewinnabführungsanspruch könnten durchaus fünfstellig ausfallen. Und da die Gelder direkt an den Bundeshaushalt abgeführt werden müssen, sei zudem zu befürchten, dass die Richter im Zweifelsfall für ihren Brötchengeber, den Bund, entscheiden. Die Folge: "Jedes Unternehmen, das Mails verschickt, muss jetzt noch schärfer aufpassen, denn künftig kann jeder Fehler richtig teuer werden", so Aschoff. brö
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