Verwirrung bei Werbeagenturen: "Welche Schreibereform ist denn jetzt die richtige?&quot

31.08.2004 - ONEtoONE-Recherchen enthüllen: In dieser Republik schreibt längst jeder Werber, wie er will. Viele ignorieren den Duden einfach.

Gerade hatte die schreibende Zunft sich damit abgefunden, dass sie auseinander biegen getrennt, zusammenarbeiten aber zusammenschreiben muss, da kehren die Hamburger Verlage Spiegel und Axel Springer mit Pauken und Trompeten zur alten Rechtschreibung zurück. Die Aufregung ist groß, die Kontroverse ruft Staatsoberhäupter und Ministerpräsidenten auf den Plan, und prompt landet der Fall erneut auf der Tagesordnung der deutschen Kultusministerkonferenz. Nur die Werbetexter - so scheint es - sind die Ruhe selbst. ONEtoONE-Recherchen enthüllen: In dieser Republik schreibt längst jeder, wie er will!

Fest steht: Die Mehrheit der deutschsprachigen Bevölkerung in der DACH-Region ignoriert geflissentlich, was im neuen Duden steht. Laut Forsa-Umfrage wollen 75 Prozent von 506 Befragten in Deutschland die alte Rechtschreibung zurück. In Österreich schreiben laut Umfrage der Zeitung Der Standard ganze zwölf Prozent der Bevölkerung nach den neuen Regeln. Nur die eidgenössischen Nachbarn sehen die Sache gelassener.

In jedem Fall stellt die geringe Akzeptanz des Projekts die Werbagenturen vor neuartige Probleme. Wie soll man schreiben? Wie der Duden, wie der Kunde oder am Ende gar wie der Leser es will? Die Praxis sieht gegenwärtig so aus: "Vier Texter, drei Meinungen", beschreibt Hansjörg Zimmermann die Verhältnisse beim Goldenen Vlies: "Dort gibt es die hartnäckige Verweigerin, die stur bei den alten Regeln bleibt, egal, was die Welt um sie herum meint oder tut. Der jüngste Texter hat die neue Rechtschreibung mit der Muttermilch aufgesogen und beherrscht sie entsprechend. Die beiden Alterspräsidenten (zusammen 90 Jahre alt) schrieben bereits vor der Reform eine Mischung aus alter, neuer und persönlicher Rechtschreibung", so Zimmermann. Und bei defacto in Erlangen orientieren sich die Texter nicht einfach an alten oder neuen Regeln, sondern auch an "ästhetischen Kriterien".

Als richtig gilt zwar, was im Duden steht. Doch als oberste Instanz kann schließlich der Kunde bzw. dessen Zielgruppe nicht ganz außer Acht gelassen werden. "Für eine Dialoggruppe jenseits der 50 ist es noch immer stimmiger, die alte Rechtschreibung zu verwenden", findet der Fachverband Freier Werbetexter (FFW). Mitunter bestehen die Unternehmen sogar darauf.

"Richtig kompliziert wird es allerdings, wenn Kunden Mischformen verwenden", sagt Nadine Schmidt von Wunderman in Frankfurt aus leidiger Erfahrung - eine Konstellation, die jedoch auch Vorteile hat: "Das vereinfacht die Sache erheblich", sagt Hansjörg Zimmermann, denn nun könne auch kaum eine Kunde mehr nachprüfen, "welche Art der Schreibereform jetzt nun wirklich richtig ist."

Offiziell bleiben die deutschen Unternehmen bei der neuen Schreibweise. In den Wording-Richtlinien für die Agenturen wird diese indes nicht selten auf den Hinweis reduziert, man möge 'daß´ künftig bitte mit 'ss´ schreiben, so die Erfahrungen der Werbetexter. Der Rest sei den meisten egal.

Ganz anders als den Mailingprofis: "Shrimps mit Sch geht gar nicht - wie überhaupt die ganzen Sch-Regeln in Ketschup und Konsorten", meint etwa Thilo Mutter von Tequila. "Worte wie ´Rollläden und Schifffahrt´ sehen einfach falsch aus", pflichtet Melanie Brüggemann bei. Andreas Spielvogel von Palla, Koblinger_Proximity ärgert sich am meisten über das etymologische Stammprinzip, die Tatsache, dass man 'Gämse´ (früher Gemse) jetzt mit 'ä´ schreibt, weil von Gams abgeleitet: "Der neudeutsche Ausdruck für verprügeln, nämlich 'verbläuen´ müsste korrekterweise 'verpleuen´ heißen", so Spielvogel. Anders als im gesunden Volksempfinden komme das Wort nicht von 'blau´ (wie 'Veilchen´, Anm. d.Red.), sondern von 'pleuel´ wie 'schlagen´ - etwa in 'Pleuelstange´.

Glücklicherweise war Werbern schon immer mehr erlaubt, als im Duden steht. "Der Vorteil jedes Kreativen ist, dass die werbliche Freiheit von jeglicher Rechtschreibung entbindet", so Spielvogel. Das gelte jedenfalls solange, wie dem Texter die passenden Argumente einfallen. Kefer: "Es wäre natürlich eine wunderbare Ausrede: Eine bessere Headline war wegen der neuen Rechtschreibung nicht möglich." Leider hat nach Erfahrungen der meisten Kreativität nicht das geringste mit Orthografie zu tun. Immerhin: Die von Schriftstellern häufig beschworene Verarmung der deutschen Sprache befürchten Werbetexter jedenfalls nicht. Sehr viel reicher als vorher sind dagegen einige Verlage und vor allem Schulbuchverlage, hat Andreas Spielvogel beobachtet: "Schließlich kann ich meinen Kindern kein einziges Buch aus meiner eigenen Bibliothek zum Lesen anvertrauen."

Was tun? Zurück zur Alten? Auch in dieser Frage: so viele Meinungen wie Schreibweisen. Während Thilo Mutter für das Aschenputtelprinzip plädiert - die guten ins Töpfchen, die schlechten ins Kröpfchen - engagiert sich Zimmermann für die Linksschreibreform von Ze Do Rock, einem verzweifelten brasilianischen Taxifahrer, der das faszinierende Buch "Vom Winde verfehlt" über die deutsche Sprache geschrieben hat. Und Andreas Spielvogel plädiert als Werbetexter gleichzeitig für die Rückkehr zur alten Schreibung und eine "wirkliche Rechtschreibreform" folgenden Inhalts: Erstens weitest gehende eliminierung der zusammen schreibung. Zweitens abschaffung der groß- und klein schreibung. Drittens ersatzlose streichung des denungs-h. Viertens neue schreibung der umlaute ae, oe, ue. etc. Als Vater nimmt er rücksichtsvollerweise Abstand von jeglicher Forderung in dieser Richtung.

Mitte Oktober wollen die Kultusminister abschließend über ihr Regelwerk entscheiden. Unter praktischen Aspekten sollte wohl der FFW das meiste Gehör finden: Auf keinen Fall sollte diese neuerliche Diskussion vom Zaun gebrochen werden, so der Vorstand: "Lassen Sie uns eine EU-Norm für eine neue Großzügigkeit einrichten!" asc

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